Als Oliver Petri am Morgen des 7. August im Radio hört, dass im Moselort Kröv am Abend vorher ein Hotel eingestürzt ist, ahnt er noch nicht, dass diese Nachricht sein Leben und das seines Bruders Alexander verändern wird. Dass seine Mutter, Marina Petri, in Urlaub ist, das weiß er. Wo sie zum Wandern unterwegs ist, aber nicht. Daher denkt Petri auch nicht darüber nach, als im Laufe des Tages immer wieder über das Unglück in dem Moselort berichtet wird. Es berührt ihn nicht persönlich.
„Da steht die Polizei vor der Tür“
Bis zum frühen Mittwochabend. Er und seine Frau sitzen gemeinsam mit den beiden Söhnen, zwei und sieben Jahre alt, in ihrem Heimatort Malsch bei Wiesloch im Rhein-Neckar-Kreis beim Abendessen. „Schau mal Papa, da steht die Polizei vor der Tür“, habe der Siebenjährige irgendwann gesagt, erinnert sich der junge Familienvater im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch da habe er sich noch nichts dabei gedacht. Die Polizisten hätten ihn vor die Tür gebeten und ihm dann die Nachricht überbracht, die ihm, wie er sagt, den Boden unter den Füßen weggezogen habe.
Seine 64-jährige Mutter sei vor ein paar Stunden aus den Trümmern des Hotels in Kröv geborgen worden – tot. Von jetzt auf gleich, sei das Leben ein anderes gewesen. Seine Mutter, die kurz vor der Rente gestanden hat, die noch so viel erleben wollte, verreisen, mehr Zeit für ihre Hobbys – Tanzen und Wandern – und für ihre vier Enkelkinder, lebte nicht mehr. Als erstes der beiden Todesopfer des Unglücks von Kröv war sie fast 20 Stunden nach dem Einsturz der mittleren Etage aus den Trümmern geborgen worden.
Mit holländischer Familie zu Abend gegessen
Eigentlich sollte sie an diesem Tag abreisen. „Wie ich meine Mutter kenne, waren die Koffer schon gepackt“, erzählt ihr Sohn. Sie war mit einem Bekannten unterwegs. Von ihm, der selbst bei dem Einsturz schwer verletzt wurde, erfährt er, wie die letzten Stunden der 64-Jährigen waren. Stunden vor dem Unglück hätten sie im Hotel zu Abend gegessen. Dabei habe sich seine Mutter auch mit der jungen holländischen Familie unterhalten, die einen Tag zuvor in Kröv angekommen ist. Eine 23-Jährige und ihr 26-jähriger Ehemann mit ihrem kleinen Sohn. Seine Mutter habe sich gut mit den jungen Eltern verstanden, sie hätten gemeinsam gegessen. Vermutlich habe der Kleine sie an ihre Enkel erinnert, glaubt Oliver Petri. Dass der unbeschwerte, fröhliche Abend ein paar Stunden später ein tragisches Ende nehmen wird, ahnt zu dieser Zeit keiner.
In die Tiefe gefallen
Die holländische Familie überlebt, der 26-Jährige wird lebensgefährlich verletzt, noch immer wird er in den Niederlanden im Krankenhaus behandelt. Kurz bevor es zu dem Unglück gekommen ist, sei an die Zimmertür seiner Mutter geklopft worden, berichtet ihr Sohn. Das habe er von dem Begleiter der 64-Jährigen erfahren. Wie alle Hotelgäste seien sie aufgefordert worden, die Zimmer zu verlassen. Seine Mutter sei dann noch ins Bad gegangen, um etwas zu holen. Als sie dann aus dem Zimmer wollte, sei das gesamte Stockwerk zusammengebrochen. Die 64-Jährige und ihr Begleiter seien quasi eine Etage tiefer gefallen. Dort hätten sie dann im Dunkeln gelegen, unter Trümmern und im Staub. Der Freund der Mutter habe noch seine Hand an ihrem Knie gehalten, mit ihr gesprochen. Irgendwann sei es dann ruhig gewesen, sagt Oliver Petri. Seine Stimme stockt, als er darüber spricht.
„Die furchtbare Nachricht, dass unsere geliebte Mutter, Tochter, Schwiegermutter und Oma von vier Enkeln nicht mehr aus ihrem Urlaub zurückkehren wird, traf uns hart. Sie fuhr dorthin, um ihrem Hobby nachzugehen, dem Wandern. Wandern in der Natur“, heißt es auf einem Spendenaufruf, den Oliver gemeinsam mit seinem Bruder im Internet veröffentlicht. Dort bitten sie um Spenden für die Beisetzung ihrer Mutter (wir berichteten).
Kolleginnen und Kollegen fassungslos
Mehr als 20 Jahre arbeitete Marina Petri als zahnmedizinische Fachangestellte in einer Zahnarztpraxis. In ein paar Monaten wäre sie in Rente gegangen. In der Traueranzeige der Praxis für die 64-Jährige heißt es, man habe sie mit ihrem „freundlichen Wesen, ihrer Zuverlässigkeit und ihrem Engagement schätzen gelernt“. Der plötzliche Tod der Mitarbeiterin „lässt uns fassungslos zurück“. Marina Petri war nicht nur begeisterte Wandererin. Auch Tanzen war eine Leidenschaft von ihr. Erst im Februar ist sie wieder zur Vorsitzenden des Tanzsportclubs Schwarz-Gold Mörlenbach gewählt worden.
Er habe noch immer nicht richtig begriffen, was passiert sei, dass seine Mutter nicht mehr da sei, sagt Oliver Petri. „Derzeit funktioniere ich nur.“ Wirklich Zeit zum Trauern, zum Abschiednehmen, habe er noch nicht gehabt. Im Oktober soll die Beisetzung erfolgen. Bis dahin müsse noch viel erledigt werden, etwa Versicherungen kündigen, Konten auflösen. Oder die Wohnung der Mutter räumen.
Sohn stellt sich die Frage, warum seine Mutter sterben musste
Er selbst war bislang noch nicht an der Unglücksstelle in Kröv. Sein Bruder sei kürzlich da gewesen, als er das Auto der Mutter abgeholt habe, das immer noch dort geparkt war. Irgendwann will Oliver Petri aber an die Mosel. Zusammen mit der holländischen Familie, mit der die beiden Brüder in Kontakt stehen, sich austauschen über das Erlebte.
Dann, so hofft Petri, gebe es auch eine Antwort auf die Frage, warum es zu dem Einsturz kam. Was Petri auch beschäftigt, ist die Tatsache, dass die Obduktion der Leiche seiner Mutter eine natürliche Todesursache festgestellt habe. Lungenembolie (wir berichteten). Für ihn klingt das so, als wäre seine Mutter auch ohne das Unglück gestorben.
Ist der Verlust irgendwann zu akzeptieren?
„Ein Haus stürzt nicht einfach so ein“, sagt er. Er wolle wissen, warum die Hotelbesitzer die Gäste kurz vor dem Unglück gewarnt haben. Der 59-jährige Besitzer selbst hat das Unglück nicht überlebt. Tagelang war sein Leichnam unter den Trümmern begraben. Es gehe ihm nicht darum, jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, versichert Petri. Ihm gehe es darum, Gewissheit zu bekommen, warum seine Mutter sterben musste. Damit er besser mit der Trauer zurechtkomme. Und den Verlust der Mutter vielleicht akzeptieren könne.