Katastrophe mit Ansage? Deutscher Wetterdienst lieferte vorab fast alle Daten zum Unwetter
Aber konnten die Behörden das ganze Ausmaß des Dramas wirklich erahnen? Tatsächlich hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) schon Tage zuvor vor Extremwetterlagen mit Überflutungen gewarnt und die betroffene Region auch mit verblüffender Genauigkeit eingegrenzt. „In den kommenden 48 bis 60 Stunden ziehen mit Unterbrechungen wiederholt Starkregengebiete mit eingelagerten Gewittern auf“, heißt es etwa in einer Pressemitteilung von Montag, 12. Juli, auf die der DWD auf Anfrage unserer Zeitung verweist. Auch die Größenordnung der Niederschläge wird ziemlich exakt vorhergesagt. „Bis Donnerstagfrüh können aufsummiert – örtlich begrenzt – Regenmengen von bis zu 200 Liter pro Quadratmeter auftreten“, heißt es da beim DWD.
Das sei eine sehr gute Prognose, betont Uwe Kirsche, der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Wetterdienst. „Großflächiger Dauerregen ist aber auch besser prognostizierbar als punktueller Starkregen.“ Der könne lokal präzise oft nur wenige Stunden vorhergesagt werden. „Wichtig für den Katastrophenschutz ist aber nicht, dass auf den Liter genau prognostiziert wird, sondern dass die Größenordnungen möglichst früh abschätzbar sind, um entsprechende Maßnahmen einleiten zu können.“
Höhere Flutgefahr in engen Tallagen als in weiten Ebenen
Bleibt die Frage: Lösen Niederschläge von 200 Litern pro Quadratmeter automatisch derartige Flutwellen aus, wie sie die Menschen im Kreis Ahrweiler erleben mussten? Nicht unbedingt, räumt Kirsche ein. Das hänge von lokalen Gegebenheiten ab. Weite Ebenen etwa könnten solche Regenmassen relativ gut verkraften. Bei engen Tallagen oder versiegelten Flächen sehe das hingegen anders aus. Da können die Pegel schnell anschwellen. „Diese Informationen hat der DWD aber nicht, das haben die zuständigen Behörden“, betont der DWD-Sprecher. Die müssten auch letztlich entscheiden, wann und wie reagiert werden müsse.
Aber wenn schon Fachleute die Lage nur schwer beurteilen können: Wie sollen dann normale Bürger die Gefahren heftiger Niederschläge realistisch einschätzen können? Droht nun ein Hochwasser oder eine Jahrhundertflut? Wie schwierig das ist, zeigt ein DWD-Video vom 12. Juli. Diplom-Meteorologe Tobias Reinartz kündigt darin zwar schwere Gewitter und heftigen Starkregen an – meist aber noch mit einem Lächeln im Gesicht. Von einer drohenden Katastrophe ist da nirgendwo die Rede.
Im Mainzer Klimaschutzministerium heißt es, dass so kleinräumige Vorhersagen für Starkregen schwierig sind. „Für Pegel mit kleinem Einzugsgebiet ist eine zentimetergenaue, zeitscharfe Vorhersage des Wasserstandes, wie wir sie an den großen Flüssen über den Hochwassermeldedienst verbreiten, nicht möglich“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung. Allerdings hatte die frühere Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) genau das schon 2016 gefordert: Damals hatte die Ministerin versprochen, in einer neuen Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst bessere und hoch aufgelöste Daten für Niederschläge zu liefern. Heute gibt man sich da weitaus zurückhaltender. Die Vorwarnzeit sei weiter sehr beschränkt und betrage maximal eine halbe Stunde bis eine Stunde vor dem akuten Ereignis.
Höchste Warnstufe ausgerufen: Dunkellila auf der Gefahrenkarte
Vergangene Woche sei vor den Unwettern allerdings die höchste Warnstufe ausgerufen gewesen – Dunkellila auf der Gefahrenkarte für akute Hochwasserfrühwarnung: „Diese Daten sind für jeden im Internet verfügbar.“ Die Informationen würden zudem an Kreise und die Städte weitergegeben, „um, entsprechend örtlicher Alarm- und Einsatzpläne, die Bevölkerung zu warnen“ – etwa mithilfe der Warn-Apps Katwarn und Nina.
In den vergangenen fünf Jahren ist zudem eine digitale Hinweiskarte für Starkregengefahren erstellt worden, die online abrufbar ist, heißt es im Ministerium weiter. Die Karte sei nach und nach für die gesamte Landesfläche erstellt worden. „Damit können sich Gemeinden sowie Bürger über die möglichen Wege des Wassers bei Starkregenlagen bis zu den Ortsgrenzen informieren“, sagt die Sprecherin.
„Wir haben keine Risikokartierung für kleine Gewässer“, räumt hingegen der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Armin Schuster, am Sonntagabend im „heute journal“ des ZDF ein, betonte aber gleichzeitig, dass „unsere Warninfrastruktur geklappt hat“. Sein Amt habe mehr als 150 Warnmeldungen im Vorfeld der Unwetter verschickt. Es sei aber bisher schwierig gewesen, „in einem Land, das die Erfahrungen mit diesen Gefahren nie gemacht hat, mit unseren Warnungen durchzukommen“, sagte Schuster: „Wenn wir die Menschen warnen wollen, gelten wir oft als Panikmacher.“
Sein Amt habe zudem im Mai einen Achtpunkteplan mit einer kompletten Reform des Bevölkerungsschutzes in Deutschland vorgestellt. „Da spielt das Thema Selbstschutz der Bürger, aber auch das Thema, wie wir besser kommunizieren, eine zentrale Rolle“, sagte Schuster, der zugleich an die Bürger appellierte: „Wie oft haben Sie unsere Hinweise in den Warnmeldungen genutzt?“
Dirk Eberz/Gisela Kirschstein