Rheinland-Pfalz

Wirtschaftsraum am Boden: Die Flut hat etliche unternehmerische Existenzen zerstört

Von Carsten Zillmann
Eine provisorische Mülldeponie mitten in Mayschoß: Dutzende Elektrogeräte stapeln sich am Ufer der Ahr, die Flut hat sie unbrauchbar gemacht.
Eine provisorische Mülldeponie mitten in Mayschoß: Dutzende Elektrogeräte stapeln sich am Ufer der Ahr, die Flut hat sie unbrauchbar gemacht. Foto: dpa

Dernau ist eigentlich eines der Vorzeigedörfer des Ahrtals. Jetzt ist sein Anblick zum Heulen. Maik Rönnefahrt führt in Dernau einen der Vorzeigehandwerksbetriebe des gesamten Landes. Normalerweise lugt der Schriftzug „Die Holzwürmer – Made in Dernau“ zu dieser Jahreszeit knapp über lang gezogene Reihen von Spätburgundertrauben, und bis zu 30 Mitarbeiter hobeln, sägen und schleifen. Jetzt zieht sich vom Dernauer Ortsrand bis zu Rönnefahrts Meisterbetrieb eine improvisierte Mülldeponie: grotesk ineinander verkeilte Haushaltsgegenstände und Autoteile, die nur noch von Schlamm zusammengehalten werden.

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Der Schlamm ist überall: In Dernau sind die Menschen damit beschäftigt, ihre Häuser von der braunen Brühe und Unrat zu befreien.
Der Schlamm ist überall: In Dernau sind die Menschen damit beschäftigt, ihre Häuser von der braunen Brühe und Unrat zu befreien.
Foto: dpa
Am Betrieb sind die Mitarbeiter mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Hunderttausende Euro teure Maschinen hat die Ahr in der Flutnacht weggespült. „Ein Totalschaden“, fasst Rönnefahrt wenige Tage und mit noch weniger Stunden Schlaf später zusammen. Wie ihm geht es vielen Wirtschaftsbetrieben in der Region. Auf die totale Zerstörung muss nun – kurz nach der Hochphase der Corona-Pandemie – der Wiederaufbau folgen.

Die Wirtschaftsregion startet in vielen Bereichen von null. Flaschen und Kisten des Sinziger Mineralbrunnens trieben kurz nach der Katastrophe in Ahr und Rhein. Das Unternehmen wünscht auf seiner Seite den Betroffenen viel Kraft – und gehört doch selbst dazu. „Im Moment ist der Betrieb von der Außenwelt abgeschnitten und nicht erreichbar“, heißt es. Das Unternehmen wurde mit voller Kraft getroffen. Anderen Betrieben – quer durch die Wirtschaftssparten – geht es ähnlich.

In der Innenstadt von Ahrweiler waschen Gastronomen und Hoteliers ihr Inventar notdürftig mit Regenwasser. Zumindest der gröbste Schlamm soll so irgendwie verschwinden. Damit können sie sich auch einen Überblick verschaffen, welche Teller, Schüsseln und Töpfe überhaupt noch zu retten sind. Wo sich Gastronomiebetriebe befinden, kann man inzwischen sogar riechen. Die Kühlanlagen sind seit Tagen ohne Strom, die Helfer mühen sich, die vergammelten Lebensmittel rasch abzutransportieren. Nicht immer gelingt das.

Das Sternerestaurant Sanct Peter in der Walporzheimer Straße hat nicht einmal mehr eine Eingangstür. Der Chef kann den Schaden noch nicht überblicken, bittet um Geduld. Die Weinberge, einer der größten Wirtschaftszweige der Region, scheinen auf den ersten Blick verschont. Doch obwohl die meisten Reben dem Starkregen getrotzt haben, dürfte es nicht gut um den Jahrgang 2021 stehen: Denn die Winzer haben Hallen, Traktoren und vieles mehr verloren (siehe Text unten).

Die Industrie- und Handelskammer fordert „für unsere eigentlich hochwassererprobte Region umgehend unbürokratische Soforthilfen“. Hauptgeschäftsführer Arne Rössel warnt vor planungs- und genehmigungsrechtlichen Hürden. „Viele private und Tausende unternehmerische Existenzen sind zerstört“, sagt Rössel. „Strom, Wasser, Abwasser, Gas, Telefon und Internet fehlen. Nur in einer gemeinsamen Kraftanstrengung mit Ausnahmeregeln haben wir eine Chance, das Ahrtal wieder aufzubauen.“ Schreiner Rönnefahrt wird in den kommenden Wochen seine Fahrzeuge ins Land schicken können, um Türen oder Fenster zu reparieren. Das ist für ihn selbstverständlich. „Die Leute brauchen uns jetzt, und wir sind der Region hier sehr verbunden“, sagt er. Doch die Holzwürmer sind eigentlich auf Sonderanfertigungen von Möbeln und Küchen spezialisiert.

Mit der Meister-Eder-Schreinerei des Pumuckl hat sein Geschäftsmodell trotz der geradezu romantischen Tallage nichts gemein. Die Abläufe in Rönnefahrts Halle sind hoch technisiert. Die CNC-Fräse allein kostete mehr als eine Viertelmillion Euro, war nur wenige Monate alt. Nun wird sie abgebaut. Wie geht es weiter?

„Wir wollen in zwei Wochen die Halle sauber haben“, sagt Rönnefahrt, der neben seinen zupackenden Mitarbeitern auch auf viele Freunde aus dem Kölner Raum setzen kann. Vermutlich gehen die Aufräumarbeiten daher nun schneller. Ein wirkliches Problem ist aber die Technik: „Wir nutzen eigentlich keine Serienprodukte. Das sind Spezialanfertigungen“, erklärt er. Seine Hoffnung derzeit: Die Firma Homag, einer der weltweit führenden Anbieter von integrierten Lösungen für die Produktion in der Holz bearbeitenden Industrie und dem Handwerk mit Sitz in Baden-Württemberg, nutzt Rönnefahrts Firma oft als Vorführbetrieb. „Ich setze darauf, dass sie mir ihre Ausstellungsstücke zur Verfügung stellen“, sagt er. „Hieran hängen Existenzen.“

Die Handwerkskammer Koblenz organisiert derweil Hilfe zwischen den einzelnen Handwerksbetrieben. „Handwerker helfen Handwerkern“ startete direkt nach der Hochwasserkatastrophe und hat bundesweit eine riesige Resonanz ausgelöst. „Nach vier Tagen haben wir mehr als 400 Angebote aus ganz Deutschland und sogar aus dem Ausland, insbesondere Österreich, erhalten. Die Hilfsbereitschaft der Handwerker und auch vieler Privatpersonen im Sinne betroffener Handwerksbetriebe ist beeindruckend“, erklären Ralf Hellrich und Kurt Krautscheid, Hauptgeschäftsführer und Präsident der HwK. Von zentraler Bedeutung ist eine Bedarfsanalyse. „Die Nachfrage ändert sich von Tag zu Tag. Und noch ist es schwierig, die Angebote sinnvoll zusammenzubringen“, sagt Hellrich. „Dafür brauchen wir Informationen aus den Betrieben. Insofern bitten wir unsere Handwerker im Ahrtal, Kontakt aufzunehmen oder andere zu informieren, die uns dann kontaktieren.“

Außerdem ist die HwK in Bad Neuenahr-Ahrweiler mit der Ahr-Akademie in der Wilhelmstraße 20 vertreten, in der weiterhin das Stromnetz und Internetverbindungen funktionieren. „Wir stellen unsere Arbeitsplätze dort Handwerkern als Notbüro zur Verfügung“, erklärt Krautscheid. Die Telefonnummer lautet: 0261/ 398.309.

Maik Rönnefahrt hatte schon am Sonntagabend großes Glück. Ein Bekannter vermittelte ihm ein Aggregat, mit dem er im Zweifel sogar seinen gesamten Betrieb unter Volllast fahren könnte. „Ich muss jetzt was tun“, sagt er. „Schlafen kann ich eh nicht.“

Carsten Zillmann