Koblenz
Antreten zur Zeitenwende: Wie die Bundeswehr um Nachwuchs kämpft
Karrieretag beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz
Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz hatten Jugendliche die Gelegenheit, mal in den Sanitätsdienst der Bundeswehr reinzuschnuppern. Marie Turba (2. von rechts) hat ihre Bewerbung schon abgeschickt.
Patrick Grüterich. Bundeswehr/Patrick Grüterich

Jahrelang wurde die Bundeswehr geschrumpft. Bis zur Zeitenwende. Jetzt werden wieder händeringend 20.000 neue Soldaten gesucht. Doch mit Kasernenhofdrill lassen sich junge Menschen nicht mehr locken. Wie die Truppe in einem Koblenzer Einkaufszentrum ihr Image aufpoliert.

Karrieretag beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz
Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz hatten Jugendliche die Gelegenheit, mal in den Sanitätsdienst der Bundeswehr reinzuschnuppern. Marie Turba (2. von rechts) hat ihre Bewerbung schon abgeschickt.
Patrick Grüterich. Bundeswehr/Patrick Grüterich

Als Torsten Buschulte vor knapp 25 Jahren bei der Bundeswehr anfing, musste sich die Truppe nicht sonderlich um den Nachwuchs sorgen. Die Soldaten wurden einfach eingezogen. Per Einberufungsbescheid. Fast wie zu preußischen Zeiten. Und aus der Nummer kamen die jungen Rekruten auch nicht so leicht wieder raus. Kündigungsfrist? Fehlanzeige. Da muss auch der Hauptmann grinsen. Der Umgangston war rau. Die Kommunikation erfolgte vornehmlich im Imperativ.

Das hat sich mit dem Ende der Wehrpflicht bekanntlich erledigt. Mittlerweile hat die Bundeswehr verbal abgerüstet. „Wir bilden immer noch keine Stuhlkreise“, sagt Buschulte. Ohne Hierarchien gehe es natürlich nicht. „Aber die Menschenführung hat sich schon deutlich weiterentwickelt.“ Jetzt muss die Bundeswehr mehr bieten als Drill und ein paar Hundert Euro Sold. So lässt sich längst niemand mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Wohl auch nicht mit Hartkeksen aus Ein-Personen-Packungen, den berüchtigten „Panzerplatten“. In der Karriere-Lounge im Forum Mittelrhein gibt's stattdessen vegetarische Falafel-Wraps. „Probieren Sie mal, die sind richtig lecker“, sagt Buschulte. Auch den 32 Jugendlichen, die nach Koblenz gekommen sind, um sich über den Sanitätsdienst zu informieren, schmeckt's offensichtlich. Rund die Hälfte sind Frauen. Die Bundeswehr sucht im Einkaufszentrum am Zentralplatz bewusst einen niedrigschwelligen Zugang zu Schülern und Azubis.

Buschulte ist Karriereberater in „Flecktarn“-Uniform. Für die potenziellen Bewerber nimmt er sich viel Zeit. Und er will nichts beschönigen. „Beim Thema Tod und Verwundung ist meist der Tiefpunkt erreicht“, sagt er. Aber die meisten haben sich schon im Vorfeld über die Bundeswehr informiert. Jetzt folgen die Details. Die Jugendlichen durchlaufen mehrere Stationen. Danach geht's weiter zu Rettungswache und Notaufnahme ins Bundeswehrzentralkrankenhaus. „Einige Interessenten sind sogar extra aus Sachsen gekommen“, betont Buschulte. Die Anreise zahlt die Bundeswehr, denn der Personalbedarf ist groß. Bis zu 20.000 neue Soldaten braucht das Land. Antreten zur Zeitenwende.

In der Rettungswache des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz konnten sich die Jugendlichen über die Arbeit der Notfall- und Rettungssanitäter informieren.
Bundeswehr/Patrick Grüterich

Linus Weydert ist so ein Kandidat. Mit seinen 23 Jahren ist der Münsteraner einer der älteren Interessenten. Der Krankenpfleger will Medizin studieren. „Ich arbeite momentan im Drei-Schicht-System“, sagt er. Da ist die Work-Life-Balance etwas aus dem Gleichgewicht geraten. Ein großes Thema bei den jungen Menschen. „Das höre ich fast bei jedem Bewerbungsgespräch“, sagt Buschulte. Dann wird nach individuellen Lösungen gesucht. „Das ist dann immer auch ein Stück weit Lebensberatung“, sagt er.

Was die Bundeswehr für Mediziner attraktiv macht, ist zweifellos die Bezahlung. Während sich die zivilen Kommilitonen oft mit Studentenjobs über Wasser halten müssen, gibt's bei der Truppe schon im Studium ordentlich Geld. „Als Leutnant kommen Sie auf knapp 2000 Euro netto“, rechnet Buschulte vor. Das ist ein Argument. Auch für Linus Weydert. Der Haken: Im Gegenzug muss er sich auf 17 Jahre verpflichten. Dann wäre er 40. Das schreckt ihn schon etwas ab.

Auch in seiner Familie ist keine echte Euphorie ausgebrochen, als er von seinen Plänen erzählt hat. „Meine Eltern waren nicht begeistert“, sagt er. Vor allem sein Vater habe ihm abgeraten, zur Bundeswehr zu gehen. „Er hat sehr über seinen Wehrdienst geschimpft.“ Seine eigene Einstellung zur Bundeswehr habe sich hingegen in den vergangenen Jahren gewandelt. Früher sei er deutlich skeptischer gewesen.

Karrieretag beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz
Einblick in den Klinikalltag: Beim Karrieretag des Sanitätsdienstes besuchten Schüler und Auszubildende auch die Notaufnahme des Bundeswehrzentralkrankenhauses.
Patrick Grüterich. Bundeswehr/Patrick Grüterich

Womit er indes immer noch hadert, ist die Ausbildung an der Waffe. Denn am Sturmgewehr G36 und der Pistole kommt er auch als angehender Arzt nicht vorbei. „Das ist schon ein komisches Gefühl“, räumt er ein. „Ich finde es schon sehr befremdlich, mit etwas zu hantieren, das Menschen töten kann.“ Aber damit könnte er leben. Schon aus Selbstschutz. Linus Weydert muss die viele Informationen nun aber erst mal sacken lassen. „Das ist keine Entscheidung, die man aus dem Bauch raus treffen kann“, sagt er.

Marie Turba ist da schon einen Schritt weiter. Die 18-jährige Marburgerin hat ihre Bewerbungen schon abgeschickt. Zahnmedizin, Veterinärmedizin oder Pharmazie: Hauptsache Bundeswehr. Eine Woche Mediziner-Camp in Rennerod hat die Schülerin überzeugt. Auch wenn es vier Tage lang fast nur geregnet hat. „Das hat richtig Spaß gemacht“, sagt die junge Frau, die im kommenden Frühjahr Abitur machen will.

Die 18-Jährige lernte den Hohen Westerwald dabei in der niedrigsten Gangart kennen. Knapp oberhalb der Grasnarbe. „Wir hatten nachher alle Muskelkater“, erinnert sie sich an den Truppenübungsplatz. „Aber ich mag es, an meine körperlichen Grenzen zu gehen.“ Auch mit dem frühen Aufstehen hat sie kein Problem. „Morgens wurden wir um 6 Uhr geweckt“, sagt sie. Danach ging's auf die Hindernisbahn, in den Schlamm und zum Sporttest. Das habe die Gruppe zusammengeschweißt. „Alle haben uns angefeuert“, sagt sie.

Karrieretag beim Sanitätsdienst der Bundeswehr im BundeswehrZentralkrankenhaus Koblenz
Der Rettungshubschrauber stieß bei den Jugendlichen auf besonders großes Interesse.
Patrick Grüterich. Bundeswehr/Patrick Grüterich

Die Bundeswehr kennt Marie Turba bereits aus dem familiären Umfeld. Schon ihr Großvater war Soldat mit Leib und Seele. „Dem hat es so gut gefallen, dass er gar nicht in Pension gehen wollte“, sagt sie und lacht. Ihr Onkel ist noch bei der Truppe. Für die junge Frau sind die beiden Vorbilder. „Ich helfe gern anderen Menschen“, erklärt sie ihre eigene Motivation. „Das Geld spielt für mich hingegen nicht so eine große Rolle.“

Jetzt muss sie nach dem Abitur im Frühjahr nur noch den Mediziner-Test bestehen. Und der hat es durchaus in sich. Einen Numerus clausus gibt es bei der Bundeswehr zwar nicht. „Aber ein 3,0er-Abi führt auch bei uns eher selten zum Medizin-Studium“, betont Diana Hehn, Pressesprecherin beim Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr. „Und wir erwarten, dass das Studium in der Regelstudienzeit von sechs Jahren absolviert wird.“

Gute Noten in Biologie und Chemie bringt Marie Turba schon mal mit. Aber die Konkurrenz ist groß. „Für Medizin haben wir sehr viele Bewerber“, betont Hauptmann Hehn. Weitaus mehr etwa als im Heer. Am Ende wird ein Ranking erstellt, das darüber entscheidet, ob die Bewerber genommen werden oder nicht. „Mehr als 50 Prozent aller Ärzte bei der Bundeswehr sind Frauen“, sagt Diana Hehn. Im Sanitätsdienst allgemein liegt die Quote bei rund einem Drittel. Tendenz: steigend.

Und nach dem Infotag im Koblenzer Karrierecenter dürften wohl noch ein paar hinzukommen. „Wir haben hier in der Lounge pro Woche rund drei bis fünf Bewerbungen“, sagt Stabsfeldwebel Sebastian Schneider, der in einem Nebenraum der Lounge bei Interesse Nägel mit Köpfen macht. Gerade erst habe er für eine Pflegefachkraft einen maßgeschneiderten Karriereplan erstellt.

Schneider hat dabei festgestellt, dass sich auch immer mehr Quereinsteiger für die Bundeswehr interessieren. Der älteste war 59 Jahre. „Die meisten sind Ende 30, Anfang 40.“ Darunter seien übrigens auch viele, die den Wehrdienst als junge Männer verweigert haben. Bis zum Alter von 49 Jahren könnten Quereinsteiger sogar noch verbeamtet werden.

Der russische Angriff auf die Ukraine war dabei Schneider zufolge eine Zäsur. Danach sei die Bewerberzahl geradezu explodiert. Bei der Karriere-Hotline in Stuttgart habe das Telefon damals kaum stillgestanden. „Da sind Tausende Anrufe eingegangen“, erinnert sich Stabsfeldwebel Schneider. Auch das Interesse an Lehrgängen zum Heimatschutz ist sprunghaft gestiegen. Und das, obwohl sich die militärische Ausbildung in der Freizeit über ein Jahr lang hinziehen könne.

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