Chronologie einer Katastrophe: Wie das Wasser in der Ahr stieg und stieg – und wie der Krisenstab reagierte

Von Manfred Ruch
Eindeutig Lila bis Rot: die Karte des DWD vom 14. Juli
Eindeutig Lila bis Rot: die Karte des DWD vom 14. Juli Foto: DWD Youtube

Was geschah am 14. Juli im Krisenstab des Kreises Ahrweiler? Er tritt am frühen Abend zusammen, Wetterinformationen sowie warnende E-Mails treffen in hoher Taktung ein – und dennoch gibt es eine verhängnisvolle zeitliche Lücke von 20.56 bis 23.09 Uhr, von der man nicht weiß, was geschah. Eine Chronologie auf der Basis unserer Recherchen:

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Dienstag, 13. Juli, 13.49 Uhr: Die Hochwasservorhersagezentrale gibt für das Ahrgebiet die Warnklasse zwei (Gelb) aus.

Mittwoch, 14. Juli, 11.17 Uhr: Die Hochwasservorhersagezentrale löst aufgrund steigender Pegel und einer Prognose von bis zu 200 Litern pro Quadratmeter die Warnklasse vier (Rot, zweithöchste Warnstufe) aus. Die Warnstufe drei (Orange) wird übersprungen.

15.26 Uhr: Die Kreisverwaltung Ahrweiler wird vom Landesamt für Umwelt ab diesem Zeitpunkt im Drei-Stunden-Rhythmus mit einer automatisierten E-Mail über die aktuelle Hochwasserlage und vorhergesagte Höchststände informiert.

17.17 Uhr: Die Ahr steigt weiter massiv an – auf 2,78 Meter. Tendenz: steigend. Das Hochwasservorhersagezentrale aktiviert die höchste Warnstufe fünf (Lila). Auf dieser Basis könnte der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, ebenfalls sofort den Katastrophenalarm auslösen.

17.40 Uhr: Der Brand- und Katastrophenschutzinspekteur Michael Zimmermann übernimmt die überörtliche Einsatzleitung. Die technische Einsatzleitung (Feuerwehr, THW, DRK, Polizei und Verwaltungskräfte der Kreisverwaltung) unterstützen ihn dabei. Es wird aber noch nicht die Warnstufe fünf, sondern die Alarmstufe vier ausgelöst. Die Prognose für den Pegel Altenahr: rund fünf Meter.

Gegen 18 Uhr: Nach einer neuen Prognose des Deutschen Wetterdienstes (DWD) scheint sich das Regengebiet nach Nordrhein-Westfalen zu verlagern. Die automatisierten Modellrechnungen des Hochwassermeldedienstes senken die Prognose auf vier Meter. Im Krisenstab Ahrweiler macht sich Erleichterung breit.

18.26 Uhr: Die zweite automatisierte E-Mail zur Hochwasserlage erreicht die Kreisverwaltung.

Gegen 19.30 Uhr: Innenminister Roger Lewentz (SPD) verlässt den Krisenstab in Ahrweiler, wo er sich ein Bild der Lage gemacht hat. Er hat den Krisenstab als „konzentriert und ruhig“ arbeitend erlebt, wie er unserer Zeitung später in einem Gespräch sagte.

19.35 Uhr: Das Tief hat sich wieder in Richtung Ahrtal verschoben. Die Prognose für die Ahr wird wieder nach oben korrigiert. Auch der Krisenstab Ahrweiler geht wieder von fünf Metern am Pegel Altenahr aus, wie eine von ihm verbreitete Meldung über Katwarn zeigt.

19.36 Uhr: Der Pegel Altenahr steigt auf 4,29 Meter, die Vorhersage wird auf fünf Meter erhöht. Dies steht um 19.45 Uhr auf der Seite des Hochwassermeldedienstes.

20.15 Uhr: Der Pegel steigt weiter – auf nunmehr 5,09 Meter. Das sind bereits 1,35 Meter mehr als beim katastrophalen Hochwasser im Juni 2016, das schwere Schäden verursacht hat. Das Wasser der Ahr steigt in dieser Zeit um 30 bis 40 Zentimeter pro Stunde.

20.36 Uhr: Der Pegel Altenahr steigt auf unfassbare 5,75 Meter. Der Hochwassermeldedienst verkündet dies um 20.45 Uhr auf seiner Internetseite und sagt sogar 6,90 Meter voraus. Es ist die letzte Meldung, danach wird der Pegel Altenahr von der Flut mitgerissen.

20.56 Uhr: Der Krisenstab des Kreises Ahrweiler verbreitet per Twitter einen Lagebericht, der für Altenahr noch den Wasserstand von 5,09 Metern meldet. Betroffen seien aktuell insbesondere die Verbandsgemeinden Adenau und Altenahr. Erste Personen müssen auf Campingplätzen aus den Fluten gerettet werden, schreibt der Krisenstab. Das alles ist zu dieser Zeit aber längst überholt, denn die Ahr steigt rasant weiter. Zum Zeitpunkt des Lageberichts dürfte der Fluss in Altenahr bereits auf sechs Meter angeschwollen sein.

21.06 Uhr: Der Hochwassermeldedienst des Landesamts für Umwelt verbreitet auf der Basis der Messung von 20.45 Uhr ein entsprechendes Diagramm, dass in gestrichelter Linie weiter steigende Pegel in Altenahr voraussagt – bis auf geschätzte fast sieben Meter. Wie hoch das Wasser wirklich wird, weiß niemand mehr.

21.26 Uhr: Die Kreisverwaltung Ahrweiler erhält noch einmal eine automatisierte E-Mail des Landesamts für Umwelt, in dem ebenfalls eine Vorhersage von 6,90 Metern am Pegel Altenahr getroffen wird.

23.09 Uhr: Der Krisenstab des Kreises löst die Alarmstufe fünf aus und ordnet für Bad Neuenahr-Ahrweiler, Bad Bodendorf und Sinzig an, die Häuser 50 Meter links und rechts der Ahr zu evakuieren. Es wird sich herausstellen, dass dies viel zu wenig ist.

23.15 Uhr: In einem Lagebericht erläutert Landrat Pföhler die katastrophale Situation an der Ahr. In den Verbandsgemeinden Adenau und Altenahr seien Häuser von den Wassermassen zerstört und größere Trümmerteile von der Ahr mitgerissen worden. Er schreibt: „Die Lage ist sehr ernst. Es besteht Lebensgefahr!“ Für viele Menschen dürfte diese Warnung viel zu spät kommen. Manfred Ruch