Kreis Ahrweiler

Kommentar zur Katastrophe an der Ahr: Bitte nicht nur Gummistiefel

Von Chefredakteur Lars Hennemann
Chefredakteur Lars Hennemann
Chefredakteur Lars Hennemann Foto: Kevin Rühle

Wir schauen nach wie vor fassungslos auf die Bilder von Ahr und Mosel, aus Nordrhein-Westfalen und den Beneluxstaaten. Noch immer geht es um den Versuch, die Dimension des Leids und des Schadens wenigstens ansatzweise zu verstehen. Dafür wird gesichert, geborgen und gerettet. Und wo dies endet, beginnen Trauer und Schmerz. Was gestern noch in einer ohnehin reichlich unübersichtlich gewordenen Welt wenigstens in der Heimat noch Halt und Schutz gab, ist heute – im wörtlichen und übertragenen Sinn – weggerissen, verschwunden oder beschädigt.

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Es sind Zeiten, in denen Menschen zusammenrücken. In denen eine großartige Hilfs- und Einsatzbereitschaft jene Zeichen von Hoffnung setzt, die die Betroffenen jetzt brauchen. Was sie nicht brauchen: in abgestandenen Analogien zu Oder oder Elbe zum Wahlkampfthema zu werden. Wenn der Bundespräsident sagt, dass man sich doch bitte auch noch in der nächsten oder übernächsten Woche an die Not erinnern möge, trifft er genau den richtigen Ton. Und wenn die Kanzlerin kommt, die an der Wahlurne nichts mehr zu gewinnen hat, ist auch das ein starkes Signal. Aber wenn bereits jetzt, wo das Wasser noch längst nicht abgeflossen ist, wieder – auch durch die Medien – in zynischer Wiederholung ein Rennen um Deutungshoheit beginnt, dann zeigt das nur, wie weit manche Menschen von anderen entfernt sind.

Welcher Spitzenpolitiker zieht sich jetzt als Erster die Gummistiefel an, wer als Letzter, wer gar nicht? Wer sagt das vermeintlich Richtige, und wer stolpert am Mikro? Die Menschen an der Ahr und andernorts brauchen solche „Zuwendung“, die sie selbst im Angesicht des absoluten Abgrunds letztlich nur auf ihren politischen Nutzwert reduziert, ungefähr so dringend wie eine weitere Wasserwelle. Nicht missverstehen: Natürlich muss sich die Politik informieren, um Anteilnahme zu zeigen und passgenau helfen zu können. Aber dazu reichen die, die auch wirklich helfen können oder von Amts wegen müssen. Aber auch Letzteren steht Zurückhaltung beim Inszenieren gut zu Gesicht. Es ist schließlich nicht ihr Geld, das sie jetzt verteilen, sondern das der Solidargemeinschaft aller Bürgerinnen und Bürger.

Sie finden, liebe Leserinnen und Leser, das ist alles ein bisschen weit hergeholt? Dann schauen und hören Sie in den nächsten Tagen und Wochen genau hin. Es wird mit dem Beispiel der Ahr ziemlich viel über den Klimawandel geredet werden. Und ziemlich viel davon wird einigermaßen ahnungslos oder gleich ganz geheuchelt sein. Das Flutdrama ist viel zu groß und beispiellos, um es mit schnellen Standardsätzen einzuordnen. Es entzieht sich dem durch seine Dimension und seine rasende Wucht.

Diejenigen, die wirklich dafür Sorge tragen wollen, dass man trotzdem das Bestmögliche aus der Katastrophe lernt, wird man deshalb nicht daran erkennen, dass sie in möglichst viele Kameras knallige Sätze absenden. Sondern daran, dass sie zunächst viele richtige Fragen stellen. Wie hoch war der Anteil des Klimawandels an der Tragödie wirklich? Was hat zudem das besondere Gelände dazu beigetragen? Was die Art seiner Bebauung und Versiegelung? Was bedeutet das für die schon von Corona gebeutelte Wirtschaft? Haben wir nach den Sommerferien funktionierende Schulen in der Region? Wie ist es um die Ausstattung des Katastrophenschutzes bestellt? Und wie arbeiten, bauen und leben wir in Zukunft? Wenn wir solche Klimaspitzen schon nicht verhindern können, so können wir uns doch vielleicht an sie anpassen.

Nur eine solche Analyse kann Stück für Stück für eine gesichertere Zukunft sorgen. So wie betroffene Menschen Stück für Stück den Schutt wegräumen werden, sich Stück für Stück ins Leben zurückkämpfen. Das werden sie, in allem Schmerz, unterstützt durch viele Helfer auch schaffen. Der Weg dahin wird lang sein. Und am 26. September noch lange nicht beendet sein.

E-Mail: lars.hennemann@rhein-zeitung.net