Zukunft Bisherige Arbeitsministerin und künftige Chefin der SPD-Fraktion gilt vielen Genossen als Hoffnungsträgerin
Hoffnungsträgerin aus der Eifel: Wird das die Stunde der Andrea Nahles?

Andrea Nahles ist auf dem Weg zur SPD-Fraktionschefin. Die Genossin aus der Eifel hat als Arbeits- und Sozialministerin einiges durchgesetzt. Foto: dpa

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Berlin/Weiler. Es ist Anfang September, im Bundestag liefern sich die Abgeordneten den letzten Schlagabtausch der auslaufenden Wahlperiode. Wenn sich Andrea Nahles von der Regierungsbank erhebt, folgt das meistens einem Bewegungsmuster: Sie streckt ihren Körper mit einem Ruck einmal durch, zupft das Jackett glatt und geht zum Rednerpult. Dann legt sie los.

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Wahlkampf. Sie fordert eine Anhebung des Mindestlohns und rät den Frauen im Land, Martin Schulz zu wählen. Das bringe für die Frauen mehr, als Merkel zu wählen, der sie vorwirft, die Gesetze zur Lohngleichheit und für ein Rückkehrrecht in Vollzeit verhindert zu haben. Nahles ist richtig gut an diesem Vormittag. Die Kanzlerin, die sich sonst oft abwendet, wenn SPD, Linke oder Grüne auf sie schimpfen, hört zu und grinst zwischendrin. Merkel schätzt Nahles für Verlässlichkeit und Professionalität. Nahles' sichere politischen Instinkte nötigen der Kanzlerin Respekt ab.

Nahles wird zu solchen Begegnungen künftig deutlich mehr Gelegenheit haben. Denn sie wurde am Montag von SPD-Parteichef Martin Schulz als neue Fraktionschefin und damit Nachfolgerin von Thomas Oppermann vorgeschlagen. Morgen soll sie in dieses Amt gewählt werden. Bereits vor der Wahl galt Nahles als heiße Anwärterin für den Fraktionsvorsitz. Ihre fulminante Rede im Bundestag Anfang September wurde jedenfalls von vielen Genossen als Bewerbung für den Job als Oppositionsführerin verstanden.

Nach dem Wahldesaster von nur rund 20 Prozent gilt Nahles vielen Genossen als Hoffnungsträgerin. Die Arbeitsministerin, die in früheren Zeiten mit harten Bandagen an der Parteispitze mitmischte, hat sich in der laufenden Wahlperiode bewusst aus der Parteiarbeit herausgehalten. Sie hat einfach nur ihren Job gemacht: Mindestlohn, Rente ab 63, mehr Rechte für Leiharbeiter, Tarifeinheit, Angleichung der Ost-West-Renten – kaum ein Minister kann so viele dicke Gesetze vorweisen wie sie. Geholfen hat es der SPD nicht. „Das ist ein bitteres Ergebnis für die SPD“, kommentierte denn auch die Genossin aus dem Eifeldörfchen Weiler das niederschmetternde Abschneiden der Partei und ergänzte: „Wir brauchen einen programmatischen und organisatorischen Neuanfang.“

Bei den Gewerkschaften und den Arbeitgebern genießt die Ministerin Anerkennung. Dass bei SPD-Parteitagen wieder die Chefs aller großen Gewerkschaften in der ersten Reihe sitzen, ist vor allem ihr Verdienst. Bei den Arbeitgebern heißt es über sie: „Wir sind zwar nicht ihrer Meinung, aber sie hört zu, und sie ist verlässlich.“ Die Spitzen der Union reden ähnlich über sie. Neben Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) saß sie während der vergangenen vier Jahre oft scherzend oder freundlich plaudernd auf der Regierungsbank, auch wenn sie mit ihm hinter den Kulissen hart um die Zuschüsse für die Angleichung der Ost-West-Renten verhandelte.

Dem früheren Parteichef Sigmar Gabriel wurde erst klar, was er an der organisationsstarken und machtpolitisch erfahrenen Nahles hatte, als sie vom Amt der Generalsekretärin an die Spitze des Arbeitsressorts gewechselt war. Nahles ist nicht nur Politikerin, sie ist auch Mutter einer sechsjährigen Tochter. Vom Vater des Kindes lebt sie getrennt. Die Vereinbarkeit von Ministerjob und Familie gelang ihr dank guter Logistik: Gelegentlich schaltete sie sich per Videokonferenz von ihrem Haus in der Eifel ins Ministerium. Immer wieder nutzte sie auch den Bonner Zweitsitz ihrer Behörde zum Regieren. Von dort ist es für sie nicht weit nach Hause. Ab und zu turnte Tochter Ella auch über die Flure im Berliner Ministerium.

Wie man dramatische Machtwechsel an einer Parteispitze vollzieht, zeigte sie mehr als einmal. Der Legende nach hat die 47-Jährige drei SPD-Chefs auf dem Gewissen. Noch als Juso-Chefin organisierte sie beim Parteitag in Mannheim 1995 die Mehrheiten für den Sturz des damaligen SPD-Chefs Rudolf Scharping und half damit Oskar Lafontaine an die Spitze der Partei. Auch Gerhard Schröder setzte sie hart zu: Ihn bezeichnete sie wegen seiner Arbeitsmarktreformen als „Abrissbirne“ des Sozialstaats. 2004 gab Schröder als Kanzler unter dem Druck des linken Parteiflügels den Parteivorsitz an Franz Müntefering ab. 2005 wiederum setzte sich Nahles in einer Kampfabstimmung im Vorstand als Kandidatin fürs Amt der Generalsekretärin durch. Müntefering, der sie als Generalsekretärin ablehnte, kandidierte daraufhin nicht erneut für den Parteivorsitz.

In die Wiege gelegt wurde der Maurerstochter aus der Eifel die politische Karriere nicht. In ihrem konservativ katholisch geprägten Heimatort Weiler bei Mayen gab es nicht mal einen SPD-Ortsverein. Den gründete Nahles, nachdem sie 18-jährig in die Partei eingetreten war. In der Abiturzeitung gab sie als Berufswunsch „Hausfrau oder Bundeskanzlerin“ an. Es gilt nicht mehr als ausgeschlossen, dass sie 2021 als erste Frau ihrer Partei in den Bundestagswahlkampf zieht. Mit dem Fraktionsvorsitz wird das wahrscheinlicher.

Von Jan Drebes und Eva Quadbeck

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