Es war nicht der erste Rücktritt im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Flutkatastrophe im Ahrtal, bei der mehr als 135 Menschen gestorben sind. Die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) machte nach Bekanntwerden eines vierwöchigen Urlaubs und falschen Angaben zur Anwesenheit bei Kabinettssitzungen nach der Katastrophe Platz in der Berliner Regierung, wohin sie kurz zuvor erst gewechselt war.
Spiegel verschwand danach von der Bildfläche. Um Roger Lewentz hingegen machten wenige Monate nach seinem Rücktritt Gerüchte die Runde, wonach er beim Parteitag womöglich seine Karriere an der SPD-Spitze fortsetzen könnte. Wie wir heute wissen: Die Genossen störte seine Vorgeschichte nur wenig: Am vorvergangenen Wochenende wählten sie Lewentz mit 80 Prozent für zwei weitere Jahre zum Vorsitzenden
SWR-Reporter stellt Lewentz' Kandidatur in Frage
Zum Jahrestag des Rücktritts von Anne Spiegel am 11. April dieses Jahres thematisierte der SWR die beiden Karrieren. Auf die Frage nach den Unterschieden gab der SWR-Hauptstadtkorrespondent Georg Link seine Einschätzung ab – und stellte Lewentz' Vorgehen in einer Schalte überaus deutlich in Frage: „Es dürfte bundesweit wahrscheinlich einmalig sein, dass ein Landesinnenminister, der die politische Verantwortung für die vielen Toten dieser schrecklichen Ahrkatastrophe übernehmen muss, weiterhin Landesvorsitzender seiner Partei bleibt.“ Seine Äußerung sollte nicht ohne Folgen bleiben.
Knapp einen Monat später, am 2. Mai, schaltete sich die rheinland-pfälzische Landesregierung ein. In einem Brief, der unserer Redaktion vorliegt, wendet sich Staatssekretärin Heike Raab (SPD), die Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und Europa, an den SWR. Über den Inhalt hatte zuerst die “Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Abend vor dem SPD-Parteitag berichtet.
Ihre Worte richtete Raab direkt an die SWR-Landessenderdirektorin Ulla Fiebig: Es sei zwar „legitim, solche Fragen aufzuwerfen“, die Behauptung des SWR-Reporters sei aber „objektiv falsch“. Der Zuschauer „wird durch die falsche Tatsachenbehauptung“ in die „Irre geführt“, schrieb Raab. Ein öffentlich-rechtlicher Sender dürfe keinen Zusammenhang konstruieren, der so nicht existiere. Die Staatssekretärin erwarte die Antwort des SWR mit „großem Interesse“. Danach werde sie entscheiden, ob sie die Sache auch im Programmausschuss thematisiere.
Lewentz soll Link zurechtgewiesen haben
Es war nicht das erste Mal, dass SWR-Reporter Link mit seinem Beitrag konfrontiert worden war. Gut eine Woche vor dem Brief an den SWR, den Roger Lewentz in Kopie erhielt, soll der Ex-Innenminister bei einer Journalistenrunde Link scharf zurechtgewiesen haben, als dieser seine Ausführungen aus der Fernsehsendung wiederholt hatte. Einige Teilnehmer hatten das als Drohung wahrgenommen.
Die rheinland-pfälzische Landesregierung wollte die Frage nach den Zielen des Briefes an den SWR nicht kommentieren. Heike Raab habe nicht in ihrer Rolle als Staatssekretärin der Landesregierung agiert, sagte Regierungssprecherin Andrea Bähner. Vielmehr habe sie als stellvertretende Vorsitzende des SWR-Verwaltungsrates geschrieben. Tatsächlich ist Raab ein von der Landesregierung entsandtes Mitglied des Verwaltungsrats, der eigentlich nur die die Geschäftsführung, nicht jedoch die Programmatik oder Inhalte überwacht.
Der Brief mit der inhaltlichen Beschwerde an den SWR ist aber nicht mit Raabs Ehrenamt beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk überschrieben. Vielmehr steht im Briefkopf ihre Funktion in der rheinland-pfälzischen Landesregierung in großen Buchstaben: „Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa“ – unten taucht auch die Adresse der Staatskanzlei auf. Der SWR selbst hatte das Schreiben ebenfalls als eines der Landesregierung wahrgenommen.
„Ich habe ja keinen anderen Briefbogen“
„Ich habe ja keinen anderen Briefbogen“, sagte die Verfasserin Heike Raab selbst über ihre Doppelrolle bei SWR und Landesregierung auf Anfrage. Sie sei eine absolute Verfechterin der Pressefreiheit und habe „so etwas noch nie gemacht“. In diesem speziellen Fall aber sei es ihr darum gegangen, zu sensibilisieren, so Raab. Die Initiative für den Brief sei im Übrigen von ihr ausgegangen. Obwohl Roger Lewentz bereits einige Tage zuvor den SWR-Reporter mit seiner Äußerung konfrontiert hatte, sei es nicht der SPD-Chef gewesen, der sie darum gebeten habe. Darüber habe sie mit ihm nie gesprochen.
Die rheinland-pfälzische Landespressekonferenz (LPK) wertet den Brief als „Einschüchterungsversuch“. Gehe es tatsächlich um Fehler in der Berichterstattung, sei es angemessen, zunächst den Autor darauf hinzuweisen, sagte die LPK-Vorsitzende Karin Dauscher unserer Zeitung. „So aber greift die Staatskanzlei das Thema Wochen später auf, wendet sich direkt an die höchste Hierarchiestufe im Mainzer SWR und bringt auch noch den Programmausschuss ins Spiel.“ Das sei als „klare Machtdemonstration und Drohgebärde“ zu werten, so Dauscher.
Einen „Skandal“ nennt die rheinland-pfälzische CDU den Beschwerdebrief der Landesregierung an den SWR. Die Christdemokraten fordern nun Aufklärung im höchsten Gremium des Öffentlich-Rechtlichen. Die Freien Wähler bringen einen Rücktritt ins Spiel.Nach Regierungs-Brief an den SWR: CDU spricht von „Skandal“ und will Rundfunkrat einschalten
SWR: Scharfe Kritik gehört zur Meinungsfreiheit
Auch der SWR selbst gelangte zu einer anderen Sichtweise als der SPD-Chef und die Landesregierung. Programmkritik – auch durch politische Akteure – sei nicht ungewöhnlich, sagte ein Sprecher gegenüber unserer Zeitung. Die Senderdirektorin habe nach dem Brief eine journalistisch-handwerkliche Prüfung vornehmen lassen. Das Ergebnis: „Die betreffenden Aussagen bewegten sich im Rahmen des Zulässigen“ – scharfe Kritik gehöre zur Meinungsfreiheit.
Mit ihrem Beschwerdebrief an den SWR offenbart die rheinland-pfälzische Landesregierung ein problematisches Macht- und Medienverständnis. Künftig sollten Regierungsmitglieder keine Funktionen bei Öffentlich-Rechtlichen mehr übernehmen, kommentiert Sebastian Stein.Kommentar zum Beschwerdebrief der Landesregierung: Zwischen Regierung und SWR gibt es zu enge Verflechtungen
Das hat Senderdirektorin Ulla Fiebig laut SWR-Angaben auch Staatssekretärin Raab per Brief geantwortet. Die Inhalte eines anschließenden Telefongesprächs zwischen den beiden sind nicht bekannt. Konsequenzen für den Korrespondenten soll es indes nicht gegeben haben. Georg Link sei weiterhin in Berlin tätig und kehre nach Ablauf des Vertrages im kommenden Jahr zurück nach Mainz, wo er dann wieder über die Landespolitik berichte.
Transparenzhinweis: Der Autor dieses Artikels ist Mitglied der rheinland-pfälzischen Landespressekonferenz, der unabhängigen Arbeitsgemeinschaft hauptberuflicher Korrespondenten und Redakteure.