Bad Neuenahr/Ahrweiler

Handwerk sucht den Krisenstab: HwK mahnt dringend mehr professionelle Koordination der Helfer

Von Ursula Samary
Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn.
Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn. Foto: Jörg Diester/Handwerkskammer Koblenz

Nach einem Gespräch mit den Obermeistern im Kreis Ahrweiler muss der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer (HwK) Koblenz, Ralf Hellrich, ganz unterschiedliche Emotionen und Informationen verarbeiten: Da ist zum einen die große Freude über Hilfsangebote aus ganz Deutschland – von Kammern, Firmen und Freiwilligen. Und auf der anderen Seite muss er leider auch feststellen: „Die Obermeister fühlen sich alleingelassen“ – von Behörden, die Hilfe nicht schnell genug koordinieren.

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Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn.
Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn.
Foto: Jörg Diester/Handwerkskammer Koblenz

Als Beispiel nennt Hellrich im Gespräch mit unserer Zeitung das Problem der Elektriker, die die Stromversorgung als eine wichtige Lebensader der Infrastruktur wiederherstellen wollen. Mit Hunderttausenden von Spenden ihrer Lieferanten hätten die Elektriker schon vielen Haushalten gratis helfen können, auch mit Baustromverteilern. Aber jetzt geht das Material aus. „Wir brauchen einen Krisenstab Elektro“, fordert der Hauptgeschäftsführer und erwartet dabei auch vom Land mehr als Geld. Er drängt darauf, dass Arbeiten gesteuert werden – zwischen Energieversorgern, die Leitungen verlegen, und dem Handwerk, das dann für die Hausanschlüsse sorgt. Da müsse eine klare Ansage kommen, „wie man Straßenstück für Straßenstück vorgeht“. Dann ließen sich auch anreisende Elektriker von Innungen aus anderen Kreisen viel gezielter einsetzen.

Plötzlich fließt doch noch Geld

Dafür sei aber auch ein Materiallager notwendig, auf das helfende Handwerker etwa aus Nordhessen oder anderswo zugreifen könnten. Wenn das Land dafür das dringend benötigte Geld bereitstelle, sei die Handwerkskammer bereit, die Organisation zu übernehmen und die Lieferscheine zu kontrollieren, bietet Hellrich an. Er hat für eine geordnete Materialversorgung 250.000 Euro gefordert, „aber noch keine Antwort erhalten“, sagt er unserer Zeitung. Dann wird er fünf Minuten nach dem Gespräch doch plötzlich positiv überrascht. „Die Bürgerstiftung der Volksbank RheinAhrEifel übernimmt die Kosten, damit die Bürger möglichst schnell wieder mit Strom versorgt werden können“, berichtet Hellrich erfreut. Dies sei durch den Kontakt zwischen dem Krisenstab der ADD und der Kreisverwaltung nun doch noch möglich geworden.

Trotzdem kann er nur weiter appellieren: Eine professionelle Logistik wird gebraucht. Denn unter den Handwerkern „steht das Signal auf Aufbruch“. Ein festes Lager sei auch deshalb notwendig, weil sich bereits Kriminelle nachts beispielsweise an Kupferkabeln bedienen wollten.

So schnell auch Freiwillige mit Eimern und Schaufeln zupacken, so schleppend arbeiten teils offenbar Behörden. Hellrich nennt ein Beispiel, das auch tagelang Frust produziert hat: Am vergangenen Freitag haben Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) für die von der Flut heimgesuchten Betriebe eine Soforthilfe von 5000 Euro angekündigt. Zum Gespräch mit den Obermeistern am Mittwoch kann Hellrich zwar stapelweise ausgedruckte Antragsformulare mitbringen, aber er kann noch nicht sagen, an wen sie adressiert werden müssen. Denn die für zuständig erklärte Kreisverwaltung Ahrweiler sieht sich offenbar überfordert, die Anträge zu bearbeiten. Am Donnerstagmittag kann Ministerin Schmitt aber mitteilen, dass der Kreis Mayen-Kobenz nun für den Kreis Ahrweiler die Amtshilfe „als besonderes Zeichen der Solidarität“ übernimmt – die Anträge gehen also dorthin.

Es sind die vielen kleinen und größeren Hürden, die die 585 teils massiv vom Hochwasser betroffenen Handwerksbetriebe belasten. Und da sich zunächst nicht alle Firmen direkt bei der Kammer melden konnten, haben zwei Kammerbeschäftigte sie zuletzt mit geländegängigem Motorrad und einem Fahrrad besucht. Im Durchschnitt schätzt die Kammer den Schaden auf 500.000 Euro je Betrieb. Die Schadensmeldung ist der Kammer wichtig, um der Landesregierung Daten für ein Wiederaufbauprogramm zu liefern. Zwar lässt sich laut Hellrich noch nicht sagen, welche Summen die bisher unkompliziert arbeitenden Versicherungen übernehmen. Vorsichtig kalkuliert er den bisherigen Schaden aber auf etwa 300 Millionen Euro.

Die Kammer hat bisher 47 Firmen genauer befragen können. Fazit: In sieben Fällen sind die Schäden durch Versicherungen gedeckt, in 13 Fällen nur teilweise und in 16 Betrieben gar nicht. Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) schätzt, dass etwa 800 Mitgliedsunternehmen von der Naturkatastrophe getroffen und teils massiv in ihrer Existenz bedroht sind. Der IHK-Regionalgeschäftsführer Martin Neudecker geht nach einer groben Schätzung von einem durchschnittlichen Schaden von 300.000 Euro pro Betrieb aus.

Verschont haben die Fluten die Ahr-Akademie der Handwerkskammer. Hier können Handwerker an Computern arbeiten, die in einem Großraumbüro für sie bereitstehen, berichtet Hellrich. Auch Ansprechpartner sind erreichbar, zum Beispiel für Lehrlinge, deren bisheriger Ausbildungsbetrieb nicht mehr existiert und die dringend einen neuen Meister suchen.

Im heutigen Krisengespräch mit Wirtschaftsministerin Schmitt will Hellrich nicht nur den Finanzbedarf deutlich machen. „Es kommt jetzt sehr darauf an, die überwältigende Hilfsbereitschaft der Handwerkerinnen und Handwerker aus ganz Deutschland sinnvoll zu koordinieren“, um wieder eine Grundversorgung aufbauen zu können. Dies müsse dem Krisenstab bewusst sein. Zudem warnt er davor, ehrenamtliches Engagement zu verbrennen, wenn Helfer nicht gezielt helfen können. Aber noch reißt der Beistand für Flutopfer nicht ab, wie beispielsweise die Optikermeisterin Nora Nechad aus Ahrweiler erzählen kann. Ihr elterlicher Betrieb Optik Schofer wurde Opfer der Flut, ebenso die Wohnung. Die Familie mit zwei kleinen Kindern ist bei ihren Eltern untergekommen. Von dort aus versucht die 32-Jährige, Kontakt zu Stammkunden zu halten. Kollegen unterstützen sie dabei, arbeiten Aufträge ab und wollen auch eine neue Ladeneinrichtung und Geräte spenden. Dafür sucht sie jetzt neue Räume, um ihre Existenz zu sichern.

Wie Hellrich berichtet, sind einige Handwerker körperlich und seelisch am Limit. Andere wiederum sehen sich über dem Berg – und sind voller Elan. Dazu gehört Schreinermeister Maik Rönnefarth in Dernau. 2,80 Meter hoch stand die Ahr in seinem Betrieb. „Jetzt sind die Wände wieder streichfähig“, berichtet er froh nach vielen Stunden des Aufräumens. Mit 13 Mitarbeitern hat er in der Flutnacht versucht, den Betrieb zu retten. „Der Wille war da, aber die Natur war stärker.“ Trotzdem: Jetzt blickt er nach vorn, will sich vorerst nicht wieder vorwiegend auf sein Metier von edlen Möbeln konzentrieren, sondern auch auf Fenster und Türen, die die Menschen jetzt brauchen. Beim Wiederaufbau hofft auch er auf staatliche Hilfe. „Ohne sie wird es nicht gehen.“

Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn.
Wie in vielen Betrieben hinterließ die Ahr mit ihrer Flut auch in der Schreinerei von Maik Rönnefarth in Dernau eine fürchterliche Spur der Verwüstung. Aber der Handwerker blickt mit seinem Team nach tagelangen, anstrengenden Aufräumarbeiten wieder nach vorn.
Foto: Jörg Diester/Handwerkskammer Koblenz

Wie die Malerinnung zupackt

Unterdessen konzentriert sich der Obermeister der Malerinnung Altenkirchen, Frank Weitz, in Mudersbach mit seinen Kollegen auf die noch dringend benötigte Soforthilfe. Die Initiative sei vom Kolegen Christoph Wagner in Birken-Honigsessen ausgegangen. Der habe nach einem Freund gesucht, den er nach der Flut zunächst nicht erreichen konnte. „Daraus ist unsere Hilfsaktion entstanden“, die großartig unterstützt werde. Beide stellen kostenlos Trocknungsgeräte, Lüfter, Notstromaggregate und Heizgeräte für eine Grundtrocknung auf und kontrollieren diese auch. Auch Firmen aus Siegen und dem Raum Olpe hätten sie bereitgestellt. Danach müssten Fachfirmen kommen. Zudem haben die Maler mehr als 300 OSB- und Spanplatten ins Hochwassergebiet gebracht, um Häuser abzusichern. „Alles von Firmen gesponsert“, berichtet Weitz begeistert. Wenn ihn dann eine Betroffene weinend umarme, sei dies Dank genug. Die Schicksale an der Ahr gehen dem Mann unter die Haut.

Mit Spenden unterstütze die Innung auch Menschen, die nicht versichert sind. Zum Hotel Hohenzollern in Ahrweiler, das an die 50 Flutopfer aufgenommen habe, bringe die Innung auch Lebensmittel. Der Grundstock der Geldspenden stamme aus dem Haushalt, in dem 5000 Euro eigentlich fürs 100-jährige Bestehen der Innung eingeplant waren. Aber die Feier musste 2020 wegen Corona ausfallen. Hinzu kommen Spenden von Firmen und Privatleuten, die nach einem Aufruf im Internet eingegangen sind. Mehr als 13.000 Euro seien so schon zusammengekommen. „Die Hilfe wird dringend gebraucht. Und wir werden sie auch noch länger leisten“, verspricht Frank Weitz. Ursula Samary