Mit „Es war doch nur Regen“ landete Andy Neumann 2021 einen Nummer-eins-Bestseller. In ihm verarbeitete der mit seiner Familie in Bad Neuenahr-Ahrweiler lebende BKA-Beamte, der wie viele andere von der katastrophalen Flut im Ahrtal getroffen worden war, seine Eindrücke aus der Flutnacht und der unmittelbaren Zeit danach. Mit dem Buch und seinen Facebook-Einträgen, die er teilweise darin einbaute und einordnete, wurde er zu einer der maßgeblichen Stimmen im Tal.
Jetzt ist die mit Spannung erwartete Fortsetzung da, und sie wird – so viel sei schon verraten – den Erwartungen gerecht. Weil Neumann sich selbst treu bleibt. Auch „Vergiss mal nicht!“ ist in hohem Maße authentisch, persönlich und bis zu einem gewissen Teil auch schonungslos. Aber nur, um dann nach Lösungen zu suchen und den Kopf weiterhin hochhalten zu können. Nur wenige dürften die aktuelle Stimmung im Ahrtal so präzise einfangen können wie Neumann.
Harte Kritik ohne Populismus
Das Buch trägt den Untertitel „Eine Denkschrift“, und das nicht umsonst. Nach einem Jahr – das Buch erscheint heute exakt am Tag der Flut – ist vieles geschehen, aber noch viel mehr noch nicht. Neumann legt an vielen Stellen die Finger in die Wunden. Vor allem mit dem Land Rheinland-Pfalz, aber auch anderen Ebenen des Staates geht er hart ins Gericht. Dabei gleitet er aber nie – und das unterscheidet ihn von manch anderen, die lediglich Stimmung machen – in platten Populismus ab.
Der Müdigkeit, der Erschöpfung, der Enttäuschung und auch der Wut, der er aus eigener Anschauung oder der aus seinem nahem Umfeld trefflich Ausdruck zu verleihen weiß, setzt er „Liebe, Hoffnung und Humor“ entgegen. Die Liebe zur Heimat, die ihm und anderen überhaupt die Kraft gibt, weiterzumachen. Die Hoffnung, dass das Tal vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs und anderer Großereignisse nicht vergessen wird. Auch wenn ihm längst nicht immer zum Lachen war in den zurückliegenden Monaten: Er hat es nicht verlernt. Humor hilft in dunklen Stunden und beim Schreiben über sie.
„Vergiss mal nicht“ ist ein Weckruf zur rechten Zeit. Das Tal ist noch lange nicht wieder heil, und bei allem, was seine Bewohner selbst zu leisten imstande sind, darf man nicht dem Irrglauben erliegen, man könne jetzt schon in ihrer Unterstützung nachlassen. Dagegen schreibt Neumann an. Für seine Heimat.
Klare Kante gegen vermeintliche Helfer
Darüber hinaus – und das ist das größte Kunststück in diesem eigentlich recht schmalen Buch – spannt Neumann einen langen Bogen. Wir begleiten ihn in den Bundestag und zu den Anhörungen in Sachen Katastrophenschutz. Der Autor bezieht klare Position zu echten und falschen Helfern. Letztere erzeugen vor allem in den sozialen Netzen Scheinrealitäten, die dem Tal alles andere als guttun.
Wenn der Schlamm weg ist, könnte es im Ahrtal schöner werden als je zuvor, hofften viele – Stattdessen zermürbt man sich zwischen Visionen und Wirklichkeit. Warum trotzdem gerade jetzt Utopien gefragt sind – und wie die aussehen könntenWer für Windräder kämpft, kämpft gegen Windmühlen: Engagierte schildern ihre Utopien für's Ahrtal
So wird „Vergiss mal nicht“ auch eine kleine, aber wichtige Momentaufnahme unserer aktuellen gesellschaftlichen Debattenkultur. Und am Ende ist es auch noch ein eindringliches Plädoyer dafür, aus dem Klimawandel und seinen Folgen zu lernen. Was bislang an der Ahr trotz der Flut leider längst nicht überall gelingt ...
„Wir hatten eine Katastrophe erlebt, wir hatten – auch wenn es inzwischen ein bisschen wie Hohn klingt – Kriegszustände hier. Aber ich war noch nie stolzer, hier zu leben“, schreibt Neumann im Epilog. Ihm und den Menschen im Ahrtal ist auch deshalb zu wünschen, dass möglichst viele Menschen dieses Buch lesen.
Auf einen Blick
Andy Neumann: „Vergiss mal nicht“, Gmeiner Verlag, 102 Seiten, 10 Euro.