Trier/Friedrichsthal
Erst gab’s Wein, dann Nacktfotos: Wie Skandalpriester Dillinger Jugendliche auf sein Zimmer lockte
Skandalpriester Edmund Dillinger: Im Nachlass des 2022 verstorbenen Geistlichen wurden Hunderte Fotos gefunden, die eine jahrzehntelange Missbrauchstätigkeit dokumentieren. Seit unsere Zeitung diesen Fund öffentlich machte, melden sich immer mehr Betroffene und Zeugen.
Steffen Dillinger

Der Skandal um den im November verstorbenen Trierer Bistumspriester Edmund Dillinger dominiert seit Tagen nicht nur die regionalen Schlagzeilen. Jetzt äußert sich erstmals ein ehemaliger Messdiener, mit dessen Nacktaufnahmen eine Missbrauchsgeschichte begann, die vom Bistum mehr als 40 Jahre totgeschwiegen wurde.

Skandalpriester Edmund Dillinger: Im Nachlass des 2022 verstorbenen Geistlichen wurden Hunderte Fotos gefunden, die eine jahrzehntelange Missbrauchstätigkeit dokumentieren. Seit unsere Zeitung diesen Fund öffentlich machte, melden sich immer mehr Betroffene und Zeugen.
Steffen Dillinger

Als es irgendwann im Jahr 2012 bei ihm an der Haustüre klingelte, staunte der damals 56-jährige Hunsrücker nicht schlecht: Da stand der Pastor des Dorfes gemeinsam mit einem ihm unbekannten Abgesandten des Bistums Trier. Sie wollten mit ihm über einen lange zurückliegenden Vorfall reden, hätten die beiden Kirchenvertreter ihm seinerzeit gesagt, erinnert sich der Mann diese Woche an den nicht angemeldeten Besuch.

Wie sich herausstellte, ging es um eine mehr als vier Jahrzehnte zurückliegende Rom-Wallfahrt. Die hatte der damalige Hermeskeiler Pfarrer und Religionslehrer an einem örtlichen Gymnasium, Edmund Dillinger, 1970 für Messdiener und Pfadfinder aus der Region organisiert. Mit einem Bus waren die Jungs im Teenageralter damals mit religiöser Begleitung nach Italien gefahren.

Feucht-fröhlicher Abend in Rom

An einem Abend ging’s offenbar besonders feucht-fröhlich zu. In einer Bar in der Nähe des Kolosseums sollen die Minderjährigen besonders viel Alkohol getrunken haben – mit dem ausdrücklichen Segen des katholischen Geistlichen. „Pastor Dillinger hat uns damals Wein gegeben“, erinnert sich der ehemalige Hunsrücker Messdiener. „Heute würde ich sagen, er hat es drauf angelegt, uns betrunken zu machen.“

Offenbar mit Erfolg. Als es später am Abend zurück ins Hotel ging, „waren die meisten von uns besoffen“, sagt der damals 14-Jährige, der anonym bleiben möchte. Viele aus der Gruppe seien gleich ins Bett gegangen, andere hätten sich wegen des hohen Alkoholkonsums zuvor noch übergeben.

Pastor Edmund Dillinger sei damals mit zu ihm aufs Hotelzimmer gegangen. „Ich war ziemlich betrunken, lag auf dem Bett, und er hat mich immer ein Stückchen mehr ausgezogen und dabei Fotos gemacht“, erzählt der heute 67-Jährige. Irgendwann habe er registriert, „was da abgeht, bin aufgesprungen und schreiend raus auf den Flur gerannt“, erinnert sich der Messdiener. Etliche seiner Freunde hätten die Sache seinerzeit mitbekommen.

Ein junger Hilfspriester, dem er sich damals anvertraute, habe dann gemeinsam mit ihm den Plan ausgeheckt, Dillinger bei passender Gelegenheit den Film aus der Kamera zu entwenden. Der Plan ging auf. Der Hilfsgeistliche ließ den Film entwickeln und schickte die Nacktfotos an den damaligen Trierer Bischof Bernhard Stein. Der reagierte offenkundig und schob den in Ungnade gefallenen Priester – wie seinerzeit üblich – in ein Nachbarbistum. In Edmund Dillingers Lebenslauf heißt es, er sei im Dezember 1970 für ein Studium an der Universität Köln beurlaubt worden.

Der Hunsrücker Messdiener, von dem Dillinger in einem römischen Hotelzimmer die Nacktfotos gemacht hatte, hörte nach eigenen Angaben nichts mehr von der Sache, bis es an jenem Tag im Jahr 2012 an seiner Haustüre klingelte. 42 Jahre nach dem Vorfall wollten die Abgesandten des Bistums plötzlich wissen, was sich bei der Rom-Wallfahrt im Hotelzimmer abgespielt hatte. „Die wussten zwar haargenau Bescheid“, so der Hunsrücker, „wollten aber alles noch einmal bestätigt haben.“

Danach habe er auf Wunsch der Männer noch eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. „Ich musste unterschreiben, dass ich nie mehr darüber spreche“, sagt der ehemalige Messdiener im Gespräch mit unserer Redaktion. Ein paar Monate später seien dann auf seinem Konto 3000 Euro vom Bischöflichen Stuhl gutgeschrieben worden.

2012 war Stephan Ackermann bereits Bischof von Trier, und der Job des Generalvikars wechselte in dem Jahr vom jetzigen Offizial Georg Holkenbrink zum heutigen Bischof von Limburg, Georg Bätzing.

Vieles bleibt bis heute unklar

Warum in dem Jahr plötzlich ausgerechnet der 42 Jahre zurückliegende Vorfall in Rom plötzlich so große Bedeutung bekam, ist unklar. Jedenfalls wurde der längst mit kirchlichen und staatlichen Ehrungen ausgezeichnete Edmund Dillinger in dem Jahr mit einem Zelebrationsverbot belegt, nachdem „Hinweise auf sexuell übergriffiges Verhalten gefunden“ worden seien, wie es hieß.

Auf Nachfrage des „Trierischen Volksfreunds“ sagte eine Sprecherin am Donnerstag, dass das Bistum 2012 mit dem Betroffenen Kontakt aufgenommen habe, weil dies für die Klärung der Vorwürfe wichtig gewesen sei. Der Betroffene habe auch finanzielle Leistungen in Anerkennung des Leids erhalten. Bedingungen seien daran aber nicht geknüpft worden, so die Bistumssprecherin.

Eine konkrete Antwort auf die Frage nach dem Grund für die Verschwiegenheitserklärung blieb die Sprecherin schuldig. Auch auf die Frage, was mit den einst in Rom gemachten Fotos passiert ist und ob 2012 weitere Missbrauchsvorwürfe gegen Dillinger bekannt gewesen seien, schwieg sich die Sprecherin unter Verweis auf die bevorstehende Aufarbeitung des Falls aus.

Beim ehemaligen Hunsrücker Messdiener ist durch die breite Berichterstattung über den Priester, in dessen saarländischer Wohnung Tausende auch pornografische Fotos und Filme entdeckt worden sind, die inzwischen 53 Jahre zurückliegenden Erlebnisse wieder hochgekommen. Eine Frage, sagt er, drängt sich ihm zum Skandalfall Edmund Dillinger in den zurückliegenden Tagen immer wieder auf: „Warum hat man diesen Mann nur so lange gewähren lassen?“

Dillingers Versetzung ins Erzbistum Köln: Trier erwähnte seine Neigungen nicht

Als Vorwürfe gegen Edmund Dillinger im Bistum Trier bekannt wurden, wurde der Priester nach Nordrhein-Westfalen abgeschoben – offenbar aber ohne das Erzbistum Köln über die offensichtlich pädophilen Neigungen des Saarländers zu informieren. Das geht aus einem aktuellen Bericht der „Kölnischen Rundschau“ hervor, die sich auf Angaben des Erzbistums beruft.

Dillinger war zunächst zum Studium an die Universität Köln beurlaubt worden und dann von 1971 bis 1979 im Erzbistum Köln tätig, zeitweise auch als Religionslehrer an einer Mädchenschule, berichtet die „Rundschau“. Es habe einen Gestellungsvertrag mit dem Bistum Trier gegeben. „Eine Versetzung und Hinweise auf pädophile Neigungen werden in den vorhandenen Akten nicht erwähnt“, zitiert die Zeitung das Erzbistum.

Bisher lägen keine Hinweise darauf vor, dass der Priester auch auf dem Territorium der Kölner Erzdiözese sexuellen Missbrauch an Minderjährigen begangen hätte, heißt es. Hinsichtlich möglicher Hinweise auf sexuelle Übergriffe während der Einsatzzeit im Bereich des Erzbistums Köln befinde sich das Erzbistum im Austausch mit dem Bistum Trier. epd

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