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München

Michael Defrancesco zum Münchner Missbrauchsgutachten: Benedikt hat eine rote Linie überschritten

Von Michael Defrancesco
Michael Defrancesco.
Michael Defrancesco. Foto: RZ

Es liegt in der Natur von Naturkatastrophen, dass sie irgendwann abklingen. Das Erdbeben lässt nach, das Gewitter verzieht sich – und dann scheint wieder die Sonne. So könnte es doch auch in der katholischen Kirche ablaufen – das hoffen nicht wenige.

Lesezeit: 2 Minuten
Dann hat es zwar mal kräftig gebebt – aber die jahrtausendealte Kirche hat doch schon viel überlebt. Und wenn die Erschütterung abgeklungen ist, dann kann man doch wieder so weitermachen wie bisher – oder nicht? Man könnte sagen, dass die katholische Kirche das Aussitzen geradezu erfunden hat. Denn: Sie denkt in ...
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Missbrauchsbeauftragter erschrocken über Benedikts Verteidigung: „Wir haben keine Paralleljustiz“

Trier. Es ist jetzt eine Woche her, dass das Gutachten zu sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Erzbistum München und Freising die katholische Kirche erschütterte. All dies sei für viele Gläubige kaum mehr zu fassen und zu ertragen, sagt der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz, im Interview mit unserer Zeitung.

Welche Empfindungen hatten Sie, als Sie das Münchner Missbrauchsgutachten gelesen haben?

Das Gutachten bestätigt, was wir durch andere Gutachten und Untersuchungen schon wissen. Und trotzdem erschüttert es mich einmal mehr, schwarz auf weiß zu sehen, welches Leid Menschen in unserer Kirche erfahren haben und erfahren. Und dass hier auch einem ehemaligen Papst schwere Verfehlungen vorgeworfen werden, ist für viele Gläubige kaum mehr zu fassen und zu ertragen. Deshalb halte ich es für sehr notwendig, dass sich nicht nur Kardinal Marx und seine noch lebenden Vorgänger zu dem Gutachten verhalten, sondern auch der emeritierte Papst.

Wir werden in der Zukunft noch mehrere Gutachten bekommen. Vor allem werden uns die Unabhängigen Aufarbeitungskommissionen ihre Ergebnisse präsentieren. Das ist wichtig, denn ich habe immer wieder betont, dass ich den mit dem UBSKM (Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Anm. d. Red.) vereinbarten Weg der Aufarbeitung durch unabhängige Kommissionen, in denen Experten verschiedener Fachrichtungen und Betroffene zusammen sind, für den richtigen Weg halte. Darüber hinaus meine ich aber auch, dass die Zeit, pure Betroffenheit zu äußern, vorbei ist. Denn gegenwärtig und zukünftig werden Worte und Gesten nur eine positive Wirkung haben, wenn sie echt, durch ehrliche und konsequente Aufarbeitungsprozesse und durch zukunftsgerichtete Maßnahmen unterlegt sind. Daran arbeiten wir, und das sehe ich als meine Verpflichtung.

Wie bewerten Sie die Verteidigungsschrift von Papst Benedikt XVI., die in Anhang zwei des Gutachtens zu lesen ist?

Die rein juristische und minutiöse Art der Beantwortung im Sinn einer Verteidigung hat mich erschreckt. Sie überlagert ganz die Tatsache, dass Benedikt XVI. zu Beginn seiner Verteidigungsschrift ehrliches Mitgefühl mit den Betroffenen äußert und die Aufarbeitung insgesamt positiv bewertet. Mit welcher ehrlichen Anteilnahme der frühere Papst Betroffenen begegnen konnte, habe ich bei dem Gespräch, das es anlässlich seines Deutschlandbesuchs 2011 in Erfurt gab, persönlich erlebt. In seiner Reaktion auf die Anwälte ist davon leider nichts zu spüren.

Wie bewerten Sie das Argument, das Papst Benedikt XVI. selbst verwendet, dass man nicht mit heutigen Maßstäben auf vergangenes Fehlverhalten schauen darf?

In der Sache ist es richtig und wichtig, Ereignisse immer auch im Kontext der jeweiligen Zeit zu betrachten und einzuordnen. Aber in Aufarbeitungsprozessen geht es eben nicht nur um nüchterne Fakten, sondern auch und vor allem um die verletzenden Wirkungen, die sie in den Seelen von Menschen verursacht haben. Darüber hinaus sollte eine historische Einordnung nicht dazu verwendet werden, die eigene Verantwortung in Abrede zu stellen.

Wie bewerten Sie die Forderung, dass die katholische Kirche voll und ganz der „weltlichen Gerichtsbarkeit“ unterstellt werden soll?

Die katholische Kirche untersteht der weltlichen Gerichtsbarkeit. Wir haben keine Paralleljustiz. Wir arbeiten seit Jahren gerade bei der Missbrauchsthematik eng mit den staatlichen Organen zusammen. Aktuelle Vorwürfe werden zur Anzeige gebracht, bei zurückliegenden Vorwürfen gab es spätestens nach der MHG-Studie die Überprüfung durch die (General-) Staatsanwaltschaften der Länder. Natürlich legen wir zusätzlich auch das Kirchenrecht zur Bewertung und Beurteilung an – gerade auch, wenn Vorwürfe staatlich bereits verjährt sind und nicht mehr verfolgt werden.

Sollen Bischöfe künftig kontrolliert werden können? Wenn ja: von wem und von welchem Gremium?

Zum einen hat Papst Franziskus in den vergangenen Jahren das Kirchenrecht diesbezüglich erheblich verschärft. Eine Überprüfung des amtlichen Handelns von Bischöfen ist nun viel leichter möglich. Darüber hinaus beschäftigt uns die Frage nach geteilter Macht und gemeinsamer Verantwortung auch beim Synodalen Weg. So arbeiten wir daran, eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit einzurichten.

Ist die katholische Kirche noch in der Lage, selbst der immer größer werdenden Missbrauchskrise Herr zu werden und sie aufzuarbeiten, oder schafft sie das nicht mehr selbst?

Das ist keine Frage des Ja oder Nein: Die katholische Kirche hat die Pflicht, die Verbrechen des Missbrauchs aufzuarbeiten. Dabei haben wir Bischöfe immer betont, dass wir das nicht allein machen können und wollen. Deshalb haben wir uns nach der MHG-Studie auch an den Beauftragten der Bundesregierung gewandt, und ich bin dankbar für die Hilfe, die wir durch ihn, seine Mitarbeiterinnen und die Betroffenen erfahren haben. Der Synodale Weg, den wir zusammen mit dem Zentralkomitee der Katholiken gehen, macht ebenso deutlich, dass wir Bischöfe die Aufarbeitung und Verhinderung von Amtsmissbrauch in der Kirche allein nicht schaffen.

Die Fragen stellte unser Redakteur Michael Defrancesco

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