Bad Neuenahr-Ahrweiler/Mainz

Kaum Hoffnung für 155 Vermisste im Ahrtal: Erneut drohen jetzt Regen und Gewitter – Die Fragen zur Warnkette bleiben

Von zca/ame/ck/dpa
Spürhunde im Einsatz an der Ahr.
Spürhunde im Einsatz an der Ahr. Foto: imago images/Reichwein

Nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal werden weiterhin 155 Menschen vermisst. „Eine Woche nach einem solchen Ereignis nehmen die Chancen ab, dass Vermisste noch leben können“, sagte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Donnerstag in einer Sondersitzung von drei Landtagsausschüssen in Mainz. „Wir tun alles, um diese Schicksale aufzuklären“, fuhr Lewentz fort. „Ich kann es aber nicht versprechen.“ Von den 128 Toten seien bisher 64 identifiziert worden. 766 Menschen wurden durch das verheerende Unwetter verletzt.

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„Es gibt Berichte von Menschen, die vom Fluss mitgerissen worden sind“, sagt der Minister. Er habe bereits am Donnerstag die Wasserschutzpolizeien in den anderen Ländern und in den Niederlanden sensibilisiert. „Aber wir können uns alle gar nicht vorstellen, worüber ich gerade sprechen muss: In den Rheinkurven liegen Berge von Schutt, Holz und Gegenständen. Dazwischen können sich auch einige Vermisste befinden. Wir wissen es nicht.“

Lewentz hat am Freitag auch mit Nachdruck darauf hingewirkt, dass Feuerwehrleute keine Leichen mehr bergen müssen: „Das sind ihre Nachbarn, ihre Freunde.“ Selbst für die erfahrenen Polizisten sei die Aufgabe emotional äußerst herausfordernd. Ebenfalls fraglich sei, wie Menschen bestattet werden können, da auch viele Friedhöfe in der Region von der Ahr zerstört wurden.

Und die schlechten Nachrichten nehmen noch kein Ende: Im Ahrtal blicken die Menschen mit Sorge auf die Wetterprognosen fürs Wochenende. „Viele sind unter dem Eindruck des Ereignisses natürlich jetzt auf Habachtstellung“, sagte der Präsident des Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Rainer Kaul, in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Laut Deutschem Wetterdienst werden schauerartiger Regen und Gewitter in Rheinland-Pfalz erwartet. Es könne erneut Starkregen geben, heißt es.

„Zunächst hoffen wir mal, dass der Regen nicht so heftig wird“, sagte Kaul. „Aber das ist eine neue Herausforderung, die wir dann meistern müssen.“ Derzeit seien die Menschen damit beschäftigt, den Unrat nach der Flut in der vergangenen Woche wegzuschaffen. „Es wäre jetzt falsch, wenn ich sage, es gibt einen Masterplan fürs Wochenende“, sagte er.

Polizeieinsatzleiter Heinz Wolschendorf erklärte in einer Pressekonferenz zur aktuellen Lage im Katastrophengebiet, man sei unter anderem im ständigen Austausch mit dem Deutschen Wetterdienst. Überdies habe er eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die diverse Szenarien durchspielt, wie die Bevölkerung im Ahrtal geschützt werden kann.

Auch mit Blick auf die Wetterlage wird die Räumung der Müllberge in den Hochwassergebieten vorangetrieben. Die Struktur- und Genehmigungsdirektion Nord habe kurzfristig eine Ausnahmegenehmigung für die Deponie Eiterköpfe im Kreis Mayen-Koblenz zur Ablagerung von Haus- und Sperrmüll gegeben, sagte Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Die Abfallentsorgungsbetriebe hätten in Abstimmung mit der SGD Nord auch noch andere Ablageflächen festgelegt. Die Deponie Eiterköpfe könne auch ölbelasteten Boden annehmen. Für Elektroschrott gebe es noch keine Lösung. Die SGD werde auch klären, wie mit den vielen Autowracks umzugehen sei.

Darüber hinaus sind noch immer besonders unzugängliche Orte entlang der Ahr von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten, auch der Strom fließt nicht. Daran werde gearbeitet, verspricht Wolschendorf, die immensen Schäden könnten nur nicht überall gleichzeitig behoben werden. Gleichwohl, erklärt der Einsatzleiter der Polizei, habe nicht nur die Versorgung Priorität, wenn es neben Wasser und Strom auch darum gehe, beispielsweise auch das Mobilnetz wieder zu flicken – und auch die behördlichen Strukturen sollten zügig wieder hochgefahren werden.

Während also an der Wiederherstellung der Infrastruktur geschraubt wird, während 1600 Feuerwehrleute, gut 1000 Polizistinnen und Polizisten, 2000 Kräfte des Technischen Hilfswerks und 800 Frauen und Männer der Rettungs- und Sanitätsdienste im Einsatz sind, hat auch die Psychosoziale Notfallversorgung des Landes Rheinland-Pfalz 130 psychologische und seelsorgerische Kräfte aus dem gesamten Bundesgebiet mobilisiert. Ihre Einsatzzentrale ist am Nürburgring, wie Leiter Peter Schüßler erklärt, von dort aus würden die Kräfte ins gesamte Katastrophengebiet entsandt, zur Not auch mit dem Hubschrauber. Es sei wichtig, die Menschen in dieser Stresssituation, in der Trauer und Not direkt psychologisch zu begleiten und so den Übergang zu späteren psychologischen Betreuungen zu schaffen. Es sei oft „erstaunlich, wie gut viele Menschen solche Extremsituationen verarbeiten können“, sagt Schüßler. Aber es gebe auch viele, die durch die Katastrophe traumatisiert sein.

Offen bleibt vorerst die Frage, wie es am vergangenen Mittwoch, als sich die Flutkatastrophe anbahnte, zu der zweistündigen Lücke in der Warnmeldekette kommen konnte. Laut Deutscher Presseagentur setzte der Kreis Ahrweiler um 19.35 Uhr via Katwarn eine Warnung vor Hochwasser ab, das Landesamt für Umwelt hatte um 17.17 Uhr ihre Warnstufe auf Lila gesetzt – und das auch kommuniziert. Nach Informationen unserer Zeitung sorgte diese Warnung beim Kreis Ahrweiler und einigen Bürgermeistern für Irritationen. Es hat demnach Zweifel gegeben, ob die Warnstufe lila wirklich zutrifft. Offenbar konnte man sich ein solches Ausmaß nicht vorstellen, das vermutlich die Evakuierung großer Teile des Ahrtals erfordert hätte.

Innenminister Lewentz hat indes bisher keine Hinweise, dass die Warnketten vergangene Woche nicht funktioniert haben. „Es kam alles zusammen, was an ungünstigen Umständen überhaupt zustande kommen konnte in diesem kleinen Ahrtal. Die Situation ist eine solche Ausnahme, die die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat.“ Lewentz war am Mittwoch vergangener Woche während des Starkregens selbst nach Ahrweiler gefahren, wo später die meisten Toten zu beklagen waren. Er sagte, er habe sich selbst ein Bild von der Lage in der Eifel machen wollen. Lewentz sprach damals auch mit dem für den Katastrophenschutz im Kreis verantwortlichen Landrat Jürgen Pföhler. Der hat Fragen zur Warnung der Bürger vor den Fluten bislang unter Verweis auf den Vorrang seiner Arbeit im Krisenstab nicht beantwortet.

Für solche Situationen ist laut Lewentz ein völlig neues Warnsystem nötig. „Katwarn scheint funktioniert zu haben, solange es Warnungen aussprechen konnte.“ Die Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, Nina, aber „war wohl nicht einsatzfähig“, warum wisse er nicht. Es habe auch Warnungen über die Medien gegeben. In einigen Orten seien Sirenen zu hören gewesen, der Geräuschpegel des Wassers sei nach Aussage von Feuerwehrleuten aber so hoch gewesen, dass diese wohl nicht überall wahrgenommen wurden. zca/ame/ck/dpa