Rheinland-Pfalz
Kommentar zu Schlüttsiel und den Protesten der Landwirte: Grün, Schwarz und Grellrot ergibt Braun
Chefredakteur Lars Hennemann
Kevin Rühle

Man kann und darf von Robert Habecks Politikstil halten, was man will. Aber mit dem, was sich am Donnerstagabend im beschaulichen Hafen von Schlüttsiel ereignet hat, ist eine grellrote Linie überschritten worden. Zwar kann man den Protest der Landwirte bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen.

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Die Bundesregierung betreibt eine finanziell ungedeckte Politik, fängt sich dafür ein Urteil aus Karlsruhe und – holt sich das fehlende Geld dann halt bei den Bürgern, anstatt nur moderat zu sparen. Und sie entblödet sich noch nicht einmal, die juristische und fiskalische Klatsche mit dünner Öko-Rhetorik zu überpinseln. Das kann schon wütend machen. Nur: Landwirt ist trotzdem nicht Landwirt. Manchem, tendenziell kleinerem Betrieb tut der Griff in die Kasse mehr weh als den größeren. Auch hat sich die Einkommensentwicklung der Bauern in der jüngeren Vergangenheit statistisch keineswegs schlechter dargestellt als die anderer Berufsgruppen.

Deshalb ist Protest gegen den Kurs der Ampel dennoch legitim. Habeck erzeugt oft genug theoretische Fallhöhe, um dann in der Praxis – siehe Heizungsgesetz – kaum mehr abzuliefern als löchrige Planwirtschaft. Aber nichts davon rechtfertigt, dass er persönlich bedroht wird oder dass man Gesprächsangebote, die er wie so oft auch in Schlüttsiel wieder gemacht hat, zurückweist. Wer das tut, der zeigt damit, dass er entweder schon lange aus jeder noch als zivil zu bezeichnenden Diskurskurve herausgetragen worden ist oder dass es ihm in Wahrheit um anderes geht. Nämlich um das, was Cem Özdemir völlig richtig als „feuchte Umsturzträume“ bezeichnet.

Schon seit Tagen war dieser radikale Unterton in den Protesten zu vernehmen. „Wir da unten gegen das System und die da oben“ – es wird einmal mehr eine (Quer-)Front gebildet, in die sich jeder einreihen soll, der es will. Und die Ampel begeht den größten aller Fehler und knickt davor ein. Das ist eine Geste, die Vorfälle wie in Schlüttsiel noch beflügelt und die Herrschaft der Straße provoziert. Wo soll das hinführen? Soll sich nach den Bauern die nächste Berufsgruppe, die aus ihrer Sicht auch Grund zum Protest hat, Traktoren mieten und damit Rabatz machen? Oder bekommt in diesem Land nur noch der Recht, der massiv genug auftreten kann? Das kann niemand wollen. Die Landwirte nicht, die sich – auch mit Blick auf Montag – sehr schnell überlegen sollten, wie weit sie ihren Protest noch treiben wollen und welche Geister sie dabei mittlerweile auch rufen. Und noch viel weniger die Ampel. Die muss allerdings endlich eine Politik machen, die mehr ist als unverständliches Flickwerk und die schon allein deshalb nicht länger hält als man braucht, um schweres Gerät aus einer Scheune zu fahren.

Im Licht der Scheinwerfer von Schlüttsiel wird am Ende leider wieder deutlich, wer dafür die Verantwortung trägt. Robert Habeck? Ja, aber nicht als Erster. Christian Lindner? Ja, aber auch er nicht zuvorderst. Es ist Olaf Scholz. Hätten wir einen Kanzler, der zu den Menschen sprechen könnte oder das wenigstens wollte – unsere Debatten liefen anders. So aber klafft an der Spitze der Regierung ein schwarzes Loch, das in Zeiten unbestritten vielfach notwendigen Wandels verheerender kaum wirken könnte. Jedes Kind mit einem Malkasten weiß, welche Farbe entsteht, wenn zu (Grell-)Rot, Blau-Gelb und Grün noch Schwarz gemischt wird: Dunkelbraun.

E-Mail: lars.hennemann@rhein-zeitung.net

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