FamOS-Schulprojekt in Koblenz
Eltern stark machen für die Bildung ihrer Kinder
Schule wird in den Familiengrundschulzentren nicht nur ein Ort zum Lernen, sondern ein Ort der Begegnung, ein Ort mit vielfältigen Hilfsangeboten.
Bernd Weißbrod. picture alliance/dpa

Wenn Grundschulen den Blick nicht nur auf die Kinder, sondern auch auf deren Familien richten, trägt das zum Lernerfolg bei. Das ist der Gedanke hinter einem Projekt des Landes, den Familiengrundschulzentren. Drei Koblenzer Schulen ziehen Bilanz.

Lesezeit 9 Minuten

Ein Donnerstagmorgen, 7.40 Uhr: Im Mittagessensraum für die Ganztagskinder der Regenbogen-Grundschule im Koblenzer Stadtteil Lützel laufen die Vorbereitungen. Nicht fürs Mittagessen, sondern fürs Elterncafé, zu dem die Eltern einmal im Monat eingeladen sind. Die Grundschule ist als Familiengrundschulzentrum Teil eines Pilotprojekts des Landes Rheinland-Pfalz. Und dabei geht es um mehr als nur darum, Kaffee zu trinken: Es geht um Begegnung, Vernetzung, Beratung – und letztlich um bessere Bildungschancen für Grundschulkinder. Eine Spurensuche.

Birgit Baczyk verteilt Glasschälchen mit Keksen auf den Tischen, stellt Wasser bereit und füllt den Kaffee in Kannen ab. Auf den Tischen stehen Vasen mit gelben und orangefarbenen Tulpen. Der Raum sieht einladend aus. Die meisten Aktionen für das Pilotprojekt finden hier statt, erklärt Baczyk – etwa auch das Sprach- oder Nähcafé. Die Sozialpädagogin ist seit Ende November Schulkoordinatorin an der Grundschule für das Projekt FamOS – die Abkürzung steht für „Familiengrundschulzentren als multiprofessionelle Orte in der Schule“.

Drei Grundschulen in Koblenz sind Teil des Pilotprojekts FamOS

Das Projekt FamOS ist im Schuljahr 2023/24 an sieben Grundschulen in Koblenz und Wittlich gestartet, wie das rheinland-pfälzische Bildungsministerium erklärt. Im Sommer 2024 kamen vier weitere Grundschulen in Ludwigshafen dazu. Neben der Regenbogen-Grundschule in Lützel sind in Koblenz auch die Willi-Graf-Schule in Neuendorf sowie die Grundschule Wallersheim beteiligt.

Familiengrundschulzentren sollen einen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten, gerade an „Schulen in herausfordernder Lage“, erläutert das Bildungsministerium in einem Konzeptpapier. Die beteiligten Grundschulen sollen Knotenpunkte sein, „an denen vielfältige Angebote für Kinder und deren Familien gebündelt werden“. Auch die Eltern, so das Ministerium, sollen einbezogen werden. Denn: Ihr Einfluss auf den Lernerfolg sei gerade im Grundschulalter groß.

Mehrere Säulen: Bildung, Beratung, soziale und kulturelle Angebote

Das Projekt umfasst drei Säulen: Bildung durch Lernangebote wie Hausaufgabenhilfe oder Sprachkurse für Eltern, Beratung für Kinder und Eltern wie Kochkurse für gesunde Ernährung sowie kulturelle und soziale Angebote wie Näh- oder Selbstverteidigungskurse, „um positive Erlebnisse zu ermöglichen und soziale Kompetenzen und Vernetzung zu fördern“, erklärt das Ministerium in seiner Projektbeschreibung.

Um kurz vor 8 Uhr kommen die ersten beiden Mütter, um das Elterncafé in der Regenbogen-Grundschule in Lützel zu besuchen. Danach füllt sich der Raum nach und nach. Mehr als ein Dutzend Mütter und Väter sind gekommen. Ihre Kinder sitzen jetzt im Unterricht, sie kommen ins Gespräch mit anderen Eltern. „Das ist eine Supergeschichte, um zusammenzukommen“, meint Laura Maus. Während es bei anderen Elterntreffen oft um fachliche Themen gehe, sei die Atmosphäre hier locker und gemütlich. Man könne „einfach mal quatschen“, sagt Maus, die Mitglied des Schulelternbeirats ist.

Tauschen sich bei einer Tasse Kaffee beim Elterncafé aus (von links): Laura Maus, Sebastian Jadczak und Taner Ertem.
Cordula Sailer-Röttgers

Ihr Mann, Sebastian Jadczak, unterhält sich mit einem anderen Vater. Beide haben die Erfahrung gemacht, dass man bei Schulaktionen gut andere Eltern kennenlernt. „Man ist immer woanders zum Helfen eingeteilt“, erklärt Jadczak. Sein Gesprächspartner Taner Ertem erzählt, dass er beim Schulfest Dönerfleisch geschnitten hat. „Das war schön“, sagt der Vater. Kontakte zu anderen Eltern zu knüpfen, finde er gut.

Währenddessen verständigt sich Birgit Baczyk – mit Übersetzungshilfe via Smartphone – mit einer Frau, deren Muttersprache Bulgarisch ist. Baczyk gibt ihr einen Flyer für das jeden Montag stattfindende Sprachcafé. „Das Ziel ist es, einfach Deutsch zu sprechen, die Hemmung zu verlieren“, erklärt die Sozialpädagogin das Konzept des ebenso zu FamOS gehörenden Angebots. Laura Maus verabredet sich mit der anderen Mutter privat zum Kaffeetrinken, damit ihre Nebensitzerin die neue Sprache weiter anwenden kann.

Unkomplizierter Zugang zu Beratungsmöglichkeiten

Die Angebote helfen Eltern, sich untereinander zu vernetzen – „oder ich vernetze sie mit einem Hilfsangebot“, sagt Baczyk. Mit eingebunden ist auch die Schulsozialarbeit. Und zum Elterncafé schaut ein Team des Caritasverbands Koblenz vorbei, das Hilfe im Rahmen des vom Bund und der EU geförderten Programms EhAP Plus leistet. Das Programm bietet neu zugewanderten Unionsbürgern Unterstützung an. Die Caritas-Mitarbeiter helfen den Menschen etwa bei der Suche nach einem Kita-Platz, bei Anträgen beim Jobcenter oder Fragen zum Mieterschutz. „Bis auf Steuererklärung und Rente machen wir alles“, scherzt Sozialarbeiter Markus von Beckerath.

Auch Schulleiterin Christina Felthaus besucht an diesem Donnerstag das Elterncafé. An ihrer Schule hat sie gute Erfahrungen mit dem Angebot gemacht. Es gehe um den Austausch unter den Eltern, aber auch um einen unkomplizierten Zugang zu Beratungsmöglichkeiten, „ohne dass man einen Termin ausmachen muss, ohne dass so eine Schwelle überstiegen werden muss“, sagt Felthaus. Neben den Caritas-Mitarbeitern halte sich ebenso die Schulsozialarbeit den Termin frei.

Birgit Baczyk hat das Elterncafé an der Regenbogen-Grundschule in Lützel vorbereitet. Sie ist dort Schulkoordinatorin für das Projekt FamOS.
Cordula Sailer-Röttgers

Über das Elterncafé seien schon Eltern an einen Tisch gebracht worden, die vorher wenig miteinander zu tun hatten – auch aufgrund unterschiedlicher Nationalitäten –, wie Felthaus sagt. Und wo es „das eine oder andere Problem“ zwischen den Kindern gegeben habe. „Nachdem die Eltern sich hier kennengelernt haben – es ging auch gar nicht um die Kinder, sondern man hat sich einfach ausgetauscht –“, erzählt die Schulleiterin, „schwuppdiwupp, seitdem haben die Jungs keinen Streit mehr.“ Felthaus glaubt fest an einen Zusammenhang. Der ungezwungene Rahmen mache es den Menschen leichter, zueinanderzufinden.

Um sich nach dem Elterncafé mit unserer Zeitung über das FamOS-Projekt auszutauschen, hat Christina Felthaus auch ihre Schulleiter-Kolleginnen Cornelia Schlott-Grebener von der Willi-Graf-Schule in Neuendorf und Nicole Adams von der Grundschule Wallersheim eingeladen – sowie Patrick Kleiner als kommunalen Koordinator des Projekts.

„Finanziert wird das Projekt vom Land, von der Wübben Stiftung Bildung, der Auridis Stiftung und von der Stadt Koblenz.“
Patrick Kleiner, kommunaler Koordinator des FamOS-Projekts in Koblenz

Kleiner ist beim Kultur- und Schulverwaltungsamt der Stadt Koblenz angesiedelt. Als Bindeglied zwischen allen Beteiligten kümmert sich Kleiner etwa um Fördermittel, Abrechnungen, Honorarverträge und Netzwerkarbeit. „Finanziert wird das Projekt vom Land, von der Wübben Stiftung Bildung, der Auridis Stiftung und von der Stadt Koblenz“, erläutert Kleiner. In den drei Jahren Laufzeit fließen nach Angaben des Bildungsministeriums insgesamt rund 404.000 Euro vom Land, rund 265.000 Euro von der Kommune sowie mehr als 132.000 Euro seitens der beiden Stiftungen in das Projekt an den Koblenzer Grundschulen.

Patrick Kleiner sagt, durch FamOS sollen Eltern eben nicht nur in die Schule kommen, wenn es kriselt. Sie sollen aus Spieletreffen oder Nähkursen, die sie an den Grundschulen besuchen, positive Selbsterfahrungen mitnehmen – „dadurch wird das positive Bild von Schule gestärkt“, meint der Koordinator. Die Wichtigkeit der Einrichtung solle herausgestellt werden. Eltern aus unterschiedlichen Kulturkreisen haben Schule als Kind vielleicht auch anders kennengelernt und wahrgenommen.

Begeisterung der Eltern kann auf Kinder abfärben

Berichteten die Eltern mit mehr Begeisterung über die Schule, könne das auf die Kinder abfärben. „Und wenn dann zum Beispiel die Kinder morgens nicht unbedingt in die Schule gehen wollen, gehen die Eltern damit auch anders um und sagen dann nicht: Ja, du hast ja recht, in die blöde Schule.“

Als Beispiel einer FamOS-Aktivität an der Willi-Graf-Schule stellt Schulleiterin Cornelia Schlott-Grebener den Sprachkurs vor. Auch das Kollegium wurde gefragt, welche Angebote für Kinder und Eltern als besonders dringlich eingestuft werden. Eine Rückmeldung war, „dass oftmals bei den Elterngesprächen die Sprachbarriere sehr hoch ist“, erklärt Schlott-Grebener. Wie an der Regenbogen-Grundschule liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund an der Neuendorfer Schule bei etwa 80 Prozent.

„Das läuft richtig gut, und die Eltern sind super-zufrieden.“
Cornelia Schlott-Grebener, Leiterin der Willi-Graf-Schule, über den Sprachkurs

Momentan beschäftigt die Schule einen Sprachlehrer, der zwei Kurse in der Woche anbietet – mit jeweils etwa zwölf Teilnehmern, die regelmäßig mitmachen. „Das läuft richtig gut, und die Eltern sind super-zufrieden“, sagt Schlott-Grebener. Durch den Kurs sollen Hemmungen abgebaut werden, Deutsch untereinander zu sprechen. „Das merkt man schon, dass sie, wenn sie sich vor dem Haupteingang treffen, miteinander sprechen und sich nicht einfach stumm wegdrehen“, bilanziert die Schulleiterin.

Der Sprachlehrer bespreche mit den Teilnehmern auch alltagspraktische Dinge, etwa, ob jeder verstehe, was auf der Materialliste für das neue Schuljahr steht oder bis wann ein Antrag auf Lehrmittelfreiheit eingereicht werden muss. „Weil das ist etwas, was letztendlich wieder beim Kind ankommt“, sagt Schlott-Grebener. Sitzen Kinder zum Schuljahresbeginn ohne Bücher da, weil kein Antrag gestellt wurde, fühlten sie sich zum Teil beschämt.

Hohe Fluktuation von Kindern und Eltern, die kein Deutsch sprechen

Auch die Grundschule Wallersheim steht vor Herausforderungen, wenn es um die Integration von Kindern und Eltern geht. Die Schule unterrichtet unter anderem Kinder aus dem Containerdorf für Flüchtlinge am Wallersheimer Kreisel, das vom DRK-Kreisverband Koblenz betrieben wird. „Deshalb haben wir die besondere Situation, eine hohe Fluktuation von immer wieder neuen Kindern und neuen Eltern zu haben, die gar kein Deutsch sprechen“, erklärt Nicole Adams. Die Hälfte der Kinder an der Grundschule hat einen Migrationshintergrund.

Als FamOS-Projekt hat die Schule etwa für drei Stunden in der Woche eine Elternlotsin installiert. Diese Beraterin habe einen juristischen Hintergrund, wisse bei vielen Dingen, was beantragt werden könne, welche Stelle kontaktiert werden oder wie man einem Vermieter schreiben könne. „Ohne rechtlich zu beraten“, betont Adams. Aber oftmals reiche es schon, um Bewegung in eine Angelegenheit zu bringen, wenn das Gegenüber merke: Der, der hier Kontakt aufnimmt, kennt sich aus. „Oft sind es Unternehmen, die dann ganz schnell sagen: Da wird sich die Abteilung drum kümmern“, nennt Adams ein Beispiel.

Drei Koblenzer Schulleiterinnen ziehen eine Zwischenbilanz zum FamOS-Projekt (von links): Cornelia Schlott-Grebener, Christina Felthaus und Nicole Adams.
Cordula Sailer-Röttgers

Dass die Familien, die die Beratung nutzen „auch mit ganz, ganz tief persönlichen Dingen kommen, hat uns ehrlich gesagt sehr überrascht“, berichtet Adams. Mehrfach seien Eltern schon wegen Problemen mit dem Vermieter zur Elternlotsin gekommen – und zwar „krassen Problemen“, sagt Adams und fügt hinzu: „Wenn eine Familie in so Problematiken steckt, dass sich das auf die Kinder, auf das ganze Familienleben und auch auf das Lernen auswirkt, ist natürlich klar.“

Außerdem habe sich gezeigt, dass die zunehmende Digitalisierung ein Hemmnis bei der Integration sein kann. Ein Beispiel: die Anmeldung für einen Kita-Platz über das Online-Portal Little Bird. „Ein Vater war siebenmal bei verschiedenen Kitas und hat immer gesagt bekommen: Haben sie sich dort angemeldet?“, erzählt Adams. „Aber er konnte es nicht.“

Fehlender Kita-Platz kann sich auf Schulleben auswirken

Finden Eltern keinen Kita-Platz, könne das später zu Problemen in der Schule führen, weiß Christina Felthaus von der Regenbogen-Grundschule: „Weil wir dann hier mit Kindern arbeiten müssen, die weder der deutschen Sprache mächtig sind, noch die Vorläuferfertigkeiten haben, die ein Kind braucht“, sagt die Schulleiterin.

Die Eltern bei der Anmeldung zu unterstützen, sei wichtig. „Dieses Sich-Orientieren in einer sich schnell entwickelnden, neuen Systemwelt ist für viele Eltern, die noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen haben, die einen anderen Hintergrund haben, ein anderes Selbstverständnis, einfach kaum bewältigbar“, sagt Felthaus. Es mangele etwa an Sprachkenntnissen – oder teils auch an der nötigen technischen Ausstattung, weiß Nicole Adams.

Ergotherapeutin und Logopädin kommen an die Schule

An der Willi-Graf-Schule in Neuendorf ist ebenfalls aufgefallen, so Schlott-Grebener, dass es Kinder gibt, die keine Kita besuchen – weil die Anmeldung nicht klappt – oder sie diese unregelmäßig besuchen. Das Kollegium habe einen Bedarf an Logopädie und Ergotherapie für diese Kinder gesehen. „Wir haben jetzt an einem Tag in der Woche jeweils eine Ergotherapeutin, die kommt, und auch eine Logopädin, die bei uns Sprachförderung macht“, erklärt die Schulleiterin. Finanziert werde das Angebot auch über das FamOS-Budget. Einen Arzt zu suchen, der eine entsprechende Therapie verschreibt und dann noch einen Therapeuten zu finden, sei für manche Familien eine zu große Hürde.

Schlott-Grebener wünscht sich, dass das FamOS-Projekt über 2026 hinaus weitergeführt wird – wie ihre Kolleginnen in Lützel und in Wallersheim. Die halbe Stelle für eine Schulkoordinatorin, die es an den beteiligten Koblenzer Grundschulen gibt, entlaste – „man hat einfach jemanden zusätzlich, der Arbeiten übernimmt, der koordiniert, der organisiert, weil das allein die Schulleitung zusätzlich nicht stemmen kann“, sagt Schlott-Grebener.

„Dass man die Eltern und ihre Problematik noch mal ganz anders sieht und erlebt, weil das ist nicht unbedingt das, was wir im normalen Elterngespräch mitbekommen würden.“
Christina Felthaus, Leiterin der Regenbogen-Grundschule, über die FamOS-Angebote

Christina Felthaus schätzt bei FamOS das multiprofessionelle Team, das verschiedene Blickwinkel in den Schulalltag mit einbringe. Ihr Fazit: „Dass man die Eltern und ihre Problematik noch mal ganz anders sieht und erlebt, weil das ist nicht unbedingt das, was wir im normalen Elterngespräch mitbekommen würden.“ Man entwickle ein anderes Verständnis füreinander, könne das Kind besser begleiten, „damit eben Bildung bei diesem Kind ankommt“.

Als Vorteil sieht es Nicole Adams, „dass alle unsere Angebote so niedrigschwellig sind, und sofort vor Ort geholfen wird“. Auch ihre Bilanz ist positiv. „Eigentlich müssten es ganz viele Schulen haben“, sagt Adams über das Projekt. „Hier im Stadtgebiet von Koblenz würde ich sagen, könnte das jede Schule super gebrauchen.“

Aus dem Bildungsministerium heißt es dazu, dass der Aufbau von Familiengrundschulzentren als langfristiger Prozess zu sehen sei. „Es ist daher angestrebt, die Familiengrundschulzentren an den etablierten Standorten zu verstetigen“, schreibt das Ministerium auf Anfrage. Zudem wolle das Ministerium das Konzept auch an anderen Schulen umsetzen. „Dazu laufen aktuell die Abstimmungen.“

Top-News aus der Region

Weitere regionale Nachrichten