Es bestehe der Anfangsverdacht, dass der Ex-Landrat im Dezember 2021 Teile von Jugendamtsakten des Rhein-Lahn-Kreises „der dienstlichen Verfügung entzogen hat“. Aufbau und Inhalt der Akten des Jugendamtes seien aber zur Aufklärung des Tatvorwurfs von zentraler Bedeutung. Bei der Durchsuchung von Puchtlers Wohnräumen konnten Beamte der Kriminaldirektion und der Staatsanwaltschaft Koblenz aber „die mutmaßlich entnommenen Aktenteile des Jugendamtes“ nicht finden und sicherstellen.
Die Auswertung der Strafanzeige der ADD und der beigefügten Unterlagen habe zudem den Anfangsverdacht ergeben, dass der frühere Landrat Untreue zum Nachteil des Rhein-Lahn-Kreises begangen haben könnte. Er soll veranlasst haben, dass der Kreis Abschlagszahlungen an den bereits in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Träger von Integrationsmaßnahmen erbrachte und zugleich auf zeitnahe Abrechnungen der tatsächlich entstandenen Kosten verzichtete.
Schaden von 120.000 Euro?
Dadurch soll dem Kreis ein Schaden von circa 120.000 Euro entstanden sein. „Diese Summe entspricht dem Betrag, den der Kreis im Zeitpunkt des Insolvenzantrages des Zuwendungsempfängers zu viel gezahlt hatte“, berichtet die Oberstaatsanwältin. Aber sie entspricht auch der Summe, die Puchtler nach Informationen unserer Zeitung Anfang 2022 persönlich ausgeglichen hat. Er hatte offenbar zunächst noch weit mehr Geld aufs Konto der Kreisverwaltung überwiesen, von dort aber das überschüssige Geld wieder zurückerhalten.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz betont nach der Durchsuchungsaktion ausdrücklich die Unschuldsvermutung. Wenn sie etwa nach einer Anzeige der ADD ermitteln und einem Verdacht nachgehen müsse, bedeute dies noch nicht, dass sich jemand tatsächlich strafbar gemacht hat.
Tage vor der Durchsuchung hatte Justizminister Herbert Mertin (FDP) auf Antrag der CDU über den Themenkomplex Lebenshilfe Rhein-Lahn und Landrat a. D. Frank Puchtler den Rechtsausschuss des Landtages informiert. Im öffentlichen Teil der Sitzung erläuterte er die Vorgänge rund um die inzwischen insolvente Lebenshilfe und deren früheren Geschäftsführer. Gegen den habe die Staatsanwaltschaft Koblenz am 25. Mai 2022 Anklage zum Landgericht – Wirtschaftsstrafkammer – Koblenz erhoben. Ein Hauptverhandlungstermin, so Mertin, steht noch nicht fest.
Der Skandal um die Lebenshilfe Rhein-Lahn und das damit zusammenhängende Disziplinarverfahren der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) gegen Ex-Landrat Frank Puchtler hat jüngst auch den rheinland-pfälzischen Landtag beschäftigt.Lebenshilfe-Skandal: Mainzer Landtag beschäftigt sich jetzt mit dem Fall
Dem Ex-Manager werde vorgeworfen, zwischen Februar 2020 und Dezember 2021 in insgesamt 251 Fällen unberechtigt auf Kosten der gemeinnützigen Einrichtung Anschaffungen für private Zwecke – insbesondere von teuren E-Bikes – getätigt und sich von Konten der Einrichtung Geldbeträge verschafft zu haben. Hierdurch soll ein Schaden in Höhe von 598.000 Euro entstanden sein.
„Die Staatsanwaltschaft bewertet dies jeweils als Untreue in einem besonders schweren Fall“, so Mertin. Soweit die Untreuetaten in 62 Fällen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der gemeinnützigen Einrichtung erfolgt sein sollen, werde dem Angeschuldigten in der Anklageschrift „darüber hinaus jeweils tateinheitlich ein Bankrott durch Beiseiteschaffen von Vermögen zur Last gelegt“.
Zusätzlich soll der Mann nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft für das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in 24 Fällen mit einer Schadenssumme von circa 49.000 Euro zum Nachteil mehrerer gesetzlicher Krankenkassen verantwortlich sein. Schließlich wird dem Ex-Manager, der zeitweise in U-Haft war, vorgeworfen, einen Insolvenzantrag trotz Eintritts der Zahlungsunfähigkeit nicht rechtzeitig gestellt und dadurch den Tatbestand der Insolvenzverschleppung verwirklicht zu haben.
Die Vorgänge um die zwischenzeitlich insolvente Lebenshilfe gGmbH Rhein-Lahn und die Vorwürfe gegen Ex-Landrat Frank Puchtler (SPD) beschäftigen seit geraumer Zeit auch den Landtag sowie die Landesregierung in Mainz.Skandal um Lebenshilfe: Innenminister a.D. Lewentz wusste nichts von Vorwürfen gegen Ex-Landrat Puchtler
Die Staatsanwaltschaft Koblenz führe, so der Minister, darüber hinaus seit 2022 ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Ex-Geschäftsführer der Lebenshilfe Rhein-Lahn gGmbH aufgrund einer Strafanzeige des Rhein-Lahn-Kreises als örtlicher Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe U 18. Der Beschuldigte sei verdächtig, unrichtige Angaben über das Vorliegen der Voraussetzungen für die Auszahlung gemacht und dadurch zu Unrecht für die Lebenshilfe Leistungen des Kreises in noch zu ermittelnder Höhe bezogen zu haben. Die Ermittlungen in dauern an. Über den Verdacht gegen Puchtler konnte Mertin nur vertraulich berichten.
Lebenshilfe zieht Konsequenzen
Die Lebenshilfe Rheinland-Pfalz hat jetzt auch Konsequenzen gezogen und im April die Satzung geändert. Danach müssen Mitglieder des Landesverbands jetzt Protokolle von Mitgliederversammlungen und Bestätigungsvermerke der Wirtschaftsprüfer vorlegen. Hintergrund sei die Entwicklung der Lebenshilfe Rhein-Lahn, „die aufgrund von nicht stattfindenden Mitgliederversammlungen und fehlender Kontrollen durch Wirtschaftsprüfer Insolvenz anmelden musste“.