Rheinland-Pfalz

Innenminister Ebling besucht das Ahrtal: Auf der größten Baustelle Deutschlands

Von Ira Schaible
Innenminister Ebling (rechts) und Landrätin Weigand laufen in Bad Neuenahr-Ahrweiler an einem Müllcontainer mit Schutt vorbei.  Foto:  Hannes P. Albert/dpa
Innenminister Ebling (rechts) und Landrätin Weigand laufen in Bad Neuenahr-Ahrweiler an einem Müllcontainer mit Schutt vorbei. Foto: Hannes P. Albert/dpa

Fünf Tage nach seiner Vereidigung hat der neue Mainzer Innenminister Michael Ebling (SPD) den flutgeschädigten Kreis Ahrweiler besucht und seine Unterstützung zugesagt. Damit setzte er gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein Zeichen.

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Die parteilose Landrätin Cornelia Weigand bat Ebling, sich bei den Anträgen für den Aufbau der kommunalen Infrastruktur für eine Fristverlängerung einzusetzen. Bislang müssen alle diese Anträge für Geld aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern bis zum 30. Juni 2023 gestellt werden. Ebling unterstützte Weigands Anliegen: „Wir wollen das über den Bund erreichen.“

Die Landrätin sprach von enormem Zeitdruck im flutgeschädigten Ahrtal als der „größten Baustelle Deutschlands“. Bei fast 2800 Anträgen mit einem Gesamtvolumen von 4,15 Milliarden Euro sowie angesichts von Fachkräfte- und Baumaterialmangel, hohen Rohstoffkosten und rechtlichen Hürden sei die Frist 30. Juni 2023 „schlicht nicht einzuhalten“. Geld für den Aufbau von zerstörten Straßen, Brücken, Schulen, Kindergärten, Rathäusern, Sportplätzen und Kläranlagen muss jeweils einzeln aufwendig beantragt werden.

Ich verspüre tiefen Respekt vor dem bereits Erreichten und will ein verlässlicher Partner auf dem noch sehr lange dauernden Weg des Wiederaufbaus sein.

Innenminister Michael Ebling (SPD)

Weigand und Bürgermeister von Ahrkommunen drangen überdies auf weiteres Geld vom Land, da noch immer Kosten anfallen, die nicht vom Aufbauhilfefonds gedeckt seien. Zudem erhoffen sich die Kommunalpolitiker laut Kreisverwaltung „Impulse unter anderem für eine länderübergreifende Neuausrichtung des Katastrophen- und eine Vernetzung des Bevölkerungsschutzes“.

Bei der Ahrflut im Juli 2021 sind mindestens 134 Menschen getötet und Tausende Häuser verwüstet worden. Ebling betonte, die Anwohner hätten „kaum zu erahnendes seelisches Leid erfahren und treiben dennoch voller Hingabe und Tatkraft den Wiederaufbau ihrer eigenen Heimat voran. Ich verspüre tiefen Respekt vor dem bereits Erreichten und will ein verlässlicher Partner auf dem noch sehr lange dauernden Weg des Wiederaufbaus sein und ihn nach Kräften unterstützen.“ Innenminister Eblings Vorgänger Roger Lewentz (SPD) war vergangene Woche nach wachsender Kritik wegen seiner Rolle während des extremen Hochwassers zurückgetreten.

Ebling machte sich bei einem Rundgang mit Weigand, Bürgermeistern und Beigeordneten ein Bild von immer noch sichtbaren Zerstörungen etwa an Häusern, von provisorischen Lösungen wie zwei Behelfsbrücken über die Ahr und von sanierten Einrichtungen wie einer Schulsporthalle. Der 55-Jährige hatte schon unmittelbar nach seiner Ernennung deutlich gemacht, dass er weiß, dass er am Thema Ahrtal gleich in mehrfacher Hinsicht gemessen wird: beim Wiederaufbau, bei seiner Unterstützung des Untersuchungsausschusses zur Flut und bei der Neuausrichtung des Katastrophenschutzes. Er räumte ein, dass er als Rheinhesse das Ahrtal „nicht aus dem Effeff“ kenne.

Nach Auffassung des Politologen Uwe Jun kann Ebling „als „neues Gesicht“ beim Wiederaufbau eine wichtige Rolle spielen. „Es wird jetzt wesentlich an ihm liegen, dass schnelle Hilfe im Ahrtal umgesetzt wird, denn das wird ja allenthalben von den Menschen dort beklagt“, sagte Jun.

Die Kompetenzen klar verteilen

Die Landesregierung solle zudem „die Erkenntnisse aus dieser Nacht umsetzen und eine andere Struktur aufbauen“, sagte Jun über den Katastrophenschutz. „Man braucht eine andere Struktur. Die Kompetenzaufteilungen waren nicht klar geregelt“, stellte der Wissenschaftler von der Universität Trier fest. „Die Landesregierung insgesamt und der neue Innenminister müssen die dafür vorhandenen Pläne umsetzen und für den Katastrophenschutz klare Regelungen schaffen, wer wann welche Kompetenzen hat und wie man so etwas vorbeugen kann.“ Ebling müsse nun die von seinem Vorgänger Lewentz vorbereitete Neuaufstellung noch einmal prüfen und umsetzen.

Lewentz hatte Ende August angekündigt, den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz nach der Flutkatastrophe mit mindestens 135 Toten in den nächsten Jahren neu ausrichten zu wollen. Kernstück der Pläne ist eine neue Landesoberbehörde mit einem rund um die Uhr besetzten Lagezentrum.

Der rheinland-pfälzischen Landtagsopposition ist es nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Jun bisher nicht gelungen, Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) in der Flutnacht „politisches Fehlverhalten nachzuweisen“. „Nach derzeitigem Informationsstand erachte ich die Chancen als gering, dass man Frau Dreyer mit Erfolg so weit attackieren kann, dass ein Rückzug ihrerseits bevorsteht“, sagte er.

Mit Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) und Innenminister Roger Lewentz (SPD) seien im Zuge der Aufarbeitung der Katastrophe zwei hochrangige und von ihrem Fachressort verantwortliche Minister zurückgetreten. „Die Opposition versucht darauf abzuzielen, dass die Ministerpräsidentin selbst die Geschicke hätte in die Hand nehmen müssen.“ Dies erscheine jedoch nicht zwingend notwendig. „Die Ministerpräsidentin beauftragt zwei ihrer Minister, sich um die Katastrophe zu kümmern, und fragt noch einmal nach“, sagt Jun über die Katastrophennacht.

Und mit Blick auf den veröffentlichten SMS-Verkehr zwischen Dreyer und Lewentz: „Und da schreibt Lewentz ja zunächst nichts von erheblichen Bedrohungen.“ Die Frage sei jetzt: „Hätte Dreyer die ganze Nacht wach bleiben müssen?“ Jun weist auf die übliche Ressortverantwortung hin: „Es waren zwei hochrangige Minister, die sich eigenständig um diese Sache zu kümmern hatten, die damalige stellvertretende Ministerpräsidentin und der Innenminister, der eine hohe Reputation im Lande hatte.“

Der Wahlerfolg der SPD resultierte wesentlich aus der Popularität und Glaubwürdigkeit ihrer Ministerpräsidentin.

Politikwissenschaftler Uwe Jun

Zu den Angriffen der Oppositionsfraktionen CDU und AfD auf Dreyer sagte Jun: „Die Opposition hat die Funktion der Kritik und Kontrolle, und es ist nachvollziehbar, dass sie diese wahrnimmt.“ Es liege nahe, Dreyer zu attackieren: „Der Wahlerfolg der SPD resultierte wesentlich aus der Popularität und Glaubwürdigkeit ihrer Ministerpräsidentin.“

Der CDU-Fraktionschef im Mainzer Landtag, Christian Baldauf, entgegnete: „Unabhängig davon, ob Ministerpräsidentin Dreyer persönliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist: Ihr Ampelkabinett hat folgenschwer versagt. Sie steht als Regierungschefin in der politischen Verantwortung.“ Die Landesregierung habe in der Flutnacht kaum untereinander kommuniziert, zugleich aber „über deutliche Hinweise auf die sich anbahnende Katastrophe“ verfügt. Dreyer habe im Untersuchungsausschuss jedoch gesagt, es habe „keinerlei Hinweise auf eine außergewöhnliche Situation“ am 14. Juli gegeben. „Das ist schlichtweg falsch“, urteilt Baldauf.