Essen/Mülheim-Kärlich

Entschädigung für Energiekonzerne: Ausgleich für Strommengen des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich

Von dpa/dcc
AKW Mülheim-Kärlich
Der Kühlturms des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich stürzt kontrolliert zusammen. Foto: Thomas Frey/dpa/Archivbild

Kurz vor dem zehnten Jahrestag des Unglücks von Fukushima kommt die überraschende Einigung: Die Bundesregierung will die Energiekonzerne in Deutschland mit Milliarden für den Atomausstieg entschädigen. Das Geld wird auch für Strommengen des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich gezahlt, die RWE nicht mehr nutzen kann.

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Es heißt, es sei Zufall gewesen, dass die Einigung ausgerechnet jetzt zustande gekommen ist. Nur wenige Tage vor dem zehnten Jahrestag der Nuklearkatastrophe von Fukushima hat sich die Bundesregierung überraschend mit den Betreibern der Atomkraftwerke in Deutschland verständigt: Knapp 2,43 Milliarden Euro sollen die Konzerne RWE, Vattenfall, Eon/PreussenElektra und EnBW als Entschädigung für den bis 2022 geplanten, vorzeitigen Atomausstieg vom Bund erhalten, wie das Umwelt-, das Wirtschafts- und das Finanzministerium am Freitag in einer gemeinsamen Erklärung mitteilten.

Die Energiekonzerne RWE und Eon haben die Einigung über die Entschädigungszahlungen für den Atomausstieg begrüßt. Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Kraftwerksbetreibern sei ein wichtiger Schritt, um Rechtssicherheit für alle Beteiligten herzustellen, teilte RWE am Freitag in Essen mit. Sie sei zudem ein gutes Signal, um das Vertrauen in den Standort Deutschland zu stärken und damit die erheblichen Investitionen, die jetzt in den Umbau des Energiesystems fließen müssen, zu befördern. Eon teilte mit, es sei erfreulich „dass das Kapitel des Kernenergieausstiegs jetzt auch auf diesem Feld abgeschlossen werden kann“.

Insgesamt sollen die Konzerne Vattenfall, RWE, Eon/PreussenElektra und EnBW 2,43 Milliarden Euro Ausgleich für entgangene Gewinne und umsonst getätigte Investitionen erhalten. RWE bekommt nach Angaben der Bundesregierung 880 Millionen. Das Geld wird zum Ausgleich für Strommengen des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich gezahlt, die RWE nicht mehr nutzen kann. Eon fließt nach eigenen Angaben ein mittlerer dreistelliger Millionenbetrag zu, weil mit der Gesamteinigung auch ein langjähriger Streit zwischen Eon und Vattenfall um die Aufteilung von Reststrommengen aus dem gemeinsam betriebenen Kernkraftwerk Krümmel beigelegt ist.

Die Verständigung stehe unter dem Vorbehalt einer Umsetzung in entsprechende Regelungen im Atomgesetz und eines öffentlich-rechtlichen Vertrags zwischen den Betreibern und der Bundesregierung, teilte RWE weiter mit. Zudem sei eine Beihilfeprüfung durch die EU-Kommission erforderlich.

Mit der Vereinbarung geht ein zehn Jahre andauernder Rechtsstreit zu Ende. Ausgelöst hatten ihn vor allem die im Jahr 2011 gekippten Laufzeitverlängerungen, die die damalige Bundesregierung erst wenige Monate vor der Fukushima-Katastrophe den Konzernen zugesagt hatte. Statt länger Atomstrom produzieren und verkaufen zu dürfen, mussten Vattenfall, RWE und Co ihre Meiler zu festen Terminen abschalten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Dezember 2016 und zuletzt im September 2020 den Gesetzgeber verpflichtet, eine Ausgleichsregelung für nicht mehr nutzbare Stromkontingente und vergeblich vorgenommene Investitionen zu erlassen. Jahrelang herrschte Streit darüber, wie und in welcher Höhe der Ausgleich zu erfolgen hat.

Zuletzt zog Vattenfall sogar vor das internationale Schiedsgericht der Weltbank (ICSID), um sechs Milliarden Euro Entschädigung zu erwirken. Erst im vergangenen Jahr hatten die Richter in Karlsruhe darüber hinaus entschieden, dass die Bundesregierung die Grundlage für Entschädigungszahlungen komplett neu regeln müsse – sie sei so nicht zumutbar.

Die Unternehmen hätten sich mit der jetzigen Einigung verpflichtet, sämtliche anhängigen Klageverfahren zurückzunehmen und auf künftige zu verzichten, unterstrichen die Ministerien am Freitag.

Auch die Konzerne zeigten sich zufrieden. „Das ist eine konservative Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die für uns letztlich akzeptabel ist“, sagte Vattenfall-Präsidentin Anna Borg. Zugleich betonten die Unternehmen, dass die Einigung noch unter Vorbehalten stehe. Auch untereinander müssen sie sich teils noch über die Strommengen einigen – etwa Eon und Vattenfall, die die Kernkraftwerke in Brunsbüttel und Krümmel gemeinsam betrieben hatten.

Bevor alle Eckpunkte in einem Vertrag verankert werden können, müssen die Konzerngremien noch zustimmen. Die endgültige Regelung soll der Bundestag dann mit einem neuen Gesetz besiegeln – all das aber auch unter dem Vorbehalt, dass die EU-Kommission am Ende zustimmt. Angestrebt wird der Vollzug noch in diesem Jahr. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat den Milliardenausgleich bereits für seinen Nachtragshaushalt eingeplant.

Umweltverbände und Opposition übten teils scharfe Kritik'an dem überraschenden Deal. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sprach von einem „Ende mit sehr bitterem Beigeschmack“. Die Entschädigung falle viel zu hoch aus. Das befanden auch Politiker der Linken, Grünen und selbst der FDP, die im Jahr 2011 den vorgezogenen Atomausstieg mitentschieden hatte. Der Linken-Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutlin nannte die Einigung eine „blamable Skandal-Atomausstiegsrechnung“.

Die Vorsitzende des Umweltausschusses, Sylvia Kotting-Uhl, wies bei aller Kritik darauf hin, dass die Steuerzahler „noch glimpflich davongekommen“ sein könnten. Die Klage von Vattenfall in Washington hätte womöglich eine noch viel höhere Summe nach sich gezogen.