Beschwerde gegen Entscheidung der Staatsanwaltschaft eingelegt - Justizminister zeigt Verständnis für Enttäuschung der Menschen im Ahrtal
Keine Klage in der Ahr-Flut: Hinterbliebene wehren sich gegen Ermittlungsende
Ahrtal fast drei Jahre nach der Flut
Nach wie vor sind die gewaltigen Schäden der Flutkatastrophe im Ahrtal allgegenwärtig wie etwa am Kurhaus Bad Neuenahr. Fast drei Jahre nach der Flut, bei der mehr als 130 Menschen starben, ist inzwischen klar, dass die Katastrophe strafrechtlich nicht aufgearbeitet wird. Angehörige von Opfern wollen sich damit nicht abfinden. Foto: Thomas Frey/dpa
Thomas Frey. picture alliance/dpa

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen wegen der tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal eingestellt. Das ist aber noch nicht das letzte Wort. Hinterbliebene wehren sich juristisch dagegen.  Justizminister Herbert Mertin (FDP) zeigt Verständis für die Enttäuschung der Menschen im Ahrtal.

Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zur tödlichen Flutkatastrophe im Ahrtal eingestellt, doch die Hinterbliebenen wollen das nicht akzeptieren. In zwei Fällen habe er Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt, sagte der Anwalt einiger Hinterbliebener, Christian Hecken. Er vertritt unter anderem die Familie Orth, deren Tochter Johanna bei der Flut starb, und Werner Minwegen, der beide Eltern verlor. Die Beschwerde für diese beiden Fälle sei am Montag eingelegt worden, hieß es.

Was geschah bisher?

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte am Donnerstag verkündet, die Ermittlungen zur Flutkatastrophe 2021 einzustellen. Zuvor hatte sie gegen den Ex-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter des Krisenstabs unter anderem wegen der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen ermittelt.

Die Behörde kam nach umfangreichen Ermittlungen unter anderem zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die beiden. Damals kamen im Ahrtal mindestens 135 Menschen ums Leben, Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt weiterhin als vermisst.

Wie geht es nun weiter?

Rechtlich gibt es klare Vorgaben: Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz muss nun über die Beschwerde der Hinterbliebenen entscheiden. Eine solche Beschwerde könne an zwei Punkten ansetzen, erklärte jetzt der Professor für Strafrecht an der Universität Düsseldorf, Till Zimmermann. „Man kann zum einen sagen, die Fakten sind nicht richtig bewertet worden oder die Fakten sind nicht richtig gesammelt worden.“ Das sei etwa der Fall, wenn ein Zeuge übersehen oder ein Gutachter ignoriert worden sei. „Und eine andere Möglichkeit wäre, dass man sagt, die rechtliche Würdigung ist falsch. Dass man sagt, ihr habt das vielleicht richtig ermittelt, aber ihr habt die falschen rechtlichen Schlüsse daraus gezogen“, sagte der Strafrechtsprofessor.

Aber es ist schon relativ gründlich ermittelt worden.

Professor für Strafrecht an der Universität Düsseldorf, Till Zimmermann, zur Arbeit der Staatsanwaltschaft Koblenz

Die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz bestätigte am Dienstag auf Nachfrage den Eingang der Beschwerde. Üblicherweise lege die Behörde in einem solchen Verfahren der Staatsanwaltschaft die Beschwerde vor und bitte diese um einen Bericht, teilte Oberstaatsanwalt Carsten Krick mit. Die Staatsanwaltschaft entscheide dann, ob sie die Ermittlungen wieder aufnehme, Anklage erhebe oder die Beschwerde ablehne und der Generalstaatsanwaltschaft die Akten zur Entscheidung vorlege.

„Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt sodann anhand der Akten eine eigene Prüfung vor, in der die Ermittlungsergebnisse unabhängig von der Bewertung durch die Staatsanwaltschaft einer eigenständigen Beurteilung unterzogen werden“, hieß es weiter. Lehnt die Generalstaatsanwaltschaft die Beschwerde ab, bleibt den Hinterbliebenen noch eine Möglichkeit: Sie können mit einem sogenannten Klageerzwingungsverfahren vor das Oberlandesgericht Koblenz ziehen.

Wie sind die Erfolgsaussichten der Beschwerde?

„Man kann es sicherlich auch anders sehen als die Staatsanwaltschaft in Koblenz“, sagte Zimmermann zum Ermittlungsergebnis. Daher sei es auch nicht ausgeschlossen, dass es bei einer Beschwerde zu einem anderen Ergebnis komme. „Aber es ist schon relativ gründlich ermittelt worden.“ Generell hätten sogenannte Klageerzwingungsverfahren nur minimale Erfolgsaussichten, sagte der Strafrechtsexperte. „Erfolge sind verdammt selten.“

Die Straftaten, um die es in diesem Fall gehe, verjähren nach zehn Jahren, erklärte Zimmermann. Um das zu verhindern, müsse es innerhalb der zehn Jahre zumindest ein Urteil geben. „Wenn das nicht passiert, dann muss man sofort einstellen, egal, wie überzeugt man jetzt von der Schuld ist oder nicht.“

Was sagen die Betroffenen?

Schon am Donnerstag war das Unverständnis bei den Menschen im Ahrtal und den Hinterbliebenen groß. Ralph Orth, dessen Tochter bei der Flut gestorben ist, hatte nach der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft gesagt: „Bis zuletzt haben wir gehofft, dass hier noch jemand für Recht und Ordnung sorgt. Das ist offensichtlich nicht geschehen.“ Die von Hecken vertretenen Hinterbliebenen sehen laut ihrem Anwalt auch den rheinland-pfälzischen Justizminister Herbert Mertin (FDP) in der Verantwortung.

Hecken hatte den Justizminister vergangene Woche zum Rücktritt aufgefordert, weil dieser die Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft vom Donnerstag habe stattfinden lassen. Heckens Kritik: Besagte Pressekonferenz sei bereits anberaumt worden, bevor er seine angekündigte Stellungnahme nach erweiterter Akteneinsicht habe einreichen und mit seinen Mandanten besprechen können. „Daraus kann man den Eindruck gewinnen: Egal, was ihr vortragt, es interessiert uns nicht“, fasste Hecken seine Gedanken zusammen.

Was sagt der Justizminister?

Auch in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses des rheinland-pfälzischen Landtags am Dienstag war die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ein Thema. Justizminister Mertin berichtete den Landtagsabgeordneten über das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Mertin betonte, dass es sich, auch nach der Einstellungsentscheidung der Anklagebehörde, um ein laufendes Verfahren handele. In einem demokratischen Rechtsstaat verbiete sich die politische Einflussnahme auf laufende Verfahren, erklärte der Liberale.

Mertin sagte, es sei nicht so, „dass wir alle von dem Geschehen völlig unberührt sind“. Wenn man so wie er nach seinem Bericht vorgetragen habe, was alles rund um die Flutkatastrophe nicht richtig gemacht worden sei, „kann ich verstehen, dass die Menschen eine strafrechtliche Reaktion erwarten“. Doch die Staatsanwaltschaft müsse sich hiervon freimachen. Der CDU-Landtagsabgeordnete Marcus Klein sagte: „Ich halte die Entscheidung, so wie sie vorliegt, emotional für kaum erträglich.“

Eine Einschätzung dazu, wann nun mit einer Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft zu rechnen ist, wollte Mertin nicht abgeben. Sie fange bei ihrer Arbeit jedenfalls nicht bei null an. Der Justizminister sicherte außerdem zu, einen Prüfantrag an die Koblenzer Staatsanwaltschaft weiterzugeben, ob der Abschlussbericht der Behörde veröffentlicht werden könne.

Er hat sich um Kopf und Kragen geredet.

Anwalt Christian Hecken über Justizminister Herbert Mertin

Inka Orth, die mit ihrem Mann und Rechtsanwalt Hecken die Sitzung in Mainz verfolgte, bezeichnete den Auftritt und die Ausführungen des Justizministers als „unsäglich“. Es habe sich gezeigt, dass der FDP-Politiker „überhaupt nicht im Thema drin ist“.

Auch Jurist Hecken ließ im Gespräch mit unserer Zeitung kein gutes Haar an Mertins Vortrag. Der Minister habe sich „um Kopf und Kragen“ geredet. Hecken bleibt bei seiner Einschätzung zu Mertin: „Er war in der konkreten Situation verpflichtet einzugreifen, wenn er sieht, dass ein Verfahren nicht rechtsstaatlich und nicht fair verläuft.“ Und das nicht aus politischer – sondern aus rein rechtlicher Sicht, resümierte Hecken.

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