Gastbeitrag zur Wirtschaft
„Beschäftigte sind Teil der Lösung“
Die Automobilindustrie steckt in der Krise - aber schuld sind nicht die Mitarbeiter, erklärt die DGB-Chefin Susanne Wingertszahn.
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Die Wirtschaft steckt in der Krise, doch daran sind nicht die Beschäftigten in den Unternehmen schuld, sie sind viel eher Teil der Lösung. Das sagt die rheinland-pfälzische DGB-Chefin in ihrem Gastbeitrag und erklärt, wie das erreicht werden kann.

Karenztag, Teilzeit-Krankschreibung. Mal wieder: Rentenalter heraufsetzen. Und ganz aktuell: Streichung von Feiertagen. Die Wirtschaft schwächelt, schon trauen sich einige CEOs oder arbeitgebernahe Verbände wieder aus der Deckung mit Ideen aus der Mottenkiste. Das Problem, wollen sie uns glauben machen, sind die Beschäftigten. Sie machen blau, sind faul, kosten zu viel und leisten zu wenig. In diesen Zeiten die Schuld bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu suchen, ist ungerecht. Und es ist gefährlich.

Denn wer sich angegriffen fühlt, in die Ecke gedrängt, der zeigt mit dem Finger auf andere, die ja angeblich noch viel fauler sind und noch viel weniger leisten: Geflüchtete, Bürgergeldempfänger. Das spaltet die Gesellschaft, das ist das Letzte, was wir aktuell gebrauchen können. Fakt ist, dies ist eine Strategie, die von den eigenen Fehlern abzulenken versucht. Selbstkritik gegen null, Boni weiter auf Maximum. Die Beschäftigten haben die aktuellen Krisen nicht zu verantworten.

DGB/Dennis Weißmantel

Nehmen wir die Bahn. Sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schuld daran, dass Züge selten pünktlich sind? Nein. Das Problem ist, dass am Personal gespart wird und jahrelang zu wenig in die Infrastruktur investiert wurde. Die Angestellte im Stellwerk, die es sich dreimal überlegen muss, wie sie den Toilettengang in ihre Schicht einbaut, weil Kolleginnen und Kollegen fehlen, kann nichts dafür.

Nehmen wir die Autoindustrie. Der Arbeiter, der in der Produktion seine Schichten kloppt, hat Volkswagen, Audi und Co. in die Krise gestürzt? Nein. Wenn Unternehmensführungen die Mobilitätswende wie ein unbeteiligter Zuschauer bestaunt haben, wenn Politik keine klaren Rahmenbedingungen schafft, dann hat das doch wohl mehr dazu beigetragen.

Gute Löhne zahlen sich aus

Die Beschäftigten sind nicht die Verursacher der Krisen. Sie sind Teil der Lösung. Gesundes, zufriedenes, wertgeschätztes und mit Sicherheiten ausgestattetes Personal ist produktiv und innovativ. Fachkräfte gestalten den Wandel, die sogenannte Transformation. Und diese Fachkräfte hält man bei der Stange, indem man sie anständig bezahlt.

Für gute Löhne gibt es ein rein wirtschaftliches Argument: Sie stärken die Binnennachfrage und sie spülen Geld in den Staatshaushalt und in die Sozialversicherungen. Aus der Zeit der Automatisierung in der Industrie ist ein Dialog zwischen Henry Ford und Walter Reuther, dem amerikanischen Gewerkschaftspräsidenten, überliefert: Henry Ford fragte Reuther, wie er denn zukünftig von all den Robotern die Gewerkschaftsbeiträge einziehen wolle. Darauf antwortete Reuther mit einer Gegenfrage: Wie Ford denn all die Roboter dazu bringen wolle, seine Autos zu kaufen? Schlecht bezahlte und entlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kaufen ebenso wenig Autos wie Roboter.

Sondervermögen kann das Land zukunftsfähig machen

Die Binnennachfrage allein wird es zugegebenermaßen nicht richten. Was aber bei Bahn wie Autoindustrie über Jahrzehnte versäumt wurde, sind Investitionen in die nachhaltige Zukunft. Es ist so wichtig, dass die Parteien im Bund sich auf das Sondervermögen geeinigt haben. Ohne massive Investitionen in physische und soziale Infrastruktur sowie industrielle Zukunftstechnologien drohen wirtschaftlicher Stillstand und eine weitere schleichende Schwächung unseres Wirtschaftsstandorts.

Aber: Wir müssen genau schauen, wohin das Geld fließt. Es gehört in klassische Infrastruktur und in die Modernisierung der Bildung und Krankenhäuser. Das Sondervermögen kann dazu beitragen, unser Land zukunftsfähig zu machen, quasi wieder aufs richtige Gleis zu setzen. Noch besser wäre es, die Schuldenbremse komplett zu reformieren. Den Unternehmen kann der Staat nicht vorschreiben, wofür sie Geld in die Hand nehmen. Hoffentlich verstehen sie aber endlich, dass die Beschäftigten nicht der Klotz am Bein sind, sondern ihr größtes Kapital.

Zur Person

Susanne Wingertszahn ist seit November 2021 Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland. Wingertszahn war davor mehr als zwei Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen für den DGB in der Bezirksgeschäftsstelle Mainz tätig. Sie studierte Erziehungswissenschaften an den Universitäten Koblenz-Landau und Mainz und schloss ihr Studium mit dem Gutenberg-Stipendium der Stadt Mainz als Auszeichnung ab. Der DGB-Bezirk Rheinland-Pfalz/Saarland ist der Dachverband der acht Mitgliedsgewerkschaften des DGB. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Landesregierung, Parteien und Verbänden. Der DGB hat in Rheinland-Pfalz und im Saarland mehr als 400 000 Mitglieder. Die neun DGB-Bezirke bilden die landespolitische Lobby der Gewerkschaften.

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