Ahrtal

Kritik am Ahr-Landrat wächst: Jürgen Pföhler wegen Krisenmanagement in der Flutnacht unter Druck

Von Manfred Ruch
Jürgen Pföhler
Jürgen Pföhler (CDU) Foto: Thomas Frey/Archiv

Gut zwei Wochen nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe im Ahrtal mit mindestens 135 Todesopfern wächst die Kritik am Krisenmanagement des Kreises Ahrweiler und speziell an Landrat Jürgen Pföhler (CDU). Auch in den sozialen Netzwerken wird die Empörung lauter angesichts der immer neuen Erkenntnisse aus der Flutnacht, die alle einen Schluss nahelegen: Die Menschen im Ahrtal sind vor den tödlichen Fluten offenbar viel zu spät und nicht ausreichend gewarnt worden.

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Das rheinland-pfälzische Landesamt für Umwelt (LfU) in Mainz hatte am Wochenende gegenüber anderen Medien noch einmal die Rechercheergebnisse unserer Zeitung aus der vergangenen Woche bestätigt. Demnach sei der Krisenstab des Kreises Ahrweiler am 14. Juli, dem Tag der Flutkatastrophe, frühzeitig und präzise vor dem Hochwasser gewarnt worden – und zwar online auf der Seite des Hochwassermeldedienstes sowie mit automatisierten E-Mails, in denen auch die gewaltigen Prognosen bei den Wasserständen mitgeteilt worden waren.

Im Detail lief das demnach folgendermaßen ab: Das LfU erstellt seine Hochwasservorhersage nach eigenen Angaben auf Basis der Vorhersagedaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Die gemessenen Pegelstände werden alle 15 Minuten auf der Internetseite www.hochwasser-rlp.de aktualisiert. Diese Pegelstände fließen dann in die Berechnung für aktualisierte Prognosen ein. Nachdem am 14. Juli – nach einem kurzzeitigen Rückgang der Prognosen – bereits um 19.45 Uhr der tatsächlich gemessene Pegelstand in Altenahr bei 4,29 Metern lag, sei auf der Internetseite die Vorhersage auf über 5 Meter erhöht worden, erklärte ein LfU-Sprecher. Das waren bereits rund 1,30 Meter mehr als bei dem katastrophalen Hochwasser von 2016.

Zu dieser Zeit stieg die Ahr um 30 bis 40 Zentimeter alle 15 Minuten. Eine Stunde später lautete die Vorhersage auf der Internetseite dann sogar „mehr als 690 Zentimeter“. Das war allerdings auch die letzte Meldung, da zu diesem Zeitpunkt der Pegel in Altenahr von den Fluten fortgerissen wurde. Zuletzt gemessen hatte er um 20.45 Uhr: 5,75 Meter.

Zusätzlich zur Internetseite des Hochwassermeldedienstes wurden nach LfU-Angaben in einem automatisierten Verfahren im Drei-Stunden-Rhythmus aktualisierte Vorhersagen per E-Mail an die Kreisverwaltung geschickt. Und die klangen am Abend zunehmend bedrohlich. In der letzten E-Mail um 21.26 Uhr wurde ebenfalls auf die Prognose von unvorstellbaren 6,90 Metern in Altenahr hingewiesen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am Samstag berichtete.

Trotzdem dauerte es noch bis in den späten Abend, bis der Krisenstab in Ahrweiler den Katastrophenfall (Warnstufe 5) ausrief. Erst um 23.09 Uhr wurde eine Evakuierungsaufforderung für den Bereich 50 Meter links und rechts des Flusses verbreitet – viel zu spät und viel zu wenig, wie sich dann herausstellte. In einem Lagebericht, der um 23.15 Uhr per Twitter gesendet wurde, verkündete Landrat Jürgen Pföhler den Katastrophenfall und warnte eindringlich vor Lebensgefahr. Dabei war über Katwarn vom LfU bereits um 17.17 Uhr die höchste Warnkategorie „Extreme Gefahr“ (lila) ausgelöst worden. Dort hieß es unter anderem: „ACHTUNG: An der Ahr und ihren Zuflüssen ist die Hochwassergefahr sehr groß. Innerhalb der nächsten 24 Stunden ist mit Sturzfluten und Überflutungen zu rechnen. Erdrutsche sind möglich.“ Die Bilanz der Katastrophe: Mindestens 135 Menschen verloren ihr Leben, 59 Menschen werden noch vermisst.

Die Kreisverwaltung Ahrweiler wollte am Sonntag die Berichte über mangelnde Kommunikation in der Flutnacht auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht kommentieren und verwies auf einen späteren Zeitpunkt. „Oberste Priorität hat für den Kreis und Landrat Jürgen Pföhler, die Versorgung der Menschen im Flutgebiet wiederherzustellen“, hieß es.

Unterdessen wächst auch der Unmut unter den Hilfsorganisationen und freiwilligen Helfern, die zwei Wochen nach der Flutnacht noch eine mangelnde Koordination im Krisengebiet beklagen. Im Fokus der Kritik steht dabei der Krisenstab der Trierer Aufsichtsbehörde ADD, die wenige Tage nach der Flutkatastrophe die Einsatzleitung vom Kreis Ahrweiler übernommen hatte. „Warum steht bis heute noch nicht bei jedem Bürgermeister und Ortsvorsteher ein Einsatzleitwagen mit Kontakt zum Krisenstab?“, fragte etwa ein erfahrener Krisenmanager.

Ein Lichtblick im Flutdesaster: Am Samstag wurde eine vom THW errichtete Behelfsbrücke in Bad Neuenahr fertiggestellt.

Von unserem Redakteur Manfred Ruch