Gemütlich durch die Prospekte zahlreicher Geschäfte blättern, mit dem Kuli bewaffnet die besten Schnäppchen und Spar-Aktionen markieren und dann mit ausgeschnittenen Rabatt-Coupons an der Supermarktkasse die Angebote einlösen: Was für viele Menschen über Jahrzehnte hinweg zur Einkaufsroutine zählte, wird nun immer seltener so ablaufen können. Apps und Internetseiten lösen die Printwerbung ab. Doch was ist mit den Menschen, die dazu keinen Zugang haben?
Viele bekannte Händler wie Rewe oder Obi haben schon vor Jahren ihre gedruckten Prospekte abgeschafft und informieren heute nur noch auf digitalem Weg über ihre Angebote. Auch Rabatte sind oft nur noch den Sparfüchsen vorbehalten, die auf den Online-Kanälen der Ketten unterwegs sind. Bei diesem Digitalisierungsprozess bleiben Menschen ohne Smartphone oder Internet – darunter viele Senioren – außen vor. Es stellt sich die Frage: Ist das schon Digitalzwang oder gar Altersdiskriminierung? Maximilian Heitkämper von der Verbraucherzentrale und Fabian Geib, Projektleiter der rheinland-pfälzischen Digitalbotschafter, erklären auf Nachfrage unserer Zeitung, inwieweit das zutrifft.
IFH-Studie zeigt: Viele Menschen vermissen die Printwerbung
Dass einige Menschen mit dieser Entwicklung unzufrieden sind, zeigte kürzlich eine Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) Köln. Von den mehr als 1000 Befragten gab mehr als die Hälfte der Personen an, die früher regelmäßig Printwerbung gelesen haben, diese nun zu vermissen und sich weniger gut über die Angebote der jeweiligen Supermärkte informiert zu fühlen. Oft sind es besonders Senioren, die sich mit dem Umstieg auf digitale Kanäle schwertun und denen durch den immer schneller voranschreitenden digitalen Wandel nun der Zugang zu bestimmten Angeboten erschwert wird.
„Es ist definitiv so, dass viele Senioren kein Smartphone haben oder damit nicht umgehen können“, sagt Maximilian Heitkämper, der den Fachbereich Digitales und Verbraucherrecht der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz leitet. Und damit stehen die älteren Menschen nicht alleine da: „Laut dem D21-Digitalisierungsindex gibt es 4,2 Millionen sogenannte Offliner in Deutschland“, sagt Heitkämper.
All diese Menschen werden durch die Digitalisierung an vielen Stellen vor Herausforderungen gestellt, doch der Fachbereichsleiter betont: „Es ist eine andere Kategorie, ob es um Rabattaktionen eines Supermarktes geht oder um einen Gegenstand der grundlegenden Lebensversorgung“, erklärt er. Nur in Ausnahmefällen könne man bei der Einstellung gedruckter Werbeprospekte von Altersdiskriminierung sprechen, etwa bei Senioren, die in Armut leben und beim Einkaufen auf Preisreduzierungen und Angebote angewiesen sind.
Dass sich viele ältere Menschen ausgeschlossen fühlen, obwohl es sich bei den Werbeprospekten meist nicht um eine essenzielle Lebensgrundlage handelt, findet Heitkämper dennoch verständlich. Er geht jedoch davon aus, dass Supermärkte bei diesem Thema einfach eine wirtschaftliche Entscheidung getroffen haben und billigend in Kauf nehmen, dass ältere Menschen dadurch den Eindruck bekommen, benachteiligt zu werden.
4,2 Millionen Menschen in Deutschland sind offline
Laut dem Verbraucherschützer liegt es in der Verantwortung jedes einzelnen, sich mit den digitalen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Dass viele Menschen keine Lust haben, da mitzumachen und sich damit zu beschäftigen, führt er darauf zurück, dass Deutschland das Thema Digitalisierung lange „stiefmütterlich“ behandelt hat. Dadurch hängt das Land im europäischen Vergleich hinterher, und manche Bürger nehmen den Prozess mittlerweile eher als etwas Negatives wahr. Allerdings gibt es auch positive Beispiele, betont er. „Etwa die Digitalisierungsbeauftragten, die ein niederschwelliges Angebot bieten – diese müssen dann nur angenommen werden.“
Grundsätzlich fordert er, dass mehr Energie darin investiert wird, die 4,2 Millionen Offliner in Richtung Digitalisierung mitzunehmen. Gleichzeitig sollten betroffene Menschen das Gefühl, außen vor zu sein, „als Ansporn und Motivation nehmen, sich mit digitalen Kanälen auseinanderzusetzen oder sich dabei Hilfe zu suchen“. Die Digitalisierung sei ja nichts, was wieder weggeht, sagt Heitkämper.
Online-Rabattaktionen werden Thema bei den Digitalbotschaftern
Um die Senioren bei diesem Prozess zu unterstützen, gibt es deutschlandweit Hilfsangebote wie beispielsweise die Digitalbotschafter. Das sind meist Menschen, die sich selbst bereits im Rentenalter befinden und ihrer Generation niederschwellig dabei helfen, bei der Digitalisierung am Ball zu bleiben. In Rheinland-Pfalz ist das Projektteam rund um Fabian Geib für die Schulung der Digitalbotschafter zuständig.
Seit wenigen Monaten erreichen den Projektleiter auch immer öfter Rückmeldungen, dass einige Senioren gegenüber den Digitalbotschaftern Fragen zur Umstellung von Printprospekten auf Online-Angebote geäußert haben. Zu diesem spezifischen Thema wurden die Botschafter bisher nicht intensiv geschult, doch das soll sich aufgrund der steigenden Nachfrage nun ändern: „Wir planen im Sommer ein Webseminar gemeinsam mit der Verbraucherzentrale, in dem wir das Thema aufgreifen werden und die Digitalbotschafter sich fortbilden können, um ihr Wissen dann wieder in ihren Angeboten weiterzugeben“, erklärt Geib.
Dabei wird die Schwierigkeit bei der Nutzung der Online-Angebote von Supermärkten nicht anders behandelt als die anderen Themen, bei denen die Digitalbotschafter mit Rat und Tat zur Seite stehen. „Die Teilnehmenden stehen ja immer vor der gleichen Herausforderung: dass für sie in der Regel alles neu ist.“ In Gruppen oder Einzelsprechstunden werde sich Zeit genommen, den älteren Menschen die Grundlagen Schritt für Schritt – „mit viel Geduld und vielen Wiederholungen“ – beizubringen, sagt Geib. „So wird nach und nach immer mehr Sicherheit im Umgang mit einzelnen Apps und vor allem Strukturwissen vermittelt, um das Gelernte auch auf andere Apps übertragen zu können.“
„Wichtig sind außerdem analoge Alternativen, um einer sozialen Ausgrenzung entgegenzuwirken.“
Fabian Geib, Projektleitung Digitalbotschafter Rheinland-Pfalz
Grundsätzlich ist Geib der Meinung, dass ältere Menschen bei der Entwicklung neuer Apps, Benutzeroberflächen oder mobiler Geräte nicht ausreichend berücksichtigt werden. „Man müsste sie mehr in die Entwicklung einbinden“, findet er. „Wichtig sind außerdem analoge Alternativen, um einer sozialen Ausgrenzung entgegenzuwirken“, ergänzt der Projektleiter. Ein Digitalzwang sei nicht zielführend, auch wenn es heutzutage immer wichtiger wird, auch in hohem Alter eine gewisse Medienkompetenz zu erlernen. „Das zeigen ja viele andere Beispiele wie auch die elektronische Patientenakte. Und da ist auch eine gewisse Eigeninitiative von den Bürgern gefragt“, so Geib.
Er erklärt aber auch, dass es – allerdings aus verschiedenen Gründen – Menschen gibt, die sich nicht in die digitale Welt einarbeiten. Alle, die potenziell können und möchten, sollen laut dem Projektleiter auch niederschwellig dazu befähigt werden, aber: „Das heißt zeitgleich nicht, dass Personen aufgrund fehlender Kompetenzen oder Bereitschaft ausgeschlossen werden dürfen.“