Kreis Ahrweiler

Die Katastrophe nach der Katastrophe? Die Kritik an der Koordinierung der Hilfsmaßnahmen reißt nicht ab

Von Carsten Zillmann
Räumen und helfen, was das Zeug hält: Auf diesem Foto sind viele professionelle Hilfskräfte im Einsatz sehen. Kritiker sagen, in vielen Fällen sei angereisten Einsatztrupps keine Aufgabe zugewiesen worden.
Räumen und helfen, was das Zeug hält: Auf diesem Foto sind viele professionelle Hilfskräfte im Einsatz sehen. Kritiker sagen, in vielen Fällen sei angereisten Einsatztrupps keine Aufgabe zugewiesen worden. Foto: dpa

Der Präsident der Aufsicht- und Dienstleistungsdirektion (ADD), Thomas Linnertz, hat die Vorwürfe gegen den Krisenstab, der die Aufräumarbeiten im verwüsteten Ahrtal koordiniert, zurückgewiesen. Die Trierer Superbehörde trägt die Verantwortung für den Einsatz im Katastrophengebiet, nachdem der Landrat Jürgen Pföhler (CDU) diese an das Land abgegeben hat. In unserer Zeitung erhoben vor allem THW-Helfer schwere Vorwürfe gegen das Management der ADD. Von „Chaos“ und „Organisationsversagen“ war die Rede. Und: „Die ADD leitet nicht den Einsatz. Sie verwaltet den Einsatz.“

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Linnertz äußerte am Donnerstag im täglichen Pressebriefing grundlegendes Verständnis für die Kritik aus der Perspektive „einzelner Helfer oder Betroffener vor Ort“: „Diese Kritik nehmen wir auf und auch ernst.“ „Reibungsverluste“ sollen abgestellt werden. Der Stab sei allerdings nach den bundeseinheitlichen Richtlinien der Feuerwehrdienstvorschrift aufgestellt und „keine Erfindung der ADD“. Das Einsatzgebiet wurde demnach in vier Einzelabschnitte und weitere Unterabschnitte gegliedert. „Jeder Bürgermeister und jede Bürgermeisterin hat eine Unterabschnittsleitung vor Ort. Die Lage wird von den Unterabschnitten über die Einzelabschnitte an den Stab übermittelt. Zusätzlich finden regelmäßig Telefonkonferenzen mit den Abschnittsleitungen statt“, teilte die ADD auf die Frage mit, ob es nicht einen Einsatzleitwagen der ADD für jeden Bürgermeister und Ortsvorsteher geben müsse.

Linnertz warnte außerdem vor einem „Lagerdenken“: „Der Vorwurf ,Wir sind hier unten an der Front und machen die Drecksarbeit, und die anderen sitzen hier oben im Warmen‘ ist hier völlig fehl am Platz. Wir arbeiten alle gemeinsam daran, den Kräften die notwendige Unterstützung zu geben.“ Man arbeite mit THW, Bundeswehr und anderen Katastrophenschützern eng zusammen. Jörg Eger vom THW Koblenz pflichtete bei: „Es ist eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit.“

ADD-Mann Linnertz ist der Verwaltungskopf des Krisenstabes, bei Heinz Wolschendorf laufen die Fäden für den tatsächlichen Einsatz zusammen. Eine Einsatzleitung, die über Tage mehr damit beschäftigt schien, sich selbst zu organisieren, als tatsächlich zu helfen. Ein Krisenmanagement vom Reißbrett, ohne Ortskenntnis, ohne die wirklichen Bedürfnisse der Menschen zu kennen, kritisieren Bürgermeister und Ortsvorsteher im Tal, die viele Tage verzweifelt auf Unterstützung warteten.

Der gelernte Feuerwehrmann Wolschendorf aus Hamburg, der stets in Uniform des Landesfeuerwehrinspekteurs mit weißem Hemd und Dienstgradklappen zu den Pressekonferenzen erscheint, ist seit 2005 bei der ADD für Brandschutz, Rettungsdienst und Disastermanagement zuständig. Beim Schiffsunfall der „Waldhof“ an der Loreley und bei der Explosion mit Toten in Ludwigshafen hat er die Rettungskräfte koordiniert. Gefragt, ob er die erforderliche Kompetenz für den Einsatz an der Ahr hat, gibt es zwar ein klares Ja, aber dann die Einschränkung, dass ein 40 Kilometer langer und zwei Kilometer breiter Katastrophenstreifen mit mehr als 40.000 Betroffenen eine völlig neue Dimension sei. „Mit so etwas hatte es noch keiner zu tun. Das ist im negativen Sinn eine völlig neue Welt.“ Und wenn Kritik geäußert wird, wiegelt er ab. „Bei so einem Einsatz kommt Kritik von allen Seiten, das bleibt nicht aus. Da haben auch Einsatzkräfte nicht immer eine positive Meinung über die Einsatzleitung.“

Auf Beschwerden, die Hilfe käme zu spät, heißt es: „Perspektivlosigkeit braucht ein Ventil.“ Und auf die Beschwerde des Bürgermeisters von Bad Neuenahr-Ahrweiler, wo 25.000 der 30.000 Einwohner betroffen sind, dass es keinen direkten Ansprechpartner des Stabes im Rathaus gebe, heißt es: „Er hat doch unsere Telefonnummer, wir sind doch in Kontakt.“

Auch Innenminister Roger Lewentz hatte am vergangenen Freitag in der Pressekonferenz zur Lage im Ahrtal von Einzelfällen schlechter Einsatzkoordination gesprochen. „Ja, es gibt Situationen, in denen Einsatzkräfte sagen, dass sie nicht ihren Erwartungen nach koordiniert wurden“, bestätigte er. Dies seien aber Einzelbeispiele, zeigte sich er sich überzeugt.

Auf der anderen Seite sehe er, welche große Hilfe im Tal sehr wohl koordiniert sei, sagte Lewentz. Viele Kräfte aus dem gesamten Bundesgebiet und mit unterschiedlichen Führungsvorgaben, ergänzt durch Bundeswehr und THW – „damit haben wir eine Lage über lange Zeit in der Bewältigung, die geführt wird“. Lewentz hob auch die Arbeit des Krisenstabs hervor, diesen habe er mehrfach für seine Arbeitsleistung gelobt. Gleichwohl: „Kritik kommt bei uns an. Wir wären schlecht beraten, wenn wir all das nicht auswerten würden, um künftig noch etwas besser aufgestellt zu sein.“

Zumindest auf offenkundige Missstände wird reagiert. Etwa dass in Bad Neuenahr-Ahrweiler die Versorgung der Menschen von staatlicher Seite lange Zeit nicht funktionierte. 10.000 Essen würden geliefert, mehr als 6000 Essen gingen an die zwei Versorgungsstellen der staatlichen Helfer, nur eine gebe es für die Bürger in Bad Neuenahr, der Stadtteil Ahrweiler werde nur von Freiwilligen versorgt, hatte Bürgermeister Guido Orthen im Interview erklärt. Bei der Pressekonferenz am darauffolgenden Tag hieß es dann ungefragt, nach Bad Neuenahr-Ahrweiler kommen 20.000 Essen. Carsten Zillmann

Uli Adams, Anke Mersmann

Manfred Ruch zur Kritik am Krisenstab der ADD im Ahrtal: Da kann einem mulmig werden

Nach den mutmaßlich fatalen Versäumnissen in der Flutnacht, was die Warnung der Bevölkerung betrifft, schlittern wir offenbar gerade durch die nächste Krise. Was von den Verantwortlichen im Land als „Einzelfälle“ abgetan wird, nennen andere Hilfskräfte nach ihren Erfahrungen vor Ort bereits die „Katastrophe nach der Katastrophe“. Der Krisenstab der Aufsichtsbehörde ADD sieht sich dem schmerzlichen Vorwurf des Versagens ausgesetzt.

Verlässliche Ansprechpartner für die professionellen Hilfskräfte? Gesicherte Kommunikation? Sachgerechte Einteilung der Hilfs- und Rettungskräfte? „Fehlanzeige!“ So machte sich einer der Helfer per E-Mail an unsere Zeitung wütend Luft. Und er trifft damit ganz offenbar den Nerv vieler Menschen im Ahrtal, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Schlimm ist, dass diese Wut sich an Hilfskräften entlädt, die selbst ihr Bestes geben wollten, aber dabei offenbar von einer mangelhaften Einsatzleitung gehindert wurden. Es kann und darf nicht sein, dass in einer solch prekären Lage wichtige Kapazitäten an Menschen und Gerät sinnlos und ohne Auftrag herumstehen.

Was aber erst recht nicht geht, sind Landesvertreter, die diese Kritik nur abwehren und Fehler im Krisenmanagement zur Ausnahme stempeln, während überall im Tal die Verärgerung wächst. In solch einer kritischen Lage, in der sich das gesamte Ahrtal befindet, hilft nur ehrliche Analyse – und der unbedingte Wille, mögliche Fehlerquellen bei der Koordination der Hilfe schnellstens abzustellen.

Stattdessen erleben wir weiterhin Rechtfertigungsversuche am Stück. Auch gestern fiel die Gesamtbilanz des ADD-Krisenstabs erwartungsgemäß positiv aus – bei allem Verständnis für die Kritik aus der Perspektive „einzelner Helfer und Betroffener vor Ort“. Nach dem Motto: Wir machen das schon. Wenn sich dieser rosa gefärbte Blick auf die Wirklichkeit auch beim komplexen und teuren Wiederaufbau des Katastrophengebiets fortsetzt, kann einem wirklich mulmig werden für die Zukunft des Ahrtals.

E-Mail: manfred.ruch@rhein-zeitung.net

Flutkatastrophe im Ahrtal
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