Interview mit Schweitzer
„Die Koalition in Berlin ist zum Gelingen verdammt“
Ist derzeit bundesweit ein gefragter Interviewpartner: Ministerpräsident Alexander Schweitzer. Wir trafen den SPD-Politiker am Montag zum Gespräch.
Boris Roessler. picture alliance/dpa

Alexander Schweitzer gibt sich zuversichtlich – sowohl was die Regierungsbildung in Berlin angeht als auch mit Blick auf eigene Aussichten im Land. Die Zielsetzung der Sondierungen war richtig, sagt der Ministerpräsident im RZ-Interview.

Alexander Schweitzer ist ein gefragter Mann – nicht nur in Rheinland-Pfalz, wo der 51-jährige SPD-Politiker seit inzwischen seit ziemlich genau acht Monaten Ministerpräsident ist, sondern bundesweit. Wir trafen den Pfälzer am Montag zum Gespräch – zwischen Sondierungsdurchbruch und anhaltenden Debatten über Sondervermögen, Aufrüstung, Infrastrukturinvestitionen. Bald beginnen Koalitionsverhandlungen von SPD und Union im Bund, Schweitzer wird mit am Tisch sitzen. Wie ordnet er die aktuelle Lage ein? Und was bedeutet das Ganze für Rheinland-Pfalz – ein Jahr vor der Landtagswahl, die er gewinnen will? Das Interview im Wortlaut:

Herr Ministerpräsident Schweitzer, wir erleben in den Wochen nach der Bundestagswahl politisch spannende Zeiten. In den Sondierungen in Berlin haben Union und SPD zunächst viel Geld auf Pump vereinbart. Worauf muss aus Ihrer Sicht nun der Fokus in den weiteren Verhandlungen liegen?

Zunächst einmal bin ich froh, dass Union und SPD so zügig so weit gekommen sind. Und ich halte es nach wie vor für klug, dass man mit den Finanzfragen begonnen hat. Rückblickend hätte die Ampel-Regierung das wohl besser auch so angepackt. Wir brauchen deutliche öffentliche Investitionen in die Alltags-Infrastruktur. Wir haben enorme Investitionsbedarfe. Sich die Frage zu stellen, was es nun braucht, um dieses Land wieder stark zu machen, das halte ich für einen klugen Schritt. Jetzt hoffe ich auf eine qualifizierte Mehrheit im Bundestag.

Trotzdem: Selbst Ökonomen, die die Verhandler beraten haben, warnen jetzt schon, dass dieses Geld nicht verfrühstückt wird. Wie wollen Sie verhindern, dass das Geld für konsumptive Klientelpolitik zweckentfremdet wird?

Ich glaube, das wird durch die weitere Ausgestaltung des Sondervermögens in den Koalitionsverhandlungen sehr klar werden. Ich will es festmachen an der Infrastruktur, die unser Land stark gemacht hat. Die liegt im Bildungsbereich, genauso wie bei den Straßen, Schienen und Brücken. Vieles davon stammt aus den 60er-, 70er-Jahren, Zeiten starken Wachstums, ist damals quasi zeitgleich entstanden. Und diese Infrastruktur ist sozusagen nun auch gemeinsam alt geworden. Und zu glauben, dass man das aus den laufenden Haushalten heraus erneuern kann, das ist eine Illusion. Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, dass man diese Summen in die Hand nimmt, auf eine Strecke von zehn Jahren und der Infrastruktur ein spürbares Update gibt. Die Koalition muss nun Geld in die Hand nehmen, damit die Menschen das Gefühl haben, hier wird in die Infrastruktur meines Alltags investiert. Die Menschen müssen erleben, dass der Staat handelt und das Lebensumfeld verbessert.

Aber nach der Sondierung war nicht mehr nur von Schulen, Schienen oder Brücken die Rede, sondern von Mütterrente und Mindestlohn.

Das wird man auch brauchen; aber nicht aus dem Sondervermögen für Infrastruktur. Ich bin nicht dafür, dass wir die Fragen des sozialen Miteinanders, des Mindestlohns, die Absicherung der Rente einerseits und diese notwendigen Infrastruktur-Investitionen in der Debatte gegeneinander ausspielen. Ich glaube, ein Land, das zusammenhalten will, muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Die Frage, wie halten wir Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Haushalte in der Waage, ist für mich mit dem Sondervermögen nicht aufgelöst. Der Staat muss immer wieder gewährleisten, dass er seine laufenden Ausgaben finanzieren kann.

Wie man hört, sollen 100 Milliarden Euro dieses Sondervermögens Infrastruktur bei den Ländern ankommen. Grob gerechnet wären das 500 Millionen Euro jährlich für Rheinland-Pfalz. Vertreter der Grünen, deren Stimmen im Bundestag für die Umsetzung der Pläne notwendig sind, forderten schon eine Verdoppelung. Was halten Sie von der Verteilung des Fells des Bären zum jetzigen Zeitpunkt?

Zunächst finde ich, man hat auch in der Wortmeldung der drei grünen Finanzminister-Kollegen aus anderen Bundesländern am Wochenende gesehen, dass wir noch mitten in der politischen Diskussion sind. Noch gibt es ja keine Mehrheit im Bundestag. Am Ende hoffe ich, dass man ein gutes Verhandlungsangebot den Grünen gegenüber formuliert, dass man auch eine gute Tonlage findet. Der Ton von Markus Söder beim „Politischen Aschermittwoch“ kann nicht dieser Ton gegenüber den Grünen sein. Auch die Grünen werden ihre Vorstellungen haben, und die muss man ernst nehmen. Dann bin ich überzeugt, dass sich auch die Grünen ihrer Verantwortung bewusst sind. Aber es ist nachvollziehbar und auch nicht unanständig, wenn die Grünen sagen, einfach nur die Hand heben, das wird mit uns auch nicht gehen.

"Der Ton von Markus Söder beim ,Politischen Aschermittwoch' kann nicht dieser Ton gegenüber den Grünen sein", sagt Alexander Schweitzer im Interview.
Boris Roessler. picture alliance/dpa

Nehmen wir an, eine Einigung mit den Grünen gelingt, und das Geld steht zur Verfügung. Damit das Schwimmbad nicht dicht macht und die Schlaglöcher ausgebessert werden, braucht es außer Geld auch ein Heer an Ingenieuren, Planern, Bauarbeitern und ein komplett reformiertes Planungsrecht. Wie würden Sie verhindern, dass nach dem großen Sanierungsstau jetzt der große Investitionsstau kommt?

Stimmt, die Umsetzung ist keine Nebensache, und auch deshalb bin ich froh, dass wir über einen Zeitraum von zehn Jahren sprechen. Ich habe auch vor der Wahl schon gesagt, ich wünsche mir, dass wir zu einem Investitionskonsens in Deutschland kommen. Wir müssen auch mal über eine Wahlperiode des Bundestages hinausdenken, sonst wird das nicht funktionieren. Jetzt kommt es genauso, wie ich mir das gewünscht habe, und trotzdem bleibt das nicht trivial. Ich glaube, wir werden mit diesem Paket auch über weitere Verfahrensbeschleunigungen in Deutschland reden müssen. Ich bin da sehr offen. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns nicht mit weiteren Ansprüchen belasten. Ich höre auch Stimmen, dass nur das umgesetzt werden kann, was ganz neu ist. Das wäre nicht in meinem Sinne. Wenn jetzt schon in einer Gemeinde die Idee entstanden ist, dass wir die Kita im Ort ausbauen und man schon die ersten Schritte unternommen hat, dann muss das doch möglich sein, dass wir das aus diesen Mitteln auch finanzieren und wir nicht anfangen, noch mal ganz von vorn zu planen, um auf diese Mittel zugreifen zu können. Das würde weitere Verzögerungen bedeuten, und das würde vor Ort auch keiner verstehen.

Wie kann diese Beschleunigung denn funktionieren?

Wir müssen es Bund, Ländern und Kommunen, wenn wir jetzt ins Kleingedruckte gehen, so einfach wie möglich machen, die notwendigen Investitionen auch ins Alltagserleben der Menschen zu bringen. Als Land haben wir schon ein Bürokratieabbaupaket vorgelegt; einige Maßnahmen betreffen auch Erleichterungen im Bauwesen. Industrie, Mittelstand, diejenigen, die ausbilden, die haben jetzt durch dieses Sondervermögen, das auf zehn Jahre ausgelegt ist, eine Planungssicherheit, die wir so eigentlich auch noch nie hatten. Natürlich werden wir in der Umsetzung noch manche Nuss zu knacken haben, aber es ist ein positives, ein ermutigendes Signal für die Wirtschaft. Das macht mich sehr zuversichtlich, dass das auch zu privaten Investitionen und Wachstum führen wird.

Die Populisten ziehen seit geraumer Zeit Honig aus der verbreiteten Meinung „Die da oben bekommen es nicht hin“. Die AfD ist damit bei der Bundestagswahl in Rheinland-Pfalz zweitstärkste Kraft vor der SPD geworden. Wie besorgt sind Sie, dass unser Bundesland auf dem Weg zur AfD-Hochburg im Westen ist?

"Ich bin insgesamt besorgt, was unsere Demokratie angeht", sagt Alexander Schweitzer.
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Ich bin insgesamt besorgt, was unsere Demokratie angeht. Darum glaube ich auch, dass die Koalition, die jetzt vielleicht in Berlin entsteht, erfolgreich sein muss. Sie ist zum Gelingen verdammt. Weil einige Menschen sich in der Tat abgewandt haben von der letzten Regierung, weil sie gesehen haben, die streiten, die reden nicht über die Dinge, die mir wichtig sind, ich habe nicht das Gefühl, dass die die Probleme lösen, die ich in meinem Alltag als Problem empfinde. Das war auch im Wahlkampf schon die Rückmeldung, die man bekommen hat.

Für die SPD in Rheinland-Pfalz führte dieser Befund zu einem ungewöhnlich schmerzlichen Ergebnis.

Ja, wir waren sehr stark beeinflusst von diesen bundespolitischen Ereignissen bei diesem für die SPD niederschmetternden Wahlergebnis. Und wir haben Regionen in unserem Land, die das Gefühl haben, sie haben besonders stark zu kämpfen. Diese Investitionen jetzt sollen auch all denen, die zweifeln, die Sorge haben, das Signal geben, nein, die demokratische Politik ist zu etwas imstande, sie kann dein Leben verbessern, die Schule deiner Kinder, deinen Weg zur Arbeit, die Kita deiner Enkel.

Lässt sich daraus etwas für die Landtagswahl im nächsten Jahr lernen?

Ich bin überzeugt, nicht alle, die die AfD wählen, darf man als rechtsradikal bezeichnen. Das sind bei vielen einfach auch die Signale an alle demokratischen Parteien: Schaut genauer hin, hört uns besser zu, handelt entschlossener, und zwar so, dass es in unserem Leben auch ankommt. Dann ist mir auch vor den nächsten Monaten nicht bange. Wir haben ein Bundestagswahlergebnis bekommen. Die Menschen entscheiden sich für die Landtagswahl wieder neu und nach anderen Prämissen, nämlich, wer das Land regieren soll. Dass dem so ist, haben wir eine Woche nach der Bundestagswahl in Hamburg gesehen. Dort hat die SPD deutlich die Wahl gewonnen. Das ist schon ein deutliches Signal, dass die Menschen unterscheiden zwischen Bund und Land. Und was eine Woche nach der Bundestagswahl für Hamburg gilt, wird ein Jahr nach der Wahl auch für Rheinland-Pfalz gelten. Keine Wahlentscheidung, das lehrt die Erfahrung auch und gerade in Rheinland-Pfalz, ist für alle Zeiten in Beton gegossen.

Eine wahlentscheidende Frage war auch das Thema Migration. Die kommende Bundesregierung muss hier den Kurs festlegen. Wo stehen Sie in der Frage?

Ich bin ganz klar gegen Grenzschließungen, wir können nicht hinter die Schengen-Verträge zurück. Ich bin offensichtlich mehr ein Anhänger des offenen Europas von Helmut Kohl, als es mancher in der CDU ist. Ich bin, das sage ich auch ganz deutlich, nicht gegen Grenzkontrollen. Diese sind das natürliche Recht eines Nationalstaates, um illegale Migration zu verhindern. Grenzkontrollen sind legitim, Grenzschließungen wären für ein Land wie Deutschland und insbesondere für Rheinland-Pfalz ein Wohlstandsvernichtungsprogramm, weil wir die gemeinsamen Märkte, den wirtschaftlichen Austausch massiv behindern würden. Wir würden diese vermeintliche Souveränität bezahlen mit einem hohen Preis, nämlich, dass wir unser Wohlstandsmodell selbst konterkarieren. Dafür werde ich mich in den weiteren Gesprächen einsetzen. Wir brauchen in vielen Bereichen ein gemeinsames Europa, auch gegenüber China, gegenüber Russland und nun leider auch gegenüber den USA. Dafür brauchen wir einen deutschen Kanzler, der den europäischen Zusammenhalt stärkt. Ich höre bei Herrn Merz sehr viele Töne in diese Richtung, das gefällt mir gut, wenn ich das so sagen darf.

Wenn wir schon beim Blick über Grenzen sind: Beim Gedenken am Freitag in Remagen würdigten Sie ausdrücklich die deutsch-amerikanische Freundschaft. Diese bleibe weiter bestehen und werde auch Amtszeiten überdauern. Wie viel Sorge macht Ihnen das Agieren von US-Präsident Donald Trump – als Ministerpräsident eines Landes, das besonders eng insbesondere mit dem US-Militär verknüpft ist?

Man muss es sehr ernst nehmen. Wir hatten über Jahrzehnte hinweg eine enge Partnerschaft mit den amerikanischen Streitkräften, man kann wirklich von einer Freundschaft reden. Wir sind auch stark durch diese Partnerschaft, denken Sie an die Wertschöpfung rund um die Standorte der US-Armee, den Arbeitsmarkt. Die Amerikaner sind für uns ein ganz wichtiger Faktor. Aber ich glaube, auch die Amerikaner wissen, dass sie mit ihrer Präsenz in Ramstein nicht nur den Kreis Kaiserslautern schützen, sondern dass sie hier auch eigene strategische Interessen damit verbinden. Wir arbeiten eng zusammen, ich führe Gespräche mit den amerikanischen Streitkräften, und wir werden uns immer dafür einsetzen, dass sich die Amerikaner hier wohlfühlen und dass sie auch bleiben können. Was die US-Administration angeht, da ist es für mich wie für viele andere. Man weiß es nicht genau. Man wird die jeweilige Nachrichtenlage beobachten müssen und sich gut vorbereiten.

Kommt auf Rheinland-Pfalz eine zweite große Welle der militärischen Konversion zu und gibt es Ideen dafür?

Da sind wir noch nicht. Unabhängig davon will ich sagen, wir haben noch nie Angst gehabt vor Strukturwandel. Wir können das, wir können Konversion, aber zunächst mal ist mein allererstes Interesse, dazu beizutragen, dass die Amerikaner sehen, wie wichtig das auch für sie ist, mit Blick auf internationale Konflikte, dass sie auch in Europa stark sind. Und sie haben in Europa keinen besseren Standort als Deutschland und in Deutschland keinen besseren als Rheinland-Pfalz.

Wie stehen Sie zur Wiedereinführung der Wehrpflicht? Und wenn ja für wen und ab wann?

Da bin ich offen gesagt selbst noch ein Suchender. Ich nehme die Diskussion als sehr spannend wahr, sehe die unterschiedlichen Konzepte. Die Verantwortlichen bei der Bundeswehr sagen mir: Wir würden die Wehrpflicht auch wieder nehmen, aber wir haben die Struktur dafür gar nicht mehr. Es gibt auch keine Kreiswehrersatzämter mehr und so was. Wir sollten zunächst den Schwerpunkt darauf legen, die Bundeswehr gut auszustatten, gut auszurüsten und in der europäischen und der Zusammenarbeit mit der Nato zu stärken und dann den nächsten Schritt zu überlegen.

Zum Abschluss noch ein Blick auf die kommenden Tage und die Koalitionsverhandlungen in Berlin. Welche thematischen Schwerpunkte möchten Sie persönlich setzen? Und wie denken Sie über eine mögliche Bundesfinanzministerin namens Doris Ahnen?

Was die Leitung des Bundesfinanzministeriums angeht: Da will ich mich ausdrücklich nicht zu Personalspekulationen erklären. Es wäre ein großer Verlust für Rheinland-Pfalz, wenn Doris Ahnen hier nicht mehr Finanzministerin wäre. In Berlin täte sie manchem gut. Zu den Sachthemen: Für ein Land wie Rheinland-Pfalz gibt es viele Themen, die in Berlin relevant sind, darum ist es auch wichtig, dass ich mich da auf die eine oder andere Weise einbringen kann. Ich nehme mal das Thema Wirtschaft, Industrie, Infrastruktur. Da haben wir in Rheinland-Pfalz besondere Interessen, denken Sie an die Automobilindustrie, die Zulieferer, die chemische Industrie. Da müssen wir schon gucken, dass die Rahmenbedingungen weiter funktionieren, da würde ich ein Auge drauf haben wollen.

Das Gespräch führten Lars Hennemann und Thomas Haag

CDU-Chef Schnieder sieht in Sondierungen viele Chancen für Rheinland-Pfalz

Als „eine echte Chance für Rheinland-Pfalz“ hat CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder das Sondierungsergebnis von Union und SPD in Berlin bezeichnet. „Jetzt kommt es darauf an, dass wir die richtigen Weichen stellen und uns in den Verhandlungen dafür starkmachen“, erklärte Schnieder. Beim Thema Infrastruktur betonte er, dass insbesondere strukturschwache Regionen wie die Westpfalz, die Eifel und der Hunsrück dringend Investitionen brauchen. Ferner forderte er einen „Rheinland-Pfalz-Plan“ mit gezielter Wirtschaftsförderung, neuen Industrien und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen. „Die Sondierungsergebnisse geben uns dafür die richtigen Impulse“, so Schnieder. Kritisch sieht der CDU-Chef hingegen die Vorfestlegung auf ein Anheben des Mindestlohns: „Unsere Landwirte, Winzer und zum Teil auch andere Branchen können 15 Euro Mindestlohn nicht stemmen“, sagte Schnieder und forderte praxisnahe Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte. tim

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