Rheinland-Pfalz

Experten kritisieren Rheinland-Pfalz: „Inklusion im Unterricht findet faktisch nicht statt“

Von dpa
Inklusion im Unterricht: In Rheinland-Pfalz wird dies in 299 Schwerpunktschulen angeboten. Diese seien oft schlecht ausgestattet, heißt es.
Inklusion im Unterricht: In Rheinland-Pfalz wird dies in 299 Schwerpunktschulen angeboten. Diese seien oft schlecht ausgestattet, heißt es. Foto: dpa

Die Vorgaben der Vereinten Nationen zum gemeinsamen Unterricht von jungen Menschen mit und ohne Behinderung werden nach Einschätzung von Wissenschaftlern in Rheinland-Pfalz nicht erfüllt.

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Zwölf Jahre nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention sagte Michael Wrase vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), „dass Inklusion in Rheinland-Pfalz faktisch nicht stattfindet“. Das Bildungsministerium in Mainz will sich die Studie des WZB „genau ansehen“. Eltern von Kindern mit einer Behinderung haben in Rheinland-Pfalz die Wahl zwischen einer von 299 Schwerpunktschulen, in der drei bis vier Schüler und Schülerinnen „mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ gemeinsam mit anderen unterrichtet werden, und 131 Förderschulen, wo ausschließlich Schülerinnen und Schüler mit „sonderpädagogischem Förderbedarf“ unterrichtet werden.

„Die Eltern sind sehr dankbar, dass ihre Alltagserfahrung fachwissenschaftlich untermauert wird“, sagte jetzt die Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam Leben – Gemeinsam Lernen (GLGL), Christine König, zu den Ergebnissen der Studie. Die Eltern stünden vor dem Dilemma, ihr Kind auf eine „schlecht ausgestattete Schwerpunktschule“ zu schicken oder auf eine Förderschule – dort gebe es kompetente Lehrer, „aber da ist das Kind separiert“. Sie verstehe alle Eltern, die sich deswegen für die Förderschule entschieden, wo es keine Inklusion gebe.

Schwerpunktschulen seien nur sinnvoll, wenn es eine besondere Ausrichtung gebe, etwa für die Unterrichtung von autistischen Kindern, sagte der Bildungsjurist Wrase. In Rheinland-Pfalz aber seien Schwerpunktschulen vor allem dort angesiedelt, wo es einen hohen Anteil von Hartz-IV-Beziehern gebe. „Schwerpunktschulen sind Soziale-Brennpunkt-Schulen – das ist ganz klar gegen das Ziel der UN-Behindertenrechtskonvention.“ An Standorten mit großen sozialen Problemen erhielten auch vermehrt Kinder mit sich daraus ergebenden Auffälligkeiten „das Label Behinderung oder sonderpädagogischer Förderbedarf“.

Die sogenannte Exklusionsquote, das ist der Anteil der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen, die eine Förderschule ohne Inklusion besuchen, ist in Rheinland-Pfalz im Unterschied zu fast allen anderen Bundesländern von 2009 bis 2018 sogar gestiegen. „Mehr als 70 Prozent verlassen die Förderschule ohne einen berufsqualifizierenden Abschluss“, sagte Wrase.

Die Kritik wird von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW) geteilt, die von einem „beschämenden und alarmierenden Fazit für die rheinland-pfälzische Bildungspolitik“ sprach. Der Fachkräftemangel an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen verschärfe die Situation noch zusätzlich.

„Selbst wenn die Landesregierung zeitnah eine weitere, dringend benötigte Fakultät für Sonderpädagogik in Koblenz installieren sollte, werden mindestens weitere sechs Jahre vergehen, bis die ersten Lehrkräfte in den Schulen ankommen“, erklärte der Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer. Die GEW kritisiert, dass das „politische Festhalten an der Doppelstruktur von Schwerpunkt- und Förderschulen ziemlich in Zement gegossen“ sei.

„Schülerinnen und Schüler mit und ohne Handicap sollen mit- und voneinander lernen“, sagte Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) zu den Ergebnissen der WZB-Studie. Im Frühjahr 2020 habe das Ministerium eine Lenkungsgruppe eingesetzt, „die sich genau darum kümmert und die sich selbstverständlich auch die Ergebnisse der WZB-Studie genau ansehen wird“.

„Für uns steht die Beratung der Eltern und Kinder im Vordergrund“, sagte Hubig. Daher wurden bislang 32 Förderschulen zu Förder- und Beratungszentren entwickelt, die eng mit allgemeinen Schulen zusammenarbeiten. Dies könne ein Mittel für einen Übergang in ein inklusives Schulsystem sein, sagte Wrase. Erforderlich dafür sei aber eine grundsätzliche Entscheidung, das System aus Schwerpunkt- und Förderschulen im Sinne der UN-Konvention zu transformieren.