Hans Haase hätte seinen Lebensabend auf Ibiza verbringen können. Sonne und blauer Himmel rund ums Jahr. Doch der 72-Jährige hat sein Ferienhaus mit Swimmingpool und Meerblick irgendwann verkauft. „Die Insel hat sich sehr verändert“, klagt er. Zu ihrem Nachteil, findet er. Der Bauingenieur könnte auch im Familiendomizil seiner Frau auf Korsika überwintern. Aber Haase winkt ab. Kein Interesse. „Uns macht das Fliegen keinen Spaß mehr“, sagt er.
Warum auch: „Vom Gefühl her leben wir ja schon im Urlaub“, betont der Bauingenieur. In Niederwambach, um genau zu sein. 450 Einwohner. Kein Schwimmbad, aber Waldblick. Ein Dorf im Westerwald, in dem sich Fuchs und Haase „Gute Nacht“ sagen. Zumindest seit sie im Garten ihre eigenen Hühner halten. „Ein Fuchs war schon gleich am ersten Tag da“, erinnert sich Beate Haase.
Mittlerweile bekommen Sie hier fast nichts mehr. Die Preise haben deutlich angezogen.
Beate Haase über den Immobilienmarkt rund um Niederwambach
Niederwambach, Kreis Neuwied. Für die beiden Solinger war es Liebe auf den ersten Blick. „Wir hatten uns schon so viele Häuser angeschaut“, sagt Hans Haase. Vor allem rund um Köln. Viele sanierungsreife Bruchbuden haben sie so über die Jahre hinweg besichtigt. „Und die anderen können sind nicht bezahlbar.“ Also haben sie nicht lange gefackelt, als sie vor sechs Jahren endlich ihr Traumhaus gefunden haben – und deshalb gleich Nägel mit Köpfen gemacht. „Wir haben sofort einen Termin bei der Maklerin gemacht“, sagt Beate Haase. Auch wenn die neuen Hausherren den Dornröschengarten erst mal gründlich freischneiden mussten. „Da war alles zugewachsen“, erinnert sich Beate Haase.
Denn das Häuschen stand fast zehn Jahre leer, nachdem die Vorbesitzerin gestorben war. Dafür war es ein echtes Schnäppchen. „In Solingen hätten wir für das Geld eine gebrauchte Eigentumswohnung mit 80 Quadratmetern bekommen“, betont Hans Haase. „Aber wir wollten mehr Platz.“ Und so haben sie ihr großes Haus im Bergischen Land mit kleinem Grundstück gegen ein kleines mit 3500 Quadratmetern getauscht. 5000 Quadratmeter Weide haben sie sich noch dazugekauft. „Damit uns keiner vor die Nase baut“, sagt Hans Haase. Fast ein Hektar Land. Im Gegensatz zu Solingen sind das geradezu Latifundien.
Im Wilden Westerwald leben sogar wieder Wölfe
Hinter ihrem Haus äsen die Rehe. Am Himmel kreisen Raubvögel. Und im Nachbardorf sind schon Wölfe gesichtet worden. Wilder Westerwald. „Aber vor sechs Jahren habe ich mir gedacht: Genau das ist es“, sagt Beate Haase, die das Grundstück in eine Oase der Ruhe verwandelt hat. Gerade erst haben sie die Walnussernte eingefahren. Ivy, Jaschi, Nadja und Annika sind immer dabei.
Drei Zwergschnauzer und ein Mischling, die abwechselnd toben und dösen. Die Hunde haben so viel Auslauf, dass sie im eigenen Garten Gassi gehen können. Der alte Kater hat unterdessen den Keller in Beschlag genommen. Sein Reich ist die alte Sauna des Hauses, die sie nicht mehr nutzen. Nach oben verschlägt es ihn eher selten. „Das ist ihm zu stressig“, sagt Beate Haase. „Er ist ja schon 21 Jahre alt.“
Stress ist dabei relativ. Wenn Beate und Hans Haase auf ihrer Terrasse sitzen, ist kein Nachbar in Sicht. Nur der alte Kirchturm. „Das ist eine Stille, die Sie sonst gar nicht kennen“, sagt Hans Haase. In der Brunnenstraße gackern noch nicht mal die Hühner, wenn sich nicht gerade ein Fuchs anschleicht. In ihrem Gehege gibt es genug Platz zum Scharren und Picken. Die artgerechte Haltung danken sie mit täglich frischen Eiern. Natur pur. „Ich könnte heute nicht mehr in der Großstadt leben“, sagt der 72-Jährige, der sich ein schattiges Plätzchen unter alten Bäumen für heiße Sommertage gebaut hat. Wenn es kalt wird, geht's in den Wintergarten. Dann bollert der alte Ofen im Erdgeschoss, der das ganze Haus über drei Etagen wärmt.
Immer mehr Großstädter haben das Land entdeckt
Eine Behaglichkeit, die immer mehr Großstädter aus den Ballungsräumen zu schätzen wissen. Raus aus der Enge, rein ins Landleben. Ein Trend, der sich zuletzt immer weiter verstärkt hat. Denn noch vor wenigen Jahren standen in den Dörfern der Umgebung viele Häuser leer. Auch in Niederwambach. Das habe sich geändert. „Mittlerweile bekommen Sie hier fast nichts mehr“, sagt Beate Haase. Der regionale Immobilienmarkt sei praktisch leer gefegt. „Und die Preise haben deutlich angezogen.“ Viele sind aus dem Kölner und Bonner Raum zugezogen, haben die Haases festgestellt. Auch ihre einzigen direkten Nachbarn.
In Solingen hätten wir für das Geld eine gebrauchte Eigentumswohnung mit 80 Quadratmetern bekommen.
Hans Haase hat 2016 sein Traumhaus in Niederwambach (Kreis Neuwied) gefunden.
Die Lust aufs Land ist durch die Pandemie erheblich befeuert worden. Homeoffice statt Büro. Das geht auch in Niederwambach. „Ich kann meine Projekte weitgehend vom Schreibtisch aus erledigen“, sagt der Bauingenieur, der auch im Rentenalter weiter Neubauten plant und vermarktet. Dazu reicht ja ein Internetanschluss. Und den gibt es auch im Westerwald. Dazu muss Haase nicht mehr wie früher um die halbe Welt jetten.
Der 72-Jährige geht heute lieber wandern. Dafür muss er nur vor die Tür. Für weitere Strecken nimmt er das Rad. Dann ist er oft stundenlang unterwegs. Bis nach Engers am Rhein etwa. Und wenn die Haases doch mal das Auto nehmen müssen, sind es nur 20 Kilometer bis zur nächsten Autobahn, der A 3. Einen Metzger gibt's im Nachbardorf. Zum Hausarzt sind es auch nur zehn Minuten. „Wir fühlen uns wohl“, sagen beide. Wer braucht da schon Ibiza.