Trotz aller Erschöpfung nach dieser harten Zeit, die in Rheinland-Pfalz noch einmal durch die Flutkatastrophe im Ahrtal ins schier Unermessliche potenziert wurde, ist diese schweigende Mehrheit, die Zivilgesellschaft wieder im Einsatz. Familien öffnen ihre Häuser für Flüchtlinge aus der Ukraine, Kleiderbörsen werden organisiert, Ehrenamtliche stehen Vertriebenen aus Putins Krieg an Bahnhöfen mit Essen, Trinken und Rat auf dem Weg in ein ungewisses Leben zur Seite, in Schulen und Kindergärten bereitet man sich auf die Kinder des Krieges vor, Hilfsbereitschaft und Solidarität allerorts.
Trotz aller Widrigkeiten, aller Krimineller, Profiteure, Schreihälse, die solche Krisen leider immer anziehen, sollte eines einmal ausgesprochen werden: Eine Gesellschaft, die so handelt, die Vertriebenen so selbstlos und solidarisch hilft, ist eine zivilisatorische Errungenschaft, ein Geschenk. Und es ist eine sehr resiliente, also widerstandsfähige Gesellschaft, weil sie der Angst, die dieser Krieg zweifellos in vielen auslöst, mit Handeln begegnet. Man mag diese Gedanken als Ausdruck von Blauäugigkeit abtun. Man könnte diese Zustandsbeschreibung jedoch auch als Zeichen dafür werten, dass unsere Gesellschaft, dass vielleicht der ganze Westen deutlich stabiler ist, als dies uns die Putins dieser Welt glauben machen wollen. Zumindest die Zivilgesellschaft scheint bereit für diese Zeitenwende und die Herausforderung durch Autokraten.
Dies darf jedoch über Zweierlei nicht hinwegtäuschen. Es gibt erstens in Teilen der Gesellschaft eine deutliche Differenz im Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien oder Afghanistan und jenen aus der Ukraine. Dies dürfte kulturell begründet sein, aber auch darin, dass die einen vor allem gekommen sind, um zu bleiben, die anderen dezidiert, um in ihre Heimat zurückzukehren. Zweitens hätten die Regierenden viel früher die Probleme, die seit den Erfahrungen von 2015 absehbar waren, erkennen und proaktiv handeln müssen. Wer dieselben Fehler stets wiederholt, ist nicht mehr glaubwürdig. Die Gesellschaft lehrt die Politik, dass es in Krisen darum geht, schnell zu handeln, anstatt lähmend lang zu diskutieren. Und es gibt Dinge, die nur der Staat garantieren kann, Sicherheit etwa. Es ist Zeit, dass der Staat seine Hausaufgaben macht.