Ahrtal/Berlin

Kritik wird lauter: Versagt der ADD-Krisenstab im Ahrtal?

Von Judith Schumacher
THW-Helfer, die im Katastrophengebiet an der Ahr so dringend gebraucht werden, erheben bittere Vorwürfe gegenüber dem ADD-Krisenstab. Foto: dpa
THW-Helfer, die im Katastrophengebiet an der Ahr so dringend gebraucht werden, erheben bittere Vorwürfe gegenüber dem ADD-Krisenstab. Foto: dpa

Die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) leitet den Krisenstab im Katastrophengebiet an der Ahr. Doch nachdem die ersten existenziellen Rettungsmaßnahmen beendet sind, wird die Kritik an der Behörde von Thomas Linnertz (SPD) immer deutlicher. Die schwerwiegendsten Vorwürfe: Die Kompetenz der Katastrophenschützer der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ) in Bad Neuenahr werde nicht genutzt. Private und öffentliche Helfer würden nicht koordiniert, und die Struktur des Krisenstabs bleibe ein Geheimnis.

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Frust und auch Wut entladen sich unter anderem in den sozialen Netzwerken. Auf der Facebook-Seite „Hochwasser in AW – freiwillige Helfer“ stand zu lesen: „Wir (Bundesbehörde) sind noch mit vier Traktoren mit Frontladern, drei Unimogs mit Hänger oder Container, einem Lkw und einem Bagger mit Sortiergreifer in Bad Neuenahr vor Ort. Wenn wir nicht offiziell mit einem Hilfeleistungsantrag angefordert werden, müssen wir morgen wieder abreisen. Wäre sehr schade drum. Wer weiß, wer uns gebrauchen und offiziell anfordern kann?“ Was steckt hinter solchen Aussagen? Unsere Zeitung hatte Kontakt zu drei Insidern, die für das Technische Hilfswerk (THW) im Einsatz sind.

Der Krisenstab der ADD residiert in der Bundesakademie. Dort bilden normalerweise Experten im Katastrophenschutz Helfer für Einsätze in ganz Deutschland und der Welt aus. Früher war die Einrichtung unter dem Namen Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) bekannt. Doch just diese Fachleute spielen beim Jahrhundertdrama vor der eigenen Akademietür nur eine Nebenrolle. „Die Experten haben mehrfach ihre Hilfe angeboten, was vom Krisenstab dankend abgelehnt wurde“, erklärte ein erfahrener Einsatzleiter. Die lokalen Experten seien nur als „Coaches“ geduldet worden. Die ADD habe nach Beginn der Lage ihren eigenen Stab aus anderen Bundesländern, teils auch über persönliche Kontakte, rekrutiert. Aktuell koordiniert die vielen freiwilligen Helfer – vom Lohnunternehmer oder Landwirt mit schwerem Gerät bis zum einfachen Bürger mit Gummistiefeln und Schaufel – lediglich eine Person. Auf die Profis von THW, Bundeswehr und Berufsfeuerwehren sind diese Einsätze aber selten abgestimmt. Denn auch die fühlen sich ohne Führung. „Die Bundeswehr und das THW hätten viel schneller und in viel größerem Umfang helfen können, wenn man uns entsprechend angefordert beziehungsweise gelassen hätte“, sagt ein THW-Mann. „Teilweise haben sich dann Kräfte ohne offiziellen Einsatzauftrag und entgegen dem Willen der ADD selbst in den Einsatz gebracht.“

Die „nicht funktionierende Organisation und Einsatzleitung der ADD“ sei „ganz klar die Ursache für dieses Chaos im Ahrtal“. Unter Führungskräften kursiere inzwischen der Spruch: „Die ADD leitet nicht den Einsatz. Sie verwaltet den Einsatz.“ Der ehrenamtliche Katastrophenschützer macht diese Situation auch für die Wut gegenüber Einsatzkräften verantwortlich: Oft werde Hilfe auf irgendeinem Weg angefordert. Die Helfer von Feuerwehr oder THW kommen dann teils erst Tage später bei den Bürgern an. „Ich kann vor diesem Hintergrund die Menschen verstehen, die sich darüber beschweren, dass Hilfe bei ihnen nicht ankommt“, erklärt der THW-Mann. „Schlimm ist aber, dass die Enttäuschung an den Helfern ausgelassen wird, die nichts für diese schlechte Koordinierung können, und sie mit Schlamm und Steinen beworfen werden.“

„Ein Sahnehäubchen“ sei die eigene Wasserversorgung im BABZ gewesen. So ging ausgerechnet dem Krisenstab, der die Menschen im Tal schnell mit Wasser und Strom versorgen soll, das Trinkwasser aus. Dieses Problem wurde so spät gelöst, dass – das bestätigen mehrere Quellen unabhängig voneinander – eine Wasserprobe per Hubschrauber ausgeflogen werden musste, um die Qualität des neuen Wassers im Hochbehälter zu überprüfen. Zwischenzeitlich sei erste Priorität des THW gewesen, „einen Tag lang 40 Dixie-Klos dort mit den Gabelstaplern aufzustellen“. Die Gabelstapler waren allerdings eigentlich für den Einsatz im Tal gedacht.

Eine weitere Forderung der kritischen Krisenmanager: Jeder Ortsbürgermeister soll mit einem eigenen Einsatzleitwagen vor dem Rathaus ausgerüstet werden. Von dort aus könnten dann konkrete Lagebilder übermittelt und Hilfsanforderungen in den Krisenstab gesendet werden. Der wäre dann praktisch Dienstleister und hätte zugleich den Überblick über die Gesamtsituation. Bisher ist das allerdings nach Informationen unserer Zeitung nicht der Fall.

Doch wer könnte diese Probleme lösen? Wie exakt sieht dieser Krisenstab aus, dem selbst das Wasser knapp wird? Wer verantwortet was? Wie viele Menschen gehören dazu? Eine Anfrage unserer Zeitung an die ADD blieb gestern trotz Fristverlängerung unbeantwortet. Eine Sprecherin verwies mehrere Stunden nach Eingang der schriftlichen Anfrage und eine halbe Stunde nach Fristende auf telefonische Nachfrage auf einen „Serverausfall in Trier“ und versicherte, binnen einer Stunde den Fragenkatalog zu beantworten. Wiederum eineinhalb Stunden später war am Telefon der eigens für die Hochwasserlage eingerichteten Pressestelle niemand mehr zu erreichen. Eine schriftliche Antwort ging bis zum Abend ebenfalls nicht mehr ein. Die Organisation des Krisenstabs ist damit weiterhin völlig unklar.

Bei der Staatsanwaltschaft Koblenz sind derweil 25 Hinweise zur Flutkatastrophe an der Ahr eingegangen. Die Hinweise seien „zum überwiegenden Teil sehr wertvoll“, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft mitteilte. Momentan prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie nach der Flutnacht vom 14. Juli ein Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung einleitet. Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf 141 gestiegen, 115 von ihnen sind identifiziert. 17 Menschen werden noch vermisst. Rund 42.000 Menschen sind von den Folgen des Hochwassers betroffen.

Von Judith Schumacher und Carsten Zillmann