Kai Arzheimer zur Kanzlerwahl
„Das wird Friedrich Merz nachhängen“
Der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer
picture alliance/dpa/Johannes Gutenberg-Universität Mainz/Sämer

Viel gewagt – und gewonnen: Friedrich Merz ist im zweiten Wahlgang zum Bundeskanzler gewählt worden. Was bleibt von diesem denkwürdigen Tag? Darüber haben wir mit Politikwissenschaftler Kai Arzheimer von der Uni Mainz gesprochen.

Friedrich Merz ist Kanzler – doch die Schmach des verlorenen ersten Wahlgangs ist damit nicht verschwunden: „Das wird Friedrich Merz nachhängen“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer im Gespräch mit unserer Zeitung. „Kurzfristig ist die Wirkung natürlich fatal – wir erleben einen historisch einmaligen Fall. Fairerweise muss man aber sagen, dass es auch in der Vergangenheit hin und wieder knapp war. Erinnert sei an Konrad Adenauer, der 1949 nur dank seiner eigenen Stimme Bundeskanzler wurde.“

Nach der Aufregung am Morgen entwickelte sich der Nachmittag anders, Merz erzielte im zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Arzheimer meint deshalb: „Aktuell wird sich das ziemlich schnell wieder beruhigen, und die Aufregung wird vergessen sein.“

Schaden für den CDU-Chef – wie schätzt der Experte die Lage des SPD-Parteichefs ein? „Bei Lars Klingbeil haben wir in den vergangenen Wochen eine faszinierende Entwicklung beobachtet: Er ist trotz des desaströsen Wahlergebnisses relativ unbeschadet aus der Sache hervorgegangen und konnte sich in Stellung bringen. Auch die Situation im Bundestag heute ist für ihn deutlich weniger akut als für Friedrich Merz“, meinte Arzheimer am Dienstag. Oder waren es verprellte SPD-Linke, die der Koalition einen Denkzettel verpassen wollten? „Wo die Abweichler saßen, wird man möglicherweise nie erfahren. Beide Partner werden sagen: Unsere Leute haben gestanden. Und wer will das Gegenteil beweisen? Ich kann mir vorstellen, dass es auch in der CDU Abgeordnete gibt, die unzufrieden sind mit dem Koalitionsvertrag, die sagen, das ist nicht das, was uns versprochen wurde.“

Die Wirkung jedenfalls war am Vormittag immens, der erste Eindruck der neuen Koalition desaströs. Mit Folgen? „Ja, es gibt eine Sehnsucht, ein Bedürfnis nach einer Regierung, die vernünftig arbeiten kann“, sagt Arzheimer, der an der Mainzer Uni forscht und lehrt. „Die Ampel hat ja einerseits sehr viel von dem, was sie sich vorgenommen hat, erreicht. Aber die Kommunikation war furchtbar. Zum Ende ging es eigentlich nur noch darum, Konflikte abzuräumen. Das möchte man nun nicht mehr sehen, das können wir uns auch nicht mehr leisten.“

Hat also das politische System durch den misslungenen ersten Wahlversuch Schaden genommen? „Da möchte ich ein großes Fragezeichen dahinter machen“, sagt Arzheimer. Das Grundgesetz sei eine Verfassung, die darauf ausgerichtet ist, stabile demokratische Regierungen hervorzubringen. Dafür seien ausgeklügelte Prozeduren hinterlegt. „Ich finde eine Wahl in mehreren Wahlgängen überhaupt nicht problematisch. Auf Landesebene gab es das schön öfter – die Älteren können sich vielleicht an Heide Simonis erinnern…“, meint der Politikwissenschaftler. „Erstaunlich ist eigentlich, dass es in 76 Jahren im Bund immer so gut geklappt hat.“

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