Korweiler/Dimbach

Wie die Gallier: Dörfer sind stärker als Corona

Von Jens Albes
Anke Wilhelm aus Korweiler im Hunsrück hat gut Lachen: Ihr Dorf gehört zu den Orten, die bisher von Corona verschont blieben.  Foto: dpa
Anke Wilhelm aus Korweiler im Hunsrück hat gut Lachen: Ihr Dorf gehört zu den Orten, die bisher von Corona verschont blieben. Foto: dpa

Dunkle Hausdächer, grüne Gärten, hügelige Felder. Korweiler ist ein Dorf wie viele – mit einer Besonderheit: Es hat laut Rhein-Hunsrück-Kreisverwaltung noch nie einen Corona-Fall erlebt. Anke Wilhelm sitzt in dem 80-Seelen-Ort vor ihrer Haustür: „Wenn ich abends Fernsehen schaue, finde ich es erschreckend, was alles mit Corona passiert. Hier ist das anders, hier fühle ich mich sicher.“ Die Ausflügler aus den Großstädten, die am Wochenende kommen, seien neidisch und glücklich: „Das merkt man schon, wenn die aus dem Auto steigen. Dann leuchten ihre Gesichter.“

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Der Vorteil der Kleinen

Im ländlich geprägten und kommunal kleinteiligen Rheinland-Pfalz haben Landesuntersuchungsamt und Gemeinde- und Städtebund nach eigener Aussage keine landesweite Übersicht über alle Dörfer mit einer 0,0-Corona-Inzidenz. Doch nach Angaben von Kreisverwaltungen sind es Dutzende meist sehr kleine Orte. Aber es gebe auch Corona-freie Dörfer wie Berschweiler bei Baumholder im Kreis Birkenfeld mit immerhin rund 525 Bürgern oder Lieg im Kreis Cochem-Zell mit etwa 400 Einwohnern (Stand Mitte April).

Anke Wilhelm in Korweiler sagt, schon im nahen Städtchen Kastellaun mit rund 5500 Bürgern fühle sie sich weniger sicher: „Da ist mir zu viel Betrieb.“ Manuela Juber, Tagesmutter in Korweiler, hält Großstädte „für eine Vollkatastrophe. Wir sind dagegen nur 80 Leute, da weiß ich, dass niemand Corona hat.“ In der Koblenzer Fußgängerzone etwa sei das anders. Juliane Wagner aus Korweiler arbeitet zwei Tage pro Woche in Koblenz: „Früher bin ich da in der Mittagspause rumgelaufen – das mache ich jetzt gar nicht mehr.“

Auch das 184-Einwohner-Dorf Dimbach im Pfälzerwald hat laut der Kreisverwaltung Südwestpfalz noch keinen Corona-Fall erlebt (Stand Mitte April). Das sei wohl „Glück beziehungsweise Zufall“, vermutet Sprecher Thorsten Höh: „Wir gehen mal nicht davon aus, dass die Gemeinde mit einer speziellen Maßnahme aktiv dazu beitragen konnte.“ Dimbachs Bürgermeister Thomas Funck sagt: „Ich fühle mich hier sicherer als in Ludwigshafen.“ Seine Bürger bedauerten zwar die Corona-bedingten Zwangspausen ihrer fünf Vereine, hätten aber wenigstens ihre Gärten und oft auch eigenen Waldbesitz: „Da sind Abstandsregeln kein Problem.“ Am Wochenende jedoch lockt der Premiumwanderweg Dimbacher Buntsandstein Höhenweg so viele Großstädter an, „dass das schon teils belastend ist für unsere Bürger“. Dimbach werde dann zugeparkt.

Auch in anderen Corona-freien Orten ist von Glück die Rede – und von Achtsamkeit. Hubert Hess harkt in einem Garten in Lieg im Hunsrück: „In der Stadt gibt es Jubel, Trubel, Heiterkeit – da denken nicht alle an die Corona-Regeln.“ Das sei in Lieg anders.

Der Bürgermeister des Dorfes, Heinz Zilles, bestätigt das: Nur mit Disziplin und Rücksichtnahme seien seine Bürger bislang gut durch 14 Monate Pandemie gekommen. Manche Großstädter hassen die soziale Kontrolle in Dörfern, der in Wohnstraßen kaum ein fremdes Autokennzeichen entgeht. Zilles spricht lieber von „sozialer Einbindung und Nähe“ in Lieg, wo zum Beispiel geschaut wird, wer wo zu Besuch ist – wo aber auch niemand vergessen wird, etwa wenn Jugendliche für Senioren Einkäufe organisieren. Darüber hinaus will die freiwillige Feuerwehr nun Schnelltests für alle Bürger anbieten.

Ganz ohne Berührung mit der Außenwelt sind auch Corona-freie Dörfer nicht. Barbara Wagner in Korweiler sagt: „Jeder hat seine Kontakte.“ Etwa beim Einkaufen, im Beruf oder in Schulen an anderen Orten. Das 80-Einwohner-Dorf Korweiler selbst hat keine Grundschule. Um so wichtiger sei es, auch hier im Freien die Corona-Mindestabstände einzuhalten, betont Barbara Wagner. „Zu Hause beschränken wir uns auf die engste Familie und treffen uns da nicht mit Freunden.“

Bürgermeister Zilles in Lieg resümiert: „Das Landleben hat an Attraktivität gewonnen. Früher haben uns Städter oft belächelt. Das ist mit Corona mittlerweile anders. Hier können die Leute ruhig leben.“ Der Trend zum kontaktfreien Homeoffice lasse sich auch in Lieg beobachten: „Das sieht man, wenn man tagsüber durch die Straßen geht.“ Mehr Zeit für Familie und Hobbys, weniger Belastung von Umwelt und Geldbeutel durch Autofahren: „ein enormer Gewinn“.

Das Ende der Landflucht?

Voraussetzung für Homeoffice ist schnelles Internet. Das gibt es nicht überall in Rheinland-Pfalz. Barbara Wagner sagt in Korweiler: „Unseres ist schon besser als vor paar Jahren.“ Ihr Mann, der Wohnmobile konstruiert, kommt mit technischen Zeichnungen aber nicht weit: „Das Hochladen würde ein, zwei Stunden dauern.“

Auch in Rheinland-Pfalz gibt es Landflucht und verödete Dorfzentren. Doch die Pandemie scheint zumindest in Ansätzen eine Gegenbewegung auszulösen. In den bislang 14 Corona-Monaten gab es mehr Anfragen für Baugrundstücke in Lieg, berichtet Zilles. „Wir haben in dieser Zeit etwa zehn neue Bürger bekommen.“ Lieg plant ein Neubaugebiet mit 17 bis 20 preiswerten Baugrundstücken.

Von Jens Albes