Der Papst und der Mittelrhein
Den Bopparder Wein hatte Franziskus nicht vergessen
Helma Schmidt zeigt die Briefe, die sie und ihr Ehemann mit Jorge M. Bergoglio, dem späteren Papst Franziskus gewechselt haben. Bergoglio besuchte 1985 einen zweimonatigen Deutschkurs am Goethe-Institut und wohnte in dieser Zeit im Haus von Familie Schmidt in Boppard.
Thomas Frey/dpa. picture alliance / dpa

Franziskus und die Deutschen – ein schwieriges Verhältnis. Der Argentinier fremdelte mit dem Land der Dichter und Denker. Dabei erlebte er in den 80er-Jahren einen augenscheinlich glücklichen Sommer am Mittelrhein. Boppard erinnert sich gern an ihn.

„Miserando atque eligendo.“ Die lateinischen Worte stehen auf dem Wappen von Papst Franziskus: Aus Barmherzigkeit erwählt. Für die Mittelrheinstadt Boppard hat das Wappen eine ganz besondere Bedeutung, es hängt in Stein gemeißelt über dem Hauptportal der Basilika St. Severus – denn unter Papst Franziskus wurde die prächtige Kirche zur Basilica minor. Dass dieser Ehrentitel an den Rhein kam, hat vielleicht ein klein wenig mit der ganz besonderen Verbindung zu tun, die der an Ostermontag verstorbene Pontifex nach Boppard hatte und jahrelang pflegte. An seine Zeit am dortigen Goethe-Institut im Sommer 1985 hatte Franziskus gute Erinnerungen. Das ist in der Nachbetrachtung besonders interessant. Denn insgesamt galt das Verhältnis des Argentiniers zu Deutschland als kompliziert.

„Durch das steinerne Wappen über dem Hauptportal von St. Severus ist die Verbindung nun hoffentlich auf Jahrhunderte festgeschrieben“, sagt Pfarrer Hermann-Josef Ludwig. Er hatte großen Anteil daran, dass Boppard seit 2015 eine Basilika hat – so wie Koblenz mit St. Kastor. „Wobei man dazu wissen muss, dass wir wirklich nicht genau sagen können, welchen Anteil Franziskus persönlich an der Erhebung hatte.“

Pfarrer Hermann-Josef Ludwig in der Basilika St. Severus
Thomas Frey/dpa

Denn gestellt wurde der Antrag bereits unter Papst Benedikt XVI. – Ludwig hatte eine Verbindung zu ihm, Josef Ratzinger war einst sein Lehrer. Und Ludwig hielt auch Kontakt zu Benedikts Bruder Georg. „Es hieß, die beiden würden jeden Morgen telefonieren. Also habe ich Georg Ratzinger gebeten, seinen Bruder an den Antrag aus Boppard zu erinnern.“

Es kam anders – Benedikt trat 2013 völlig überraschend zurück. „Da waren für uns erst einmal alle Hoffnungen dahin“, erinnert sich Ludwig, der als Kooperator weiter in der Pfarrei als Seelsorger aktiv ist. Neue Hoffnung aber flammte auf, als bekannt wurde, wer Benedikt auf dem Stuhl Petri folgen würde: Jorge Mario Bergoglio aus Argentinien. Moment, war da nicht was? In Boppard wurde man hellhörig.

Und richtete den Blick zurück ins Jahr 1985. Bergoglio war noch keine 50 Jahre alt, als er sich am noch bis 1999 existenten Goethe-Institut in der Rheinstadt für einen Deutschkurs einschrieb. Zwei Monate blieb der Jesuitenpater aus Argentinien am Mittelrhein, lebte in einem Zimmer im Parterre im Haus von Helma und Josef Schmidt in der Peter-Josef-Kreuzberg-Straße. Man aß zusammen, betete, unterhielt sich über Gott und die Welt. So entstand eine Verbindung, die hielt.

Mit einer Portion Stolz präsentierte Pfarrer Hermann-Josef Ludwig 2015 das in Latein abgefasste päpstliche Schreiben zur Verleihung des Ehrentitel "Basilica minor" an die Bopparder Pfarrkirche St. Severus.
Suzanne Breitbach/Archiv

Als Bergoglio 2013 Papst wurde, traf sich unsere Zeitung mit Helma Schmidt. Sie zeigte Briefe, die der Argentinier über die Jahre nach Boppard sandte. Regelmäßig an Ostern und Weihnachten kam Post. „Oft erinnere ich mich an die Tage, die ich in Boppard bei Ihnen gelebt habe“, schrieb Bergoglio beispielsweise am 12. Februar 2007. Er sprach von „schönen Tagen im gemütlichen Haus“. Zugleich entschuldigte er sich für seinen aus seiner Sicht schlechten Schreibstil, „aber ohne Übung habe ich meine Deutschsprachfähigkeit verlernt“. Josef und Helma Schmidt verwahrten die Briefe sorgfältig. „Ich bete für Sie“, schrieb der Geistliche. Und bat darum, „das auch für mich zu tun“.

2014 dann tatsächlich ein Wiedersehen: Helma Schmidt, damals stolze 97 Jahre alt, traf Franziskus in Straßburg – der Bopparder SPD-Europaabgeordnete Norbert Neuser hatte die Begegnung eingefädelt. Schmidt konnte sich kurz mit dem Pontifex unterhalten, ein Foto dokumentiert den zaghaften Händedruck, der damalige Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), schaut lächelnd zu.

Franziskus pflegte seine Verbindungen. Pfarrer Ludwig berichtet vom 100. Geburtstag Helma Schmidts – da war ein großer Umschlag aus Rom im Pfarrhaus angekommen, verbunden mit der Bitte, dass der Ortspfarrer ihn der Jubilarin bitte persönlich überreichen möge. „Ich bin dann stolz wie Oscar zur Frau Schmidt und habe ihn ihr gegeben – da sagte sie nur, dass der Papst kurz zuvor persönlich angerufen habe.“

"Miserando atque eligendo.“ Die lateinischen Worte stehen auf dem Wappen von Papst Franziskus: Aus Barmherzigkeit erwählt.
Rebecca Blackwell. picture alliance/dpa/AP

Hat diese Nähe nun also etwas mit der Annahme des Antrags auf Erhebung von St. Severus zur Basilica minor zu tun? Belegt ist das nicht, so Ludwig. Aber es gibt eine andere Geschichte, die zumindest nahelegt, dass Franziskus die Stadt auch als Papst nicht vergessen hatte: Nach seiner Ernennung kam es zu einem Besuch der deutschen Bischöfe im Vatikan. Der Trierer Weihbischof Jörg Michael Peters bat im Vorfeld um eine Flasche Wein aus Boppard – und überreichte sie dem Kirchenoberhaupt dann auch tatsächlich. „Überliefert ist, dass Franziskus dann auf Deutsch gesagt hat: ,In Boppard gibt es guten Wein’.“

In Boppard, so wirkt es also, erlebte Bergoglio glückliche Tage – auch wenn er offenbar nie eine Messe in einer Bopparder Kirche zelebriert habe, stattdessen täglich im Wohnzimmer der Schmidts, wie Pfarrer Ludwig zu berichten weiß. Bei diesem dennoch positiven Eindruck von Deutschland, geprägt durch die Gastfreundschaft der Bopparder Familie, sollte es indes nicht bleiben.

1986 war Bergoglio für mehrere Monate an der Jesuiten-Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Er betrieb dort Vorstudien für eine geplante Doktorarbeit über den deutsch-italienischen Theologen Romano Guardini (1885–1968). Doch der spätere Papst fühlte sich in Deutschland nicht wohl. Das Projekt blieb unvollendet. Weder mit der deutschen Sprache noch mit der deutschen Weise, Theologie zu treiben, kam er zurecht.

Franziskus' Papstwappen ziert seit 2015 das Hauptportal von St. Severus in Boppard.
Suzanne Breitbach/Archiv

Hatte dieses recht konturlose, aber dokumentierte Unwohlsein Folgen bis in sein Pontifikat? Lange musste sich Franziskus die Aufmerksamkeit mit seinem aus Deutschland stammenden emeritierten Vorgänger teilen. Als Papst hat Franziskus viele Länder besucht, Deutschland aber ausgelassen. Über die Gründe wurde viel spekuliert. Damit sorgte er für Enttäuschungen, aber der Faden riss doch nie ganz ab.

Franziskus hat, so viel steht fest, mit der katholischen Kirche in Deutschland gefremdelt. Doch hat er ihr durch seine Reformen mehr Freiheiten ermöglicht. Beziehungsstatus: Es war kompliziert. Als Nachfolger Josef Ratzingers schlug der Argentinier einen anderen, offeneren Kurs ein. Viele Katholikinnen und Katholiken in Deutschland nahmen das als die von ihnen ersehnte Öffnung der Kirche wahr: weniger Klammern an die Tradition, dogmatisch beweglicher, mehr Mitbestimmung für die Kirchenbasis.

Doch als deutsche Bischöfe und Laien unter Berufung auf diesen neuen Kurs den Synodalen Weg starteten und sich für innerkirchliche Reformen starkmachten, bremste Franziskus und enttäuschte damit viele. Weiheämter für Frauen ließ er nicht zu, am Heiratsverbot für Priester hielt er fest. Indirekt warnte er die Deutsche Bischofskonferenz davor, mit ihrem Reformprojekt eine zweite evangelische Kirche zu gründen.

Jahrelang schrieb Bergoglio den Schmidts in Boppard
Thomas Frey. picture alliance / dpa

„Franziskus hat uns immer kritisch begleitet“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Er hat mit großer Aufmerksamkeit wahrgenommen, was hier in Deutschland Thema war, wie wir als Kirche die Zukunft gestalten wollen.“ Der Limburger Bischof ergänzte: „Ich habe unsere Diskussionen immer als ein faires Ringen erlebt. Die eine Seite hat ihre Position dargelegt, wir die unsere. Und der Papst hat uns gehen lassen, das war das Entscheidende.“

Dass der Papst die deutschen Reformer immer wieder nur kritisierte und sie nicht stoppte, wurde ihm von konservativen Kritikern angekreidet. Mehrere Kurienkardinäle sowie einige Bischöfe in Bayern und der Kardinal in Köln hätten sich mehr Härte von ihm gewünscht. Bis heute ist es ein Rätsel, warum er dem großen theologischen Streitgespräch zwischen den römischen Kurienkardinälen und den deutschen Bischöfen am 18. November 2022 in Rom fernblieb – obwohl er sein Kommen fest zugesagt hatte. Damals hätte er womöglich Farbe bekennen müssen, was er aber in guter jesuitischer Tradition vermied.

Die meisten Theologen und die Funktionsträger unter den deutschen Katholiken im 21. Jahrhundert entsprachen ganz und gar nicht seinem Idealbild von einem „heiligen, gläubigen Volk Gottes“, das er als eigentliches Subjekt der Kirche sah. Die Deutschen hätten den Glauben ihrer Vorfahren vergessen, sagte er einmal auf eine Frage der KNA bei einer Pressekonferenz. Kritisch und auf individuelle Selbstverwirklichung bedacht, eher Kants Rationalismus als Hölderlins hehren Träumen verpflichtet – so empfand er sie. Damit waren sie nach seinem Empfinden auf einem methodisch falschen Weg zu Reformen, obwohl er deren grundsätzliche Notwendigkeit durchaus anerkannte.

In Boppard wird man ihm jedenfalls ein ehrendes Andenken bewahren – nicht zuletzt mit dem Papst-Franziskus-Weg, einem Fußweg, den Bergoglio 1985 beim Gang von seiner Wohnung bei den Schmidts zum Goethe-Institut stets beschritten hatte. 2015 wurde er benannt, ein Schild informiert über die Geschichte. „Wir sind als Stadt stolz und fühlen uns geehrt, diese Verbindung zu einem Papst zu haben – und Franziskus’ Handeln hat mich stets beeindruckt“, sagt Bürgermeister Jörg Haseneier (CDU). Die Stadt, weiß er zu berichten, hat stets versucht, es Franziskus, dem Beziehungspfleger, gleich zu tun, regelmäßig wurde Post nach Rom geschickt. Wer weiß – vielleicht wäre es ja bei einer Deutschland-Reise tatsächlich mal zu einem Besuch am Rhein gekommen, hätte die Gesundheit noch länger mitgespielt.

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