Der Koalitionsvertrag ist geschlossen, der neue Kanzler mit Startschwierigkeiten gewählt, das Kabinett vereidigt und der Kurs mit der ersten Regierungserklärung abgesteckt. Damit ist das politische Ringen vorbei – und auch jede Ausrede für Stillstand. Jetzt heißt es: liefern. Denn was unsere Wirtschaft am wenigsten braucht, ist weiteres Lavieren. Deutschland muss wirtschaftspolitisch umsteuern – und zwar sofort. Dabei reicht es nicht, nur national zu denken: Deutschland muss sich auch auf EU-Ebene mit Nachdruck für wettbewerbsfreundliche Rahmenbedingungen einsetzen. Nur wenn Brüssel und Berlin an einem Strang ziehen, wird es gelingen, die wirtschaftliche Substanz zu sichern und neue Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
Die Unternehmen im Land senden seit Jahren die gleiche Botschaft: Sie brauchen Planbarkeit, Investitionssicherheit und ein belastbares ordnungspolitisches Fundament. Umso unverständlicher ist es, dass ausgerechnet auf Landesebene die Zeichen weiter auf Belastung stehen: differenzierte Hebesätze bei der Grundsteuer, Novelle des Landesklimaschutzgesetzes, Ermöglichung der kommunalen Verpackungssteuer, Neufassung des Bildungsfreistellungsgesetzes. Allesamt Beispiele für kleinteiligen Aktionismus, der Probleme schafft, statt sie zu lösen. Wer solche Maßnahmen beschließt, sendet ein falsches Signal.

Die absehbare Entlastung für Gewerbeimmobilien aus der Grundsteuerreform wird durch die Option differenzierter Hebesätze konterkariert. Eigentlich sollte die Reform zu mehr Fairness führen. Doch das rückwirkend beschlossene Landesgesetz nimmt Entlastungen für Unternehmen bewusst zurück und ermöglicht es Kommunen, gewerbliche Objekte gezielt höher zu belasten – de facto entsteht eine neue „Grundgewerbesteuer“ inklusive zusätzlichen Verwaltungsaufwands und rechtlicher Unsicherheit, die einseitig die Betriebe belastet.
Auch was derzeit unter dem Deckmantel des Klimawandels beschlossen wird, geht an der Realität der Unternehmen vorbei: Die geplante Novelle des Landesklimaschutzgesetzes strebt Klimaneutralität für Rheinland-Pfalz bis 2040 an – also zehn Jahre vor der EU. Damit und zusätzlich mit einem Mix aus unerreichbaren Sektorzielen, weiteren Vorgaben und unklaren Folgeregelungen steigt die Planungsunsicherheit für Unternehmen massiv.
Verpackungssteuer kommt zur Unzeit
Und dann die Debatte um eine kommunale Verpackungssteuer: Sie kommt zur Unzeit, belastet gerade kleine Betriebe und schafft ein Flickwerk lokaler Wettbewerbsverzerrungen. Unternehmen investieren längst in nachhaltige Verpackungen und erfüllen komplexe gesetzliche Vorgaben. Eine neue Steuer bremst, statt zu beschleunigen – und erhöht den bürokratischen Aufwand für Betriebe und Kommunen enorm.
Schließlich sorgt auch die geplante Novelle des Bildungsfreistellungsgesetzes zu Recht für Unmut: Durch die vorgesehenen Ausweitungen droht das Gleichgewicht zwischen individueller Weiterbildung und betrieblicher Umsetzbarkeit aus dem Takt zu geraten. Für kleine und mittlere Unternehmen, in denen Personalplanung oft ohnehin auf Kante genäht ist, kaum noch tragbar.
Vertrauen statt weiterer Fesseln
Die Wirtschaft verdient Vertrauen, keine weiteren Fesseln. Statt einer Welle an politischen Initiativen, denen es an wirtschaftlicher Weitsicht fehlt, bräuchte die Wirtschaft einen umfassenden wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag. Keine neuen Steuern, keine neuen Abgaben, keine neuen bürokratischen Pflichten. Stattdessen Freiräume und Rückenwind.
Wer es ernst meint mit wirtschaftlicher Vernunft, muss jetzt liefern; in Berlin, aber auch in Mainz. Das Fenster ist offen – aber nicht lange. Umso wichtiger sind klare Signale aus der Hauptstadt. Rheinland-Pfalz hat nun einmal mehr die Chance, sich als wirtschaftsfreundlicher Vorreiter zu positionieren. Denn eines ist klar: Die Wirtschaft kann nicht mehr warten. Es gilt zu handeln – jetzt.
Zur Person
Susanne Szczesny-Oßing ist CEO der EWM GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Mündersbach/Westerwald ist für Lichtbogen-Schweißtechnik Deutschlands größter Hersteller und international einer der wichtigsten Anbieter. Szczesny-Oßing greift zurück auf ein vielfältiges Netzwerk in Industrie und Wirtschaft. So ist sie Vertreterin der Wirtschaft im Rat der Technologie des Landes Rheinland-Pfalz. Seit 2017 ist sie Präsidentin der Industrie- und Handelskammer Koblenz. red