Der Hintergrund: In einem Brief an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) schrieb die bei der EU für Verkehrsfragen zuständige Slowenin Bulc, ein Verbot lauter Züge, das die deutsche Bundesregierung sogar im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, sollte „nicht einseitig ab 2020 angewendet werden“. Es müsse „vielmehr mit der breiten gesamteuropäischen Lösung, die nach 2021 umgesetzt sein sollte“, in Einklang stehen.
Bei den Bürgerinitiativen gegen Bahnlärm im Mittelrheintal stößt das auf Unverständnis. Und nicht nur das. Die Initiativen sind wütend. „Die EU, die um ihre finanziellen Mittel und Möglichkeiten kämpft, ist dabei, ihre Seele zu verkaufen“, sagt Frank Gross, Vorsitzender und Sprecher der Initiative Pro Rheintal. In puncto Bahnlärm sei die EU „vollkommen ahnungslos und ohne fachliche Kompetenz“. Länder wie Deutschland, die Niederlande, die Schweiz oder Österreich könnten in Bezug auf den Güterverkehr nicht mit Ländern wie Spanien oder Portugal, Slowenien oder Frankreich verglichen werden, argumentiert Gross.
Willi Pusch, Vorsitzender der Bürgerinitiative im Mittelrheintal gegen Umweltschäden, spricht von einem „Schlag ins Gesicht der von Bahnlärm betroffenen Menschen und der gesamten Tourismusbranche im Rheintal“. Was hinter dem Brief aus Brüssel steckt, ist sowohl für Gross als auch für Pusch klar: Lobbyismus. „Die EU-Kommissarin hat da, offenbar von der Lobby der Wagenhalter bestärkt, eine Entscheidung getroffen, ohne die Lärm- und Erschütterungsproblematik in dem engen Rheintal zu kennen“, meint Pusch. Und Gross vermutet, Bulc gehe es gar nicht um gemeinsame Standards im Kampf gegen den Bahnlärm. „Die Güterfahrzeuge, die in Europa verkehren, stammen zumeist von großen deutschen oder schweizerischen Waggonverleihern. Allerdings schert sich diese Industrie nicht im Geringsten um Lärmschutz“, macht er seinem Ärger Luft. Mit ihrer Forderung mache sich Bulc zum Sprachrohr einer „skrupellosen Industrielobby, die sich gegenüber den Belangen der Bevölkerung völlig kalt zeigt und nur noch ihre Profitziele im Auge hat“.
Gemeinsam mit Initiativen aus ganz Deutschland und Europa werden sich die Bahnlärmgegner am Mittelrhein nun mit einer Protestnote an die EU-Kommission wenden und eine eindeutige Bekräftigung des Fahrverbots für laute Güterwaggons ab 2020 fordern.
Laut dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung soll bis 2016 die Hälfte aller Güterwaggons auf deutlich leisere LL/K-Sohlen, die sogenannten Flüsterbremsen, umgerüstet werden. Ab 2020 sollen dann gar keine lauten Güterwaggons mehr durch Deutschland rollen. Pro Rheintal zufolge subventioniert Deutschland diese Umrüstung mit 300 Millionen Euro, die EU legt noch einmal rund 260 Millionen Euro oben drauf.
Allein durch das Mittelrheintal rollen Tag und Nacht 500 Züge. Den größten Teil – etwa 300 – machen Güterzüge aus. Sie produzieren den größten Lärm. Der Dauerschallpegel, ein Durchschnittswert, der auch Ruhephasen umfasst, liegt in der Nacht bei 80 Dezibel. Das ist so laut wie ein Rasenmäher. Der Spitzenpegel, der die Anwohner aufwachen lässt, liegt bei 100 Dezibel. ank