Ahrtal

Kampf dem Schlamm: Warum er so gefährlich ist, was jetzt getan werden muss

Von Gisela Kirschstein,
„Achtung – Nicht am Flussufer essen. Krankheitserreger sind im Staub und Schlamm! Masken tragen!“: So werden in Insul die Anwohner gewarnt.
„Achtung – Nicht am Flussufer essen. Krankheitserreger sind im Staub und Schlamm! Masken tragen!“: So werden in Insul die Anwohner gewarnt. Foto: dpa

Schlamm ist entlang der Ahr auch zweieinhalb Wochen nach der Flutkatastrophe in vielen Kellern noch ein Problem. Es ist mühsam, dem müffelnden Matsch mit Schippen und Eimern Herr zu werden. Und draußen auf den Straßen, dort, wo er getrocknet ist, wirbelt Stau in dichten Wolken. Sarah Dammann hat seit der zerstörerischen Flutwelle beides zu Genüge kennengelernt, erst den Schlamm, dann den Staub. Zwei Häuser von Verwandten in Sinzig haben die Wassermassen getroffen, bis in den ersten Stock drangen sie. Draußen an der Fassade hat das Wasser seine Marke in 3,50 Meter Höhe hinterlassen. Obwohl: Wasser. Wenn es doch bloß Wasser gewesen wäre.

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Doch was im Ahrtal wie ein Tsunami wütete und bei Sinzig in den Rhein stürzte, war eine kontaminierte Brühe, beschreibt die junge Frau, die regelmäßig von Koblenz aus mit dem Zug nach Sinzig fährt, um zu helfen. Es war eine Brühe, die dickflüssigen Schlamm zurückließ, der nun – einmal getrocknet – in Staubwolken über den Überschwemmungsgebieten liegt.

Heizöl und andere Schadstoffe

Tatsächlich hat die Sturzflut Hunderte Heizöltanks in Kellern zerstört, sogar Tankstellen weggerissen. Von Betrieben genutzte Gefahrenstoffe, Pflanzenschutzmittel und Chemikalien wurden weggespült. Sämtliche Kläranlagen im Ahrtal sind beschädigt. Die Struktur- und Genehmigungsbehörde (SGD) Nord als obere Wasser- und Naturschutzbehörde bestätigt: „Mit der Hochwasserwelle sind Schadstoffe in die Ahr gelangt.“ Über das genaue Ausmaß lägen noch keine Informationen vor.

Zudem starben viele Tiere im Wasser, lagen dort teils über Tage. Die Kadaver werden laut einer Sprecherin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) aktuell in „Containern der Tierkadaverbeseitigungsanstalt vermehrt gesammelt und abtransportiert“.

Behörden raten Betroffenen und Helfern, bei ihrer so wichtigen Arbeit auch daran zu denken, sich selbst zu schützen. So erklärt der SGD-Sprecher Volker Schmidt gegenüber unserer Zeitung, dass bei der Arbeit idealerweise Gummistiefel, Handschuhe und wasserdichte Kleidung getragen werden sollten, es sei auch sinnvoll, Desinfektionsmittel zu nutzen. Die ADD rät zudem noch, dass auch eine Schutzmaske empfehlenswert sei. Auch vor Seuchengefahr wird seit Tagen gewarnt und dafür sensibilisiert, soweit es im Katastrophengebiet eben möglich ist, auf Hygiene zu achten. Der Kreis Ahrweiler informiert inzwischen sogar über Flugblätter über Hygienemaßnahmen. Es gibt Meldungen über vereinzelte Magen-Darm-Erkrankungen.

Inwieweit der Schlamm und Staub tatsächlich die Gesundheit beeinträchtigen können, weiß keiner – dazu fehlen schlichtweg noch klare Erkenntnisse. Auch darüber, ob Böden durch Flut und Schlamm kontaminiert sind und was all das für Flora und Fauna bedeutet. Wie und ob der zuständige Kreis Ahrweiler entsprechende Untersuchungen in die Weg geleitet hat, bleibt an dieser Stelle offen. Auf mehrfache Versuche hin wurden unsere Fragen seit Mittwoch nicht beantwortet.

In Ahrbrück hat die Flutwelle Schlamm und Schutt in die Kirche gespült. Die Bänke liegen kreuz und quer im Gotteshaus.
In Ahrbrück hat die Flutwelle Schlamm und Schutt in die Kirche gespült. Die Bänke liegen kreuz und quer im Gotteshaus.
Foto: dpa

Die Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt (Lufa) Speyer teilt auf Anfrage mit, dass sie in Zusammenarbeit mit dem Land „Untersuchungen zu möglichen Belastungen von Futtermitteln und Böden in den betroffenen Gebieten durchführen“. Ergebnisse liegen noch nicht vor.

Fluthelferin Sarah Dammann urteilt aus eigenem Erfahren: „Der Schlamm ist regelrechter Sondermüll.“ Heizöl, Benzin, da sei alles drin. An manchen Tagen hätte sie, nachdem sie bei den Verwandten Schlamm schippte, mehrmals duschen müssen, um den Geruch von Lösungsmitteln von der Haut zu waschen. Und jetzt der viele Staub – er reizt nicht nur die Atemwege, er ist ihr auch nicht geheuer. Die FFP2-Maske bleibt jetzt auch bei körperlicher Arbeit über Mund und Nase. „Dann geht's.“

Neben Schlamm und Staub ist es aber auch die Ahr selbst, die Sorgen bereitet. Von Schadstoffen einmal abgesehen: Der Fluss hat sich zur Kloake gewandelt. Weil die Kläranlagen nicht funktionieren, fließen aus Zehntausenden Haushalten seit dem 14. Juli Gebrauchs- und in erster Linie häusliche Abwässer ungeklärt in die Ahr. Was das für das Gewässer, das Ökosystem und die Menschen im Ahrtal bedeutet, ist laut der SGD Nord als obere Wasser- und Naturschutzbehörde noch nicht absehbar. „Das gilt es herauszufinden“, erklärt SGD-Sprecher Schmidt. Entsprechende Beurteilungen könnten aber erst aufgenommen werden, sobald die Gefahrenabwehr abgeschlossen sei. „Zurzeit gilt es etwa noch, Seuchen und Ufereinbrüche zu verhindern oder dafür zu sorgen, dass Wasser wieder abfließen kann.“

Parallel dazu sind laut Schmidt Fachleute der SGD Nord damit beschäftigt, mit den Abwasserwerken zu klären, wie die Kläranlagen wieder hochgefahren werden können – und sei es nur provisorisch. „Es wird alles getan, um Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen – soweit das möglich ist.“ Die Abwasserwerke im Ahrtal seien zwar noch immer damit beschäftigt, all die Schäden zu erfassen. Zugleich würde aber „mit Hochdruck“ daran gearbeitet, „die Becken der Kläranlagen zu reinigen und die verstopften Kanäle zu spülen“. Bei diesen Maßnahmen geht es insbesondere auch um den Seuchenschutz: Es ist wichtig, dass die sogenannte Vorflut in die Ahr gewährleistet wird, sprich, dass Abwasser und Fäkalien abfließen können. Eben momentan ungeklärt in den Fluss.

SGD-Sprecher Schmidt erläutert: „Die Ahr wird auf diese Weise dazu benutzt, um das Abwasser abzuleiten und so eine Seuchengefahr in den betroffenen Gebieten durch Fäkalien oder Ähnliches zu verhindern.“ Dies hätte natürlich die negativen Folgen, dass der Fluss verunreinigt wird. Wie lange das so gehen wird, ist offen.

Was die Reparatur der Abwassersysteme angeht, müssen laut SGD erst noch „Lösungen zum provisorischen Ersatz über lange Strecken kaputter oder nicht mehr vorhandener Transportleitungen gefunden werden“. Es werde herausfordernd sein, für die defekten elektrotechnischen Anlagen und für die Maschinentechnik der Kläranlagen schnellen Ersatz zu beschaffen.

Ob nun nach der Flutkatastrophe auch die Umwelt im Ahrtal nachhaltig zu leiden hat – darüber lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich spekulieren. Sarah Dammann gibt sich skeptisch: „Flusskrebse, die man im vergangenen Jahr in der Ahr gefunden hat, werden wir wohl sehr lange nicht mehr sehen.“ Sie fühlen sich nur in sauberen, naturnahen Gewässern wohl.

Noch gibt es keine akute Gefahr

Einen kleinen Lichtblick gibt es immerhin: Laut SGD geht von den Verwüstungen, vom potenziell kontaminierten Flusswasser und dem Schlamm keine akute Gefahr aus. Aber: Mittel- und langfristig seien Belastungen nicht auszuschließen – Stichwort Müll. „Vor Ort wird ein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, dass eine Zwischenlagerung von Abfällen, die nicht zur kurzfristigen Abholung bereitgestellt werden, auf befestigten Flächen erfolgt“, erklärt die SGD Nord.

Hinsichtlich des Mülls meldet auch der BUND Rheinland-Pfalz Bedenken an. Sprecherin Sabine Yacoub fordert, die Trümmer aus dem Ahrtal nicht ungeprüft auf Deponien zu entsorgen: „Wir müssen davon ausgehen, dass Öl, Benzin, Pestizide und was sonst noch ins Wasser gelangt ist, auch im Schlamm und Müll ist, der jetzt entsorgt werden muss”, sagt Yacoub gegenüber unserer Zeitung. Dieser Müll müsse vor seiner Lagerung auf Deponien unbedingt untersucht werden, um sicherzustellen, dass er im Fall einer Belastung auf „entsprechend sichere Deponien kommt, damit keine Giftstoffe in den Untergrund und ins Grundwasser sickern” könnten, fordert Yacoub. Laut SGD werden belastete Schlämme und sonstige problematische Abfälle so schnell wie möglich abtransportiert und außerhalb des Katastrophengebietes auf zugelassenen Anlagen zwischengelagert.

Gisela Kirschstein/ Anke Mersmann

Was die Verschmutzung der Ahr für den Rhein bedeutet

Nach der Flutkatastrophe an der Ahr wächst auch am Rhein die Sorge um den Zustand von Natur und Gewässer. Tatsächlich wurden am frühen Morgen des 15. Juli, also unmittelbar nach dem Tsunami an der Ahr, an der Messstelle in Bad Honnef eine erhöhte Konzentration von Heizöl und Diesel in Höhe von etwa 50 Mikrogramm pro Liter Rheinwasser gemessen. Das teilte die Geschäftsstelle der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) auf Anfrage unserer Zeitung mit. Geschäftsführer Marc Daniel Heintz kann zugleich aber beruhigen: Nach derzeitigem Kenntnisstand bestehe aber „für den Rhein kein Anlass zur Sorge“.

Grund ist, dass der Rhein selbst derzeit Hochwasser führt, die großen Wassermengen führten zu einer schnellen Verdünnung der Verunreinigungen aus der Ahr. Schon am Nachmittag des Donnerstags sei der gemessene Wert von Heizöl und Diesel wieder auf drei Mikrogramm pro Liter gesunken, berichtete Heintz – und die Welle rollte sehr schnell den Rhein hinab: Bei Bimmen/Lobith an der deutsch-niederländischen Grenze sei am 16. Juli abends ein Maximum von 27 Mikrogramm pro Liter gemessen worden, auch hier sei die Konzentration danach wieder gesunken.

Die Ahr könnte zudem nicht die einzige Quelle der in den Niederlanden gemessenen Konzentration gewesen sein: Zwischen Bad Honnef und Bimmen/Lobith mündeten immerhin auch noch weitere Nebenflüsse in den Rhein wie die Erft – auch von hier schwemmte die Flutkatastrophe Heizöleinträge in den Strom.

Mehr Sorgen bereiten den Wasserschützern deshalb auch die Zerstörung der Kläranlagen im Ahrtal, weshalb derzeit Abwässer in die Ahr laufen und damit auch im Rhein landen. Diese Abwässer sorgten für eine Belastung der Gewässer – für den Rhein könne man aber auch dabei „von einem hohen Verdünnungseffekt ausgehen“, sagte Geschäftsführer Heintz weiter. Die Wasserqualität entlang des Rheins werde kontinuierlich überwacht, bisher hätten keine auffälligen Werte gemessen werden können, betonte der Geschäftsführer zudem. Die gemessenen Werte bedeuteten denn auch keine Gefahr für die Trinkwassergewinnung, die in Deutschland hauptsächlich aus Uferfiltrat und in den Niederlanden zum Teil auch direkt aus dem Rheinwasser erfolge.

Hinweise auf Fischsterben oder nachteilige Folgen für die Fische im Rhein habe man derzeit ebenfalls nicht, offen sei aber, wie sich die Situation auf die Wiederansiedlung von Lachsen an der Ahr auswirke: „Die Ahr ist eines der erfolgreichsten Lachswiederansiedelungsgewässer im Rheineinzugsgebiet“, sagte Heintz. Die Lachse hätten sich hier in den vergangenen Jahren regelmäßig gut vermehrt. Entscheidend werde nun sein, wie sich die Qualität des Wassers und der Sedimente im Bachbett weiterentwickelten, genaue Informationen dazu würden aber voraussichtlich erst in einigen Jahren vorliegen. gik

Flutkatastrophe im Ahrtal
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