Betzdorf/Istanbul

Eistee am Rande von Anti-Erdoğan-Demo: Betzdorfer in Mühlen der türkischen Justiz

Betzdorfer gerät in die Fänge der türkischen Justiz Foto: dpa

Er war einer von 5513: So viele Menschen wurden nach offiziellen Zahlen verhaftet, als im Sommer 2013 in der Türkei massenhaft Menschen gegen Erdoğan und die Regierungspartei AKP demonstrierten. Der Betzdorfer Deniz Schmick saß in einem Lokal, und er hatte „verdächtige“ Mullbinden dabei. Falsche Zeit, falscher Ort – und sein Lebenstraum ist schon vor dem Prozess am Dienstag geplatzt.

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Von Can Merey

Deniz Schmick verbringt ein Studienjahr in der Türkei, als Ende Mai vergangenen Jahres die landesweiten Proteste in Istanbul ausbrechen. Am Rande einer der Demonstrationen wird der Deutsche als angeblicher Gewalttäter festgenommen – aus einer Istanbuler Kneipe heraus, in der er friedlich einen Eistee trinkt. Aus seiner Sympathie für für die Proteste macht er keinen Hehl, aktiv dabei sei er nie gewesen.

Aus dem Kneipenabend mit Freunden ist für den heute 28-Jährigen ein juristischer Albtraum geworden, der seine Lebensplanung über den Haufen geworfen hat. Ein Istanbuler Gericht verhandelt am Dienstag gegen Schmick und rund 300 weitere Beschuldigte.

Schmick selbst schreibt derzeit in Betzdorf an seiner Diplomarbeit, mit der er sein Maschinenbaustudium in Siegen beenden will. Zu seinem Prozess reist er nicht an – er dürfte auch spätestens bei der Passkontrolle gestoppt werden, denn das Gericht hat Haftbefehl erlassen. Aus Schmicks Sicht ist das Verfahren, das im Februar begann, eine Farce. „Ich habe davon nur aus türkischen Medien erfahren. Mich hat niemand über die Gerichtsverhandlung informiert.“

Behörden verschwiegen Haftbefehl

Fast wäre der Student, der aus einer deutsch-türkischen Familie stammt, der Justiz daher nichts ahnend ins Netz gegangen. Schmick erzählt, dass er vor einigen Monaten Freunde in der Türkei besuchen wollte. Zuvor hatte seine türkische Mutter sich bei einer Reise nach Istanbul erkundigt, ob gegen ihren Sohn etwas vorliegt. „Die Polizisten haben ihr gesagt, es gebe kein Problem, ich könne einreisen.“ Sicherheitshalber hat seine Familie einen befreundeten Anwalt gebeten nachzuhören. „Dann hat sich herausgestellt, dass es zu dem Zeitpunkt schon einen Haftbefehl gegen mich gab.“

Schmick war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein Reporter hielt sich an dem folgenreichen Augustabend zufällig mit Schmick in demselben Lokal auf, vor dessen Tür sich Demonstranten und Polizisten Straßenschlachten lieferten. Nur einige wenige Demonstranten flüchteten in die Kneipe, bevor ein Kellner die Tür absperrte. Die Polizei nahm nach dem Ende der Zusammenstöße trotzdem die meisten Gäste fest. Schmick lässt sich ohne Diskussionen in einen Polizeibus bringen, weiß, dass alles andere brenzlig werden kann.

Nach vier Tagen wieder frei

Auf ihn wartet eine Neun-Mann-Zelle ohne Tageslicht, zum Schlafen eine Isomatte. Er wird vor die Wahl gestellt: das Land verlassen oder weiterhin Haft. Er steht kurz vor den Klausuren, will sein Studienjahr beenden und bleibt. Abschiebehaft. Drei Schlafräume und zwei Plumpsklos für 140 Männer.

Nach vier Tagen ist er frei – und darf auch dank des Einsatzes seiner türkische Rektorin sein Studienjahr fortsetzen. Über Twitter kommt Schmick mit dem Reporter aus der Kneipe wieder in Kontakt:

Auch aus dem Polizeibericht geht hervor, dass Schmick an dem Abend auf keiner der vielen Überwachungskameras aufgezeichnet wurde. Trotzdem wird ihm nun vorgeworfen, Polizisten mit Flaschen und Steinen beworfen und Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet zu haben. Als belastend wurde nach seiner Festnahme protokolliert, dass er Verbandsmaterial – drei Mullbinden und zwei chirurgische Handschuhe – bei sich hatte. Allerdings ist Schmick ausgebildeter Sanitäter, angagiert sicgh beim Roten Kreuz. Nach Angaben von Schmicks Anwältin Zehra Özdemir drohen ihm bei einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Haft.

Demonstranten flüchten unweit des Taksim-Platzes vor Wasserwerfern. Deniz Schmick war am Rande von Protesten mit Freunden in eine Kneipe gegangen, in die dann auch Demonstranten flüchteten. Ein Großteil der Kneipenbesucher wurde verhaftet – auch Deniz Schmick. Foto: Sedat Suna, dpa
Demonstranten flüchten unweit des Taksim-Platzes vor Wasserwerfern. Deniz Schmick war am Rande von Protesten mit Freunden in eine Kneipe gegangen, in die dann auch Demonstranten flüchteten. Ein Großteil der Kneipenbesucher wurde verhaftet – auch Deniz Schmick.
Foto: Sedat Suna, dpa

Der Angeklagte sagt: „Da kann man nur froh sein, dass es zwischen Deutschland und der Türkei kein Auslieferungsabkommen gibt.“ Anwältin Özdemir rechnet am Dienstag noch nicht mit einem Urteil. Schmick hofft, dass er am Ende des Prozesses, bei dem ihm zufolge noch zwei weitere Deutsche angeklagt sind, freigesprochen wird. Und der Student hofft, dass er nicht auf den Anwaltskosten sitzenbleibt. Eigentlich wollte er nach dem Studium in die Türkei ziehen und dort eine Arbeit suchen. „Aber den Plan, mir eine Zukunft in der Türkei aufzubauen, den habe ich mir eh abgeschminkt.“