Von unserer Redakteurin Doris Schneider
Die Wiederwahl des Behindertenbeauftragten, die nach fünf Jahren turnusgemäß bei der Novembersitzung im Rat anstand, wurde jedenfalls von der Tagesordnung genommen. Die CDU-Fraktion hatte „Beratungsbedarf“ angekündigt. „Aber tatsächlich spricht niemand mit uns“, sagt Christian Bayerlein. Uns, das sind er und sein Stellvertreter Joachim Seuling, der erst in der Ratssitzung mitbekam, dass die Wiederwahl verschoben wurde.
Zuvor hatten sich die Behindertenverbände, der Sozialausschuss und der Haupt- und Finanzausschuss für die Wiederwahl von Bayerlein und Seuling ausgesprochen. „Ich habe der CDU-Fraktion dann klar gesagt, dass wir gesprächsbereit sind, wenn sie Bedarf haben“, sagt Seuling im RZ-Gespräch. Seitdem haben er und Bayerlein offiziell nichts mehr von den Ratsmitgliedern gehört.
Hinter den Kulissen ging es aber weiter. Ein „Unterhändler“ einer anderen Fraktion sprach bei Seuling vor und fragte ihn, ob er eventuell bereit sei, sich an Bayerlein vorbei zum Behindertenbeauftragten wählen zu lassen. Dabei sei deutlich klar geworden, dass die öffentliche Umgehensweise mit dem Tabuthema Sexualität und Behinderung den Hauptausschlag dafür gegeben habe, dass die CDU Bayerlein nicht wiederwählen wollte.
„Ich habe inoffiziell gehört, das, was ich veröffentliche, sei der CDU zu sexlastig“, sagt Bayerlein, der als Sachbearbeiter, zuständig für Intranet und Internet, im Bundesarchiv auf der Karthause arbeitet und sich seit Jahren, unter anderem bei Pro Familia mit dem Themengebiet Sexualität und Behinderung befasst. „Ich finde, das muss jeder selbst entscheiden, was er veröffentlicht“, sagt Seuling. „Was einer auf Facebook macht, ob er da politische Statements abgibt oder seine neueste Schlager-CD, das ist doch erst einmal jedem selbst überlassen.“ Auf seiner Facebook-Seite beklagte Bayerlein, auf Gesprächsangebote von ihm sei nicht eingegangen worden. „Stattdessen werden vollendete Tatsachen geschaffen und einer öffentlichen Debatte aus dem Weg gegangen. Tabu soll mal schön Tabu bleiben.“
Hat die CDU ein Problem damit, dass sich Bayerlein zum Beispiel offen selbst als „Sex-Nerd“ bezeichnet, damit, dass er berichtet, dass er eine Zeit lang sogenannte Sexualbegleitung genutzt hat, also Prostituierte aufgesucht hat, damit, dass er offen über Sexualpraktiken und Lust schreibt und der taz in einem Interview sagte, dass es ihn angemacht habe, mit Menschen zu tun zu haben, für die Behinderung ein Fetisch ist? CDU-Fraktionsvorsitzende Anne Schumann-Dreyer will sich auf Nachfrage nicht äußern. „Bitte haben Sie Verständnis dafür. Das ist in nicht-öffentlichen Ausschüssen besprochen worden, dazu möchte ich nichts sagen.“
Und die CDU scheint nicht mehr allein dazustehen: In der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses am Montag, die der Vorbereitung der nächsten Ratssitzung diente, haben mehrere Fraktionen beschlossen, den Punkt nicht auf die Tagesordnung im Rat zu setzen. Statt dessen soll das Auswahlverfahren neu aufgerollt werden – die Behindertenverbände, die Bayerlein und Seuling 2009 vorgeschlagen hatten, sollen jetzt um neue Vorschläge gebeten werden.