Mit geübten Handgriffen holt Annika Seibold das Kehrgerät aus dem Kofferraum ihres Autos und wechselt die Kehreinlage. Als das Metall der überdimensionalen, kreisförmigen Bürste auf den Boden aufkommt, ertönt ein schallerndes Klackern, das andeutet, dass das Gerät ein gewisses Gewicht haben muss. Die 32-jährige ist Schornsteinfegermeisterin und arbeitet bereits seit mehr als zehn Jahren im Kehrbezirk Mayen-Koblenz IV. Mit einem Praktikum während der Schulzeit fing alles an. Seitdem gibt es für die junge Frau keinen schöneren Beruf als das Schornsteinfegerhandwerk.
Höhe und Schmutz dürfen kein Problem sein
Am heutigen Tag stehen verschiedene Kundentermine an. Als Erstes muss der Kamin einer Firma im Polcher Industriegebiet gereinigt werden. Hier wird die 32-Jährige schon erwartet. Das Fenster, durch das sie zu der Leiter gelangt, die sie aufs Dach führt, ist bereits geöffnet. „In meinem Beruf muss man schon schwindelfrei sein“, sagt Seibold und lächelt. Dann erklimmt sie mit schnellen, gekonnten Schritten die schmale Metalleiter. Oben angekommen, reinigt sie den Schornstein mit ihrem Kehrgerät. Dabei steigt eine beträchtliche Menge Ruß aus dem Kamin empor. Ihre Hände sind schmutzbedeckt – für die Schornsteinfegermeisterin jedoch kein Problem. „Angst vor Dreck darf man auch nicht haben“, betont die junge Frau aus Masburg (Kreis Cochem-Zell).
Vom Dach geht es in den Keller. Hier prüft die 32-Jährige die Rohre und entfernt den durch die Verbrennung und das Fegen entstandenen Ruß aus der Anlage. Mit einem Handspiegel, den sie in den Schornstein hält, schaut sie schließlich, ob dieser komplett sauber und durchlässig ist. Wenn Tageslicht zu sehen ist, hat alles geklappt. Hier ist alles in Ordnung. Damit ist dieser Auftrag erledigt. Bevor es jedoch zum nächsten Kunden geht, baut Seibold ihr Kehrgerät um, da die größere Kehreinlage in Privathaushalten meistens nicht benötigt wird. Auf dem Weg durch das Polcher Neubaugebiet winken der Schornsteinfegermeisterin einige Fußgänger freundlich zu. Sie ist bekannt und beliebt in der Region. „Man erfährt viel Wertschätzung durch den Kunden. Auch wenn ich nur ein bis zweimal im Jahr komme, erzählen mir viele Leute ihr halbes Leben“, sagt die junge Frau.
Zahl der Auszubildenden im Schornsteinfegerhandwerk ist gering
Obwohl das Verhalten der Kunden zeigt, dass die meisten Menschen den Schornsteinfegerberuf zu schätzen scheinen, zeichnet sich im Schornsteinfegerhandwerk ein eher negativer Trend ab. Denn dort ist der Anteil der weiblichen Auszubildenden, wie auch die Gesamtzahl der Auszubildenden, rückläufig. Während es bei der Handwerkskammer (HwK) Koblenz im Jahr 2015 noch 49 Auszubildende für den Schornsteinfegerberuf gab, darunter 40 Männer und 9 Frauen, waren es im vergangenen Jahr nur noch 40, darunter 36 Männer und nur 4 Frauen. In ganz Deutschland beträgt der Frauenanteil im Schornsteinfegerhandwerk auch nur rund 10 Prozent (2020). Das teilt der Landesinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerks Rheinland-Pfalz auf Nachfrage mit.
Zahlen, die Annika Seibold jedoch nicht abschreckt haben, ihren Traumberuf auszuüben. „Durch ein Praktikum während der Schule habe ich gemerkt, dass der Beruf mir Spaß machen könnte und habe mich dann dazu entschieden, dort eine Ausbildung zu machen“, erklärt die Masburgerin rückblickend. Der praktische Teil der Ausbildung fand in einem Betrieb in Nassau an der Lahn, der theoretische in Kaiserslautern an einer Berufsschule, statt. Nach einer kurzen Zwischenstation in Dierdorf ist die junge Frau seit 2011 für Polch zuständig. 2012 machte sie ihren Meister. Nachdem ihr ehemaliger Chef in den Ruhestand gegangen ist, ist sie seit Januar 2022 nun selbstständig, hat ihren Freund zum Gesellen. „Diese Rollenverteilung ist auch mal ganz schön“, sagt sie und schmunzelt.
Auch die Überprüfung der Heizung ist eine Aufgabe
Weiter geht es im Berufsalltag: Bei der nächsten Kundin muss nicht nur der Schornstein gereinigt, sondern auch die Heizung überprüft werden. Das gehört seit einigen Jahren auch zur Aufgabe eines Schornsteinfegers. Bereits an der Tür wird die Schornsteinfegermeisterin mit einem freundlichen Lächeln von ihrer Kundin begrüßt: „Ach, die Annika ist wieder da“, sagt sie und scheint sich sichtlich über den Besuch von Seibold zu freuen. Es geht direkt in den Heizungsraum. Die 32-Jährige führt einen Testlauf der Anlage durch – es wird laut. Mit einem Messgerät für Emissionen überprüft sie, ob die Heizung Undichten aufweist und misst die Verbrennungsleistung. Das Messgerät zeigt verschiedene Kategorien und Zahlen an. Gekonnt liest Seibold die Werte ab und trägt sie in ihr digitales System ein. Auch technische Affinität ist eine Kernvoraussetzung für den Beruf.
„Diese Heizung hier läuft noch gut“, stellt die Schornsteinfegermeisterin schließlich fest und klebt eine Art „TÜV-Plakette“ auf die Anlage, die die jährliche Überprüfung dokumentiert. Die Kundin ist erleichtert, dass alles in Ordnung ist. Auf der Haustür wird noch ein kurzes Pläuschen gehalten. Dann verabschiedet sich die junge Frau bis zum nächsten Jahr.
Kunden sind meistens freundlich
So aufgeschlossen und freundlich wie die Kunden Seibold an diesem Tag begegnet sind, sei der Umgang meistens. Trotzdem habe es auch schon einige Situationen gegeben, in denen gerade männliche Kunden unpassende, sexistische Bemerkungen gemacht hätten. Das komme aber glücklicherweise ziemlich selten vor, verrät die 32-Jährige. Obwohl der Frauenanteil im Schornsteinfegerhandwerk sehr gering ist – zusammen mit ihr haben nur drei weitere Frauen die Ausbildung gemacht und auch in ihrer Meisterausbildung waren sie nur zu dritt – hat sich Seibold in ihrem Beruf nie unwohl gefühlt. „Ich habe es nie als Männerberuf empfunden. Für mich ist es ein ganz normaler Job, der mir Spaß macht“, betont die Schornsteinfegermeisterin.
Frauenanteil im Handwerk noch immer gering – Trend ist aber positiv
Obwohl bei den Meisterabsolventen der Handwerkskammer (Hwk) Koblenz im Jahr 2023 unter 713 Jungmeistern 144 weiblich waren – das entspricht 20 Prozent – und bei den Meisterinnen auch viele technische Berufe dabei sind, machen in handwerklichen Berufsfeldern trotzdem deutlich weniger Frauen als Männer eine Ausbildung. Das teilt die Pressestelle der HwK Koblenz auf Nachfrage mit. An der Hwk Koblenz wurden 2023 zum Beispiel insgesamt 1247 männliche Kfz-Mechatroniker ausgebildet, aber nur 416 weibliche.
Ähnlich sah es im Maler und Lackierer-Handwerk aus. Hier machten im vergangenen Jahr 251 männliche und nur 75 weibliche junge Menschen die Ausbildung. Im Berufsfeld der Tischler wagten 2023 neben 325 männlichen Auszubildenden allein 46 weibliche die Ausbildung in Koblenz. Trotz des immer noch geringen Frauenanteils in den handwerklichen Ausbildungen, zeigt der Trend, dass die Anzahl der weiblichen Auszubildenden in allen drei genannten Berufsfeldern gestiegen ist. Bei den Kfz-Mechatronikern waren es 2015 noch 53, 2023 aber schon 416 Frauen in der Ausbildung an der HwK Koblenz. Im Maler- und Lackiererhandwerk waren es 63 im Jahr 2015 und 75 im Jahr 2023. Bei den Tischlern machten 2015 26 Frauen die Ausbildung und 2023 schon 46, gibt die HwK Koblenz an.
Die Wirkung des Girls'Day
Dass Thementage wie der "Girls'Day das Interesse von Frauen an Männerberufen fördern, zeigt eine Studie des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit Bielefeld. Dabei wurden für die Erhebung zur Wirkungsweise des Girls'Day mehr als 5.000 Schülerinnen ab elf Jahren vor und nach ihrer Teilnahme am Aktionstag 2022 befragt, teilt die Landeskoordinierungsstelle des Girls’Day in Rheinland-Pfalz gegenüber unserer Zeitung mit. 94 Prozent der Mädchen waren mit ihrer Teilnahme zufrieden oder sehr zufrieden.
68 Prozent haben Tätigkeiten oder einen Beruf kennengelernt, die sie interessieren. 42 Prozent wollten in den Unternehmen der Branche arbeiten, die sie während des Girls'Day kennengelernt haben. Nach dem Orientierungstag konnten sich zudem deutlich mehr Teilnehmerinnen vorstellen, einen Beruf, eine Ausbildung oder ein Studium in diesem Bereich zu ergreifen. Vor dem Thementag wollten 12 Prozent der Mädchen einen IT-Beruf ergreifen, nach dem Tag 21 Prozent. Technische Berufe wollten vorher 6 Prozent der Teilnehmerinnen ergreifen und nach dem Tag 17 Prozent. Vor dem Tag konnten sich 17 Prozent der Mädchen vorstellen im Handwerk zu arbeiten, nach dem Tag 27 Prozent.