FPÖ-Erstarken in Österreich
Jun sieht Warnschuss für deutsche Politiker
Der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun
Harald Tittel. picture alliance/dpa

Österreich steht vor einer dramatischen Zäsur: Die rechtspopulistische FPÖ könnte erstmals den Kanzler stellen. Politikwissenschaftler Uwe Jun erklärt, was die Entwicklung in Wien deutsche Politiker im Wahlkampf lehren sollte.

Sieben Wochen vor der Bundestagswahl erreichen Schockwellen eines politischen Bebens in Wien auch Berlin: Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat der in Teilen rechtsextremen FPÖ den Auftrag erteilen müssen, eine Regierung zu bilden. Denn Verhandlungen zwischen der konservativen ÖVP und der sozialdemokratischen SPÖ waren ebenso gescheitert wie Dreier-Gespräche mit den liberalen Neos. Der Politikwissenschaftler Uwe Jun (Trier) spricht im Gespräch mit unserer Zeitung von „einem Warnschuss“ auch für deutsche Politiker. Die Entwicklung stärke politische Ränder.

Für Jun zeigt das Beispiel Österreichs wie schon das Ende der Berliner Ampelregierung: Die Parteien in der Mitte müssen kompromiss- und bündnisfähig bleiben. Dies hat auch der Kanzlerkandidat der Grünen, Robert Habeck, mit Seitenhieben gegen die CSU gefordert. „Aber der kleinste gemeinsame Nenner reicht nicht aus“, warnt Jun mit Blick auf die Sympathiewerte der gescheiterten Bundesregierung. Eine Regierung müsse auch „die Erwartungen, Hoffnungen und Wünsche der Mehrheit der Bevölkerung erfüllen“.

Rückenwind für die AfD

Es sei nun abzuwarten, wie die Verhandlungen in Wien verlaufen. Trotzdem geht Jun bereits davon aus, dass der Hinweis aufs Nachbarland wie schon die Wahlen in den USA „der AfD wieder Rückenwind geben“ wird. Obwohl sich viele politische Forderungen der FPÖ von Herbert Kickl mit denen der AfD decken, so sieht Jun derzeit doch noch große Unterschiede zwischen den Parteien. Die FPÖ sei in der Bevölkerung wesentlich akzeptierter als die AfD. Sie habe auch bereits in Bundes- und mehreren Landesregierungen mitgewirkt.

In Wien hat sich die ÖVP für Verhandlungen mit der FPÖ geöffnet. Trotz dieser Kehrtwende geht Jun davon aus, dass die Brandmauer der Union gegenüber der AfD hält. Dies zeigt dem Parteienforscher die Entwicklung nach den Wahlen in drei ostdeutschen Ländern. Dort sei die CDU Koalitionen mit unterschiedlichen Farben eingegangen und habe zudem in Sachsen lieber eine Minderheitsregierung als eine Koalition mit der AfD gebildet.

Schwierige Koalitionsverhandlungen in Berlin erwartet

Auch nach der vorgezogenen Neuwahl des Bundestags rechnet Jun mit schwierigen Koalitionsverhandlungen in Berlin, weil sich ein Lagerwahlkampf zwischen SPD und Grünen auf der einen Seite und CDU, CSU und FDP auf der anderen Seite angekündigt. Aber für den vor allem von Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der Union, geforderten Politikwechsel „reicht der kleinste gemeinsame Nenner nicht aus“.

Die FPÖ hatte im September die Parlamentswahl gewonnen. Der Versuch, Rechtspopulisten von der Macht fernzuhalten, scheiterte in monatelangen Koalitionsverhandlungen. Nach dem Rücktritt von Kanzler Karl Nehammer war die ÖVP zu Gesprächen mit der FPÖ bereit, weil man Neuwahlen fürchtet. Damit rückt für Kickl das selbst formulierte Ziel, „Volkskanzler“ zu werden, in greifbare Nähe. Mit ihm könnte nach Viktor Orbán (Ungarn) und Robert Fico (Slowakei) ein weiterer EU-kritischer und russlandfreundlicher Regierungschef an die Macht kommen.

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