Montabaur – „Es gibt auf dieser Welt Geld wie Dreck, Geld wie Heu – es ist nur völlig falsch verteilt.“ Heiner Geißler, einer der altgedientesten, aber längst noch nicht ausgedienten Christdemokraten Deutschlands, zeigte in Montabaur unverblümt seinen Zorn auf die aktuell politisch Agierenden.
Und fegte damit fehlendes Geld als Begründung für Sparmaßnahmen auf Kosten der Armen vom Tisch. „Wir müssen das Geld bei denen holen, die darin schwimmen, sich aber nicht um ihre soziale Verantwortung kümmern“, forderte er und begrüßte gerade als (in seiner Partei umstrittenes) Attac-Mitglied die Einführung der Finanztransaktionssteuer.
Ohne Honorar zu verlangen, war der Landes- und Bundesminister a. D. in den Westerwald gekommen, um anlässlich des Europäischen Jahres zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zur Situation von Familien und Kindern Stellung zu beziehen. Und die sehe bei immerhin schon zehn Millionen Bundesbürgern alles andere als rosig aus. Die Überwindung dieser „prekären Verhältnisse“ (Geißler: „Der Begriff verschleiert nur die Armut.“) sei eine Frage der Menschenwürde und deshalb nach dem Grundgesetz eine der wichtigsten Pflichten – aber, so der Christdemokrat: „Hornhaut hat sich auf die Seele vieler Verantwortlicher gelegt.“
Empört machte er das am Beispiel der Jobagenten deutlich: Diese Arbeitsvermittler würden längst an ihren Einsparergebnissen gemessen. Meist hätten sie aber selbst nur Ein-Jahres-Verträge. Im Zweifel würden sie also zugunsten des Ergebnisses und ihres Joberhalts möglichst viel Geld einsparen – und sich damit gegen die Würde der ihnen anvertrauten Menschen entscheiden. „Wenn jetzt weitere Pflicht- in Ermessensleistungen umgewandelt werden, ist das eine Katastrophe für die Betroffenen. Den ohnehin Armen fehlen dann weitere 2 Milliarden Euro.“ Geißler stockte und erinnerte sich unter tosendem Beifall an seine eigene Amtszeit: „Wir hätten damals mit Dreschflegeln dreingeschlagen angesichts einer solchen Willkür!“
Und der altgediente Politiker war sich schon sehr bewusst, aus welchem Anlass (dazu gehörte auch das 30-jährige Bestehen des Caritasverbandes Westerwald-Rhein-Lahn) und zu wem er sprach, dass er nicht auch eine radikale Botschaft den Kirchenmännern (hier wünschte er sich auch mehr Kirchenfrauen) mit auf den Weg gab: „Die Kirche darf sich nicht zu schade sein, auf die Straße zu den notleidenden Menschen zu gehen.“ Nichts anderes habe Jesus getan. Deshalb ging Geißler mit seinen Forderungen an die eigene Kirche noch weiter: Alle Kardinäle, Bischöfe, Weihbischöfe sollten in Berlin vom Alexanderplatz zum Brandenburger Tor ziehen, um den Parlamentariern und Regierenden wieder die Augen für das höchste Gut der Verfassung, die Würde des Menschen zu öffnen.
Markus Müller