Es gibt Tage, an denen das Handy von Jürgen Neumeyer nicht mehr stillsteht. 20, 30 Anfragen gehen dann bei dem Pressesprecher des Bundesverbands Cannabiswirtschaft ein. Von Journalisten natürlich. Vor allem aber auch von Landwirten. Eigentlich nicht die klassische Klientel der Branche. „Die suchen ja auch nach Alternativen“, sagt Neumeyer. Und sollte der Cannabisanbau in Deutschland tatsächlich auch für den Genusskonsum legalisiert werden, winkt den Produzenten ein Riesengeschäft. Auf rund 400 Tonnen wird der deutsche Markt taxiert, der bisher bekanntlich vornehmlich von illegalen Produzenten bedient wird. Bei einem Preis von rund 10 Euro pro Gramm wäre das ein Umsatz von 4 Milliarden Euro.
Auflagen für die medizinischen Produkte sind hoch
Bisher ist der Cannabisanbau noch ein eher zartes Pflänzchen. Bundesweit sind für medizinische Zwecke gerade mal 2,6 Tonnen erlaubt, die von drei Unternehmen in Dresden, Leuna und Neumünster produziert werden. Also noch viel Luft nach oben. „Etliche Firmen bereiten sich schon auf den Markt vor“, weiß Neumeyer aus Gesprächen – etwa mit dem Bauernverband. Goldgräberstimmung. Mittelfristig könne Cannabis aus kontrolliertem Anbau sogar den illegalen Handel austrocknen, hofft er. „Wir brauchen aber rechtliche Sicherheit“, sagt Neumeyer.
Etliche Firmen bereiten sich schon auf den Markt vor.
Jürgen Neumeyer, Pressesprecher des Bundesverbands Cannabiswirtschaft
Auch bei den Auflagen. Denn die sind für medizinische Produkte hoch. Und somit teuer. Hinzu kommt die Cannabissteuer, die nach den Plänen der Bundesregierung zusätzlich zur Mehrwertsteuer erhoben werden soll. „Wir schlagen vor, sie nach THC-Gehalt zu staffeln“, sagt der Verbandssprecher. Heißt konkret: Je höher der Anteil der psychoaktiven Stoffe, desto höher auch die Steuer.
Und der schwankt bei Tetrahydrocannabinol ganz erheblich. Bisher sind gerade mal 0,2 Prozent erlaubt. Das ist nicht sonderlich berauschend. Bei legalem Konsum hingegen – etwa zur Schmerzlinderung oder bei ADHS – kann der Wert Neumeyer zufolge durchaus auch bei 20 bis 25 Prozent liegen. Laut Bundesregierung soll es auch keine Beschränkung nach oben geben. Obwohl auch Neumeyer einräumt, dass Cannabiskonsum gerade in hoher Dosis Risiken birgt. „Bei einer Disposition für Psychosen kann der Konsum von Cannabis verstärkend wirken.“ Sollte der Gesetzgeber dann nicht besser Höchstwerte einführen? „Nein“, sagt der Verbandssprecher. „Dann würden wir dieses Feld ja dem Schwarzmarkt überlassen.“
Kann illegales Cannabis über den Preis verdrängt werden?
Fraglich ist allerdings, ob illegales Cannabis über den Preis verdrängt werden kann. Wohl eher nicht. Denn der legale Anbau wird nicht nur durch Steuern verteuert. Auch die Produktion ist weitaus aufwendiger als in den warmen bis heißen Herkunftsländern illegaler Drogen, wo Cannabis im Freien wächst. Vor allem in den energieintensiven Indoor-Anlagen, in denen die Pflanzen mit Lampen bestrahlt werden müssen, schießen die Kosten in die Höhe. Gleiches gilt für Gewächshäuser.
Ein Verfahren einzuleiten, das später so gut wie sicher wieder eingestellt wird, ergibt keinen Sinn.
Der stellvertretende BdK-Landesvorsitzende Lothar Butzen spricht sich für eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums aus.
„Deshalb brauchen wir auch den Freilandanbau von Hanf“, fordert Neumeyer. Und da kommen die Landwirte ins Spiel. „Dann reden wir beim Preis nicht mehr von Gramm, sondern von Kilos.“ Hanf enthält kein THC, sondern Cannabidiol. „CBD ist nicht psychoaktiv“, betont der Pressesprecher. Und in der Produktion vergleichsweise günstig, weil Hanf auf großen landwirtschaftlichen Flächen angebaut werden könnte. Theoretisch.
„Es gibt unserer Ansicht nach keine guten Drogen“
Bei der Polizei im Land sieht man die Legalisierung von Cannabis erwartungsgemäß etwas anders. „Es gibt unserer Ansicht nach keine guten Drogen“, erklärt Stefanie Loth von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) auf Anfrage unserer Zeitung. Die stellvertretende Landesvorsitzende will an der harten Linie gegenüber Cannabis festhalten. Und zwar nicht nur beim Handel. „Wir wollen auch keine Entkriminalisierung des Konsums“, betont die Polizeigewerkschafterin. Stefanie Loth hat dabei auch den Straßenverkehr im Blick. „Wir wollen da zu null Toten kommen“, sagt sie. Die Enthemmung durch Cannabis wirke dem entgegen.
Mit Alkohol am Steuer habe die Polizei schon genug zu kämpfen. Hinzu komme, dass Cannabiskonsumenten oft noch schwerer einschätzen könnten, ob sie noch fahrtüchtig sind. Loth glaubt auch nicht, dass es unter 18-Jährige abschrecken wird, dass der Konsum für sie verboten bleibt. „Jugendliche werden auch weiter an dieser Droge interessiert sein“, vermutet sie. Möglicherweise würden Minderjährige im Fall einer Legalisierung künftig von Erwachsenen mit Cannabis versorgt, die die Droge dann straffrei erwerben könnten. Zudem setze eine Legalisierung auch ein falsches Zeichen bei der Prävention.
Das Urteil des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BdK) fällt etwas differenzierter aus. Der stellvertretende Landesvorsitzende Lothar Butzen will verstärkt die Hintermänner des Drogenhandels ins Visier nehmen – und nicht wie bisher jeden, der sich zu Hause mal eine Tüte dreht. „Wir sprechen uns für eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums aus“, sagt Butzen.
Der illegale Markt wird nicht ganz verdrängt werden
Das mag erst mal überraschen. Aber ein Blick in die Statistik des Landeskriminalamts in Mainz zeigt, dass die Polizei unter Strafverfahren geradezu begraben wird. 9204 konsumnahe Vergehen haben die Beamten in Rheinland-Pfalz 2021 bearbeitet. Das sind rund 58 Prozent aller entsprechenden Drogendelikte überhaupt. „Aufwand sollte nicht das Hauptargument sein“, räumt Butzen ein. Doch die bisherige Rechtsprechung bindet viel Personal. Und nicht nur das. Denn die Strafverfolgung läuft in der Regel ins Leere. „Ein Verfahren einzuleiten, das später so gut wie sicher wieder eingestellt wird, macht keinen Sinn“, beklagt Butzen. Frei werdende Kräfte würde der Trierer Kripobeamte lieber auf das organisierte Verbrechen ansetzen, das Cannabis ins Land schleust.
Wer sind denn die Hintermänner? „Das ist nicht mehr Herr Schmidt, der die Nachbarn mit ein paar Gramm aus den Niederlanden versorgt“, räumt der Kriminaldirektor mit alten Klischees auf. „Das sind richtig gut organisierte Banden.“ Produziert werde die Droge bisher vor allem in Marokko, Afghanistan und in Albanien. Von einer kompletten Legalisierung des Handels hält Butzen deshalb rein gar nichts.
„Der illegale Markt wird sich nicht einfach so verabschieden“, prognostiziert Butzen. Dazu müsse sich die legale Produktion in Deutschland ja mehr als verhundertfachen. „Ein Austrocknen kann so gar nicht funktionieren.“ Butzen verweist dabei auf das Beispiel Kanada, wo Anbau, Handel und Konsum von Cannabis schon legal sind. „Dort wird immer noch rund 50 Prozent des Cannabis über den illegalen Markt geliefert.“
BdK-Landesverband tendiert zum portugiesischen Modell
Der Kriminaldirektor erinnert überdies an die Gefahren von Cannabis. „Das ist keine harmlose Droge. Das ist total gefährlich.“ Denn in den vergangenen Jahren sei der THC-Gehalt von Cannabis deutlich gestiegen. Mit erheblichen Folgen. Die Zahl der gesundheitlichen Schäden und Behandlungen sei in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt, betont er mit Verweis auf Suchtexperten.
Im BdK-Landesverband tendiert man deshalb eher zum portugiesischen Modell. „Dort wird sehr viel in Prävention investiert“, erklärt Butzen. In dem Land ist der Besitz von Drogen in geringer Menge zum eigenen Gebrauch nicht strafbar, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit. Gleichzeitig erhalten Konsumenten Hilfsangebote wie Therapien. Damit könnte sich auch Butzen anfreunden.
Das Modell der Ampelkoalition geht ihm hingegen viel zu weit. Es berge enorme Gefahren – und verstoße darüber hinaus wohl auch gegen europäisches Recht. Beim Bund deutscher Kriminalbeamten kommt man deshalb in einem Positionspapier zur kontrollierten Abgabe von Cannabis zu dem Schluss: „Eine Legalisierung kann nur umgesetzt werden, wenn sowohl der Verkauf als auch der Erwerb, Besitz und Konsum mit dem geltenden Recht vereinbar sind“, heißt es dort. „Die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission oder eine Klage anderer EU-Mitgliedstaaten vor dem Europäischen Gerichtshof (ähnlich der beabsichtigten Mauterhebung in Deutschland) wären durchaus möglich.“