Die Vorstellung wirkt tröstlich: Irgendwo am Weltende – am Kap Finisterre in Spanien – steht ein großes, golden schimmerndes Weizenfeld in der Sonne und trägt reichlich Frucht. Entstanden ist es aus fünf Samenkörnern, die in Erinnerung an fünf junge, viel zu früh verstorbene Westerwälder dort gesät wurden. Ob die Geschichte stimmt, weiß auch Pfarrer Ralf Hufsky nicht. Doch der Westerburger Geistliche lässt die Menschen daran glauben: Die Samen dafür hat er jedenfalls selbst vor zehn Jahren in Galizien verstreut, als er wenige Wochen nach der Germanwings-Katastrophe auf Pilgerreise auf dem Jakobsweg war.
Drei der dabei ausgesäten Körner stehen stellvertretend für die drei Westerwälder Opfer des Flugzeugabsturzes (das vierte für einen tödlich verunglückten Motorradfahrer und das fünfte für einen Menschen, der sich selbst das Leben genommen hat), die aus Hufskys Pfarrgemeinde Liebfrauen Westerburg kamen. Der Seelsorger kennt alle Familien.
Als sich schnell nach der Schreckensnachricht über die Germanwings-Maschine aus den französischen Alpen herauskristallisierte, dass Mitglieder seiner Pfarrei an Bord waren, übernahm der Pfarrer zusammen mit dem damaligen Rothenbacher Ortsbürgermeister Holger Bäcker, aus dessen Gemeinde zwei der drei Verstorbenen stammten, die Rolle als Ansprechpartner für Journalisten aus aller Welt, die damals auch über die Toten aus dem Westerwald berichteten. „Wir haben sofort die Initiative ergriffen, weil wir es als unsere Aufgabe ansahen, dadurch die Familien zu schützen“, berichtet Hufsky zehn Jahre später im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir wollten den Angehörigen diese Last abnehmen.“

Als ehemaliger Militärseelsorger und nach Auslandseinsätzen unter anderem im Kosovo bringt der Westerburger Pfarrer nicht nur Erfahrungen im Umgang mit Ausnahmesituationen mit, sondern er wurde in dieser Funktion auch für Pressearbeit geschult – Fähigkeiten, die ihm damals sehr geholfen hätten, wie er sagt. Zudem habe er sich auch in dieser erschütternden Zeit auf Eingebungen Gottes verlassen. Eine solche sei gewesen, zeitnah einen Gedenkgottesdienst für die Opfer aus seiner Pfarrei – die beiden jungen Männer aus Rothenbach und eine junge Frau aus Westerburg – zu organisieren. Dabei habe er stets das Heft des Handelns in der Hand behalten.
Wettbieten der politischen Parteien vor dem Gedenkgottesdienst
Trotz verschiedener Versuche aus der Politik, diese Trauerfeier in der Kirche in Rothenbach für eigene Interessen zu vereinnahmen, sei er standhaft geblieben. „Es gab in diesen Tagen ein Wettbieten der politischen Parteien. Aber mein Ziel war es, den Familien, Freunden und Bekannten der Opfer Trost zu spenden, eine Gelegenheit zum Erinnern und zum Abschiednehmen zu schaffen. Deshalb gab es von mir eine klare Ansage: Keine Reden von Politikern in diesem Gottesdienst!“ Die Landesspitzen der Parteien hätten dies schließlich akzeptiert und seien trotzdem alle am Freitag nach der Katastrophe zu dem Requiem in den Westerwald gekommen.

Aus der Ursprungsidee eines schlichten Gottesdienstes ohne größere Öffentlichkeit wurde dennoch nichts, weil dieser Plan von den Geschehnissen während der Woche überrollt wurde. Die Entwicklung, dass der Co-Pilot des Flugzeugs, ebenfalls ein junger Westerwälder, die Maschine vorsätzlich zum Absturz gebracht haben sollte, sorgte dafür, dass auch die kleine Gemeinde Rothenbach plötzlich im Fokus der Weltpresse stand.

„Wir wollten, dass sein Name immer wieder genannt wird“
Die Eltern des 24-jährigen Westerwälders Sebastian Stahl, der zu den Opfern der Germanwings-Katastrophe gehörte, engagieren sich seit zehn Jahren in Bereichen in der Region, die ihrem Sohn wichtig waren.
Die kollektive Hilflosigkeit gegenüber dem Unfassbaren schweißte die Menschen in der Region fest zusammen, die zu Tausenden zur Herz-Jesu-Kirche strömten, um ihre Anteilnahme auszudrücken. Um den Angehörigen einen Gang durch die Menge zu ersparen, wurden sie von Hufsky durch einen Hintereingang in das Gebäude geführt.
Ausmaß der Trauer wurde hör- und sichtbar
Als die Glocken, die zum Gottesdienst gerufen hatten, verstummten, wurde das ganze Ausmaß der Trauer und der Tragödie deutlich: Zahlreiche Menschen ließen ihren Tränen und ihrer Verzweiflung freien Lauf. Die seelischen Schmerzen wurden so hör- und sichtbar. Trost fanden in der folgenden Stunde viele der Anwesenden in der ergreifenden Predigt von Pfarrer Hufsky, der deutlich machte: „Freude und Heil haben die drei (Verstorbenen) Ihnen gebracht. Ihnen, den Familien. Uns hier in Rothenbach und Westerburg, hier bei uns im Westerwald.“ Und er sprach eine Hoffnung aus: „Einmal da sehen wir uns wieder. Einmal sind wir auch da, wo Gott den Tod für immer vernichtet hat. Denn Gott hat den Tod nicht gewollt.“
Seine Rolle damals habe er als Leuchtturm verstanden, sagt der Geistliche: „Ich wollte leuchten für andere.“ Nach der ersten schlimmen Woche allerdings, in der er einfach funktioniert habe und an deren Ende der Gedenkgottesdienst stand, sei er – vermutlich vor Erschöpfung – krank geworden und habe einige Tage das Bett nicht verlassen können.

Auch nach dem Gedenkgottesdienst sei die Katastrophe für lange Zeit in der Pfarrei, ja im gesamten Westerburger Land präsent gewesen. Immer wieder, so Hufsky, sei er bei unterschiedlichen Begegnungen von Menschen darauf angesprochen worden, die dieses Unglück sehr beschäftigt habe – und die seine Worte bei der Gedenkfeier bewegt hätten. Bei all dem Schmerz und der Trauer, die zunächst wie Blei auf der Region lagen, habe man dieses furchtbare Ereignis in der Gemeinschaft einigermaßen gut bewältigt. Es sei gelungen, positive Erinnerungen an die Opfer lebendig zu halten.
Und es sei ein Geheimnis der Trauerarbeit, jeweils im eigenen Umfeld etwas Gutes zu tun, das einen selbst erfülle und sinnstiftend wirke. Das mache Tote zwar nicht wieder lebendig, helfe aber dabei, die Trauer in gute Bahnen zu lenken.
Pfarrer: Dokumentation reißt alte Wunden auf
Seit einigen Wochen bringt eine vierteilige ARD-Doku über die Germanwings-Katastrophe die Geschehnisse von 2015 wieder in Erinnerung (verfügbar in der Mediathek des Senders; am Montag, 10. März, 22.50 Uhr auch im Fernsehen). Pfarrer Ralf Hufsky aus Westerburg hat sich die Berichte angeschaut und fällt ein klares Urteil: Die Filme seien handwerklich gut gemacht, befriedigten aber letztlich nur die Sensationslust und rissen alte Wunden auf. „Die Dokumentation bringt nichts, sie zieht die Zuschauer nur runter. Ich kann keinem empfehlen, sich die Folgen anzuschauen.“ nh

Neue Doku: Warum riss Copilot 149 Menschen mit in Tod?
Im März ist es zehn Jahre her, dass eine Germanwings-Maschine in den Alpen zerschellt. 150 Menschen sterben. Eine ARD-Doku hat recherchiert, wie es zu der Tragödie kommen konnte. Auch im Westerwald hat die Tragödie tiefe Spuren hinterlassen.