Was wir essen, beeinflusst, wie wir uns fühlen. Kann Essen glücklich machen? Oder zumindest froh?
Ja, das tut’s bei mir jeden Tag. Spätestens beim Kochen lässt bei mir der Stress nach. Etwas genießen, was man selbst zubereitet hat, gemeinsam am Tisch sitzen, das tut gut. Kochen ist toll, es führt immer zu einem greifbaren Ergebnis. Bis dahin passieren eine Menge kulinarische Transformationen: Vorher hab ich Mehlpulver und hinterher ein gebackenes Weggele (Schwäbisch für Brötchen, Anm. d. Red.). Das ist jedes Mal ein Erlebnis, aktiviert im Gehirn das Belohnungszentrum und tut was für unsere Geschmacksbildung, weil es jedes Mal anders schmeckt.
Erfolg ist beim Kochen leider nicht garantiert, bisweilen endet’s auch im Frust …
Genau das ist die Herausforderung. Wenn’s mal ned gelingt, was macht man dann damit? Schwaben schmeißen ja ungern was weg. Nehmen wir mal an, da macht jemand ein Pökelexperiment, und das geht schief: Die Salzkonzentration war zu hoch, und das schöne Stück Fleisch ist dahin. Dann kann man das so nicht mehr essen – es sei denn, man legt es wie Stockfisch ins Wasser und entsalzt es wieder. Man kann es aber auch im Heißluftofen bei 50 bis 60 Grad trocknen und anschließend kleinschneiden oder gar reiben. Das ist eine sensationelle Würze, die hält jahrelang! Je mehr Lebensmittelerfahrung man sammelt, desto weiter kommt man beim Genießen.
Womit kann ich mir Gutes tun, wenn ich mal einen Durchhänger habe? Und wovon lasse ich besser die Finger?
Wenn’s im Winter dunkel ist, und man spürt einen Anflug von Traurigkeit, sollte man sich an nichts wagen, was man nicht kennt oder was eine besondere Herausforderung darstellt. Dann ist Soulfood gefragt: Am besten was, was die Mutter oder Oma gekocht hat. Also nix Hochkulinarisches, sondern ein Lieblingsgericht aus der Kindheit, das unsere Seele tröstet. Bei mir ist das Linseneintopf, Kartoffelsalat oder ein einfacher Salzkuchen.
Das sind alles schwäbische Standardgerichte. Womit trösten sich denn die Menschen im Rheinland?
Die einfachen Gerichte sind immer die besten, das wussten schon die großen französischen Köche. Nehmen wir klassisches Kartoffelgratin: Es fängt schon damit an, dass die Spitzenköche der Haute Cuisine da keinen Käse draufmachen. Wer das mal probiert, rohe, in Scheiben geschnittene Kartoffeln in einer Mischung aus Milch, Sahne und einer Prise Salz weichkocht, der merkt, was da für Aromen die Nase umflauschen. Ein schlichter Erdapfel, festkochend, langsam gekocht, abgeschmeckt mit Salz, Pfeffer, Muskat, dann noch mal kurz in den Ofen schieben. Dieser Duft bringt einen auf Ideen: Muskat erinnert irgendwie an Petersilie, könnte man ja mal ausprobieren. Oder mit Nelken, Tonkabohnen experimentieren – schon bin ich ganz woanders.
Wenn’s ernst wird, sollte man sich also an Einfaches halten. Und stets mit allen Sinnen genießen. Gibt es denn spezielle Zutaten oder Aromen, die gute Laune fördern?
Alles, was süßlich schmeckt, hellt unsere Stimmung auf, das nehmen wir schon mit der Muttermilch in uns auf. Es gibt auch zahllose Berichte darüber, welche Inhalts- und Wirkstoffe im Essen unseren Stoffwechsel positiv beeinflussen. Ob sie das aus einer Depression holt, wage ich allerdings zu bezweifeln. Wir essen zudem sehr individuell, sind geprägt durch die Region, in der wir aufwachsen, das, was in der Familie gekocht wurde. Da ist auch viel Assoziatives dabei, wenn’s uns schmeckt. Die individuelle Essbiografie halte ich für den wesentlicheren Anteil beim Genießen als einzelne Bestandteile oder Inhaltsstoffe. Besonders spannend wird’s natürlich, wenn man auch ab und zu über seinen kulinarischen Schatten springt und was Neues ausprobiert, was einem dann womöglich schmeckt.
Was war denn Ihr letztes Küchenabenteuer?
Ich habe einen Garten und noch gar nicht lang her die letzten Johannisbeeren geerntet. Die waren etwas spätleseartig, zum Teil schon a bissle matschig, haben aber ganz toll gerochen. Die hab ich durch ein Sieb gestrichen, um das Fruchtfleisch zu Marmelade – mir saged Gsälz – zu verkochen. Im Sieb blieben die Kerne und Schalen …
… die Sie natürlich nicht wegwerfen konnten.
Neeeeiiiiiin! Was macht man draus? Eine Reaktorflüssigkeit: Diese feuchte Masse wird mit Butterschmalz – das passt gut, weil es auch nussige Aromen hat – in einer heißen Pfanne karamellisiert. Solche Aromen hat man ja ganz gern für Fleischsoßen. Das ist ziemlich weit entfernt von einer Mehlschwitze, erinnert aber daran und ist eine tolle Soßengrundlage, von mir aus auch für rheinischen Sauerbraten.
Schon sind wir mittendrin in der Küchenphysik. Dann erklären Sie doch mal, was gewisse Eigenschaften von Lebensmitteln mit uns anstellen: Süße?
Das fördert die Produktion von Serotonin an, einem Stoff, der wesentlich für unsere Laune ist. Oft sind tryptophanreiche Proteine vorhanden, beispielsweise bei Schokolade oder Bananen, die wiederum das Serotonin ankurbeln. Sie müssen aber ziemlich viel Schokolade essen, bis Sie auf Mengen kommen, die Psychiater gegen Depression verschreiben. Da wächst der Bauch schneller, das macht dann wiederum sehr deprimiert.
Fett?
Genial. Die Verteufelung von Fett ist vollkommener Unsinn. Allein schon die weiche Konsistenz schmeichelt unseren Gaumen. Der perfekte Aperitif ist doch eine Scheibe Sauerteigbrot, dick bestrichen mit Griebenschmalz, ein paar Körnle Salz obendrauf und dazu ein Gläsle Bier. Evolutionär bedingt ist Fett ein Energieträger, und es fördert den Geschmack. Es nimmt die ganzen Aromen auf und lässt sie später im Mund frei, man hat also länger was davon. Ein Stück Butter, das im Mund langsam wegschmilzt, ist fast wie Schokolade. Oder ein guter Schuss Olivenöl, diese kräftigen grünen Aromen, da spürt man die Sonne der Provence! Ein Tomatenbrotsalat mit ordentlich Olivenöl ist doch wunderbar. Man darf nur nicht den Fehler machen, Essig draufzuschütten, weil die Tomaten bei uns meist eh schon ziemlich sauer sind.
Das klingt fast wie Urlaub. Womit wir bei Wärme wären: Wenn ich Trost brauche, muss es warm sein, am liebsten Suppe. Nützt das tatsächlich was?
Das ist wirklich so, mit Wärme wird’s uns schon gleich wohler. Allerdings macht eine Tasse heißes Wasser nicht besonders glücklich, da braucht’s schon auch noch Geschmack. Am besten Umami – das Pendant zu herzhaft. Seit wir das Feuer haben, essen wir lieber warm. Das hat sich bewährt, sonst hätte es der Homo sapiens nicht weiterverfolgt. Rohkost macht einen nie glücklich. Da wird’s einem nicht warm, es hat null Energie und gärt im Darm vor sich hin. Wenn wir eine rohe Karotte kauen, tun wir das ja nicht, bis sie Brei ist, sondern schlucken meist ganze Karottenstückchen. Die Nährstoffe, die da drin sind, bekommen wir gar nicht aufgeschlüsselt, weil wir dafür gar keine Enzyme haben. Die Pflanzenstoffe werden erst im Dickdarm vergoren, aber da ist es zu spät für die Aufnahme. Dann gibt’s halt Gase. Mit rohem Gemüse tun wir uns nix Gutes. Ach ja: Gewisse Gewürze, vor allem die scharfen, produzieren auch Wärme.
Eine weiche Konsistenz hilft auch, uns mollig zu fühlen, oder?
Breiiges katapultiert uns auch in die Kindheit zurück. Wenn man etwas fein püriert, müssen wir das nicht mal mehr groß verdauen. Die Nährstoffe liegen frei verfügbar da und wir können sie sofort aufnehmen. Kürzlich hab‘ ich ein Suppengrünpüree gemacht, weil Suppengrün übrig war. Was macht man damit? Alles rein in den Thermomix, ein normaler Mixer oder Pürierstab geht natürlich auch, dann mindestens ein Drittel bis zu einer Hälfte Butter dazu, das Ganze durchpürieren, bisschen Salz dazu. Das ist extrem cremig, da hat man was im Mund, das haut einen um! Passt als Beilage zu allem, egal, ob Fleisch, Fisch oder Vegetarisch. Wer keine Butter verwenden will, nimmt Olivenöl. Da müssen Sie halt ein bisschen weniger nehmen, weil das keine Molkenproteine hat, flüssiger ist und nicht so gut eingebunden wird. Ohne die Lactose wird’s natürlich weniger süß. Für Kartoffelpüree übrigens immer festkochende Kartoffeln nehmen, nie die mehligen! Die bringen mehr Emulgator mit.
Bei Frust giere ich nach Kohlenhydraten. Können die trösten, oder sind sie zu Recht verteufelt?
Das sind schnelle Energielieferanten. Wenn man einen Marathon läuft, ist das gut. Oder wenn man mal schnell auf die Jagd muss. Blöd ist halt, wenn wir die Energie nicht verbrauchen. Dann wird sie zwischengelagert, zunächst in den Muskeln. Wenn sie da auch nicht verbraucht wird, geht sie über ins Fettgewebe. Von einem Berg Nudeln dreimal täglich würde ich daher abraten. Dann lieber ein kleines Dessert. Mehr schafft man nach einem ordentlichen Menü eh nicht.
Das Gespräch führte Nicole Mieding