Deutschlands Gesundheitswesen hat laut einer Studie enormen Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung. Eine Untersuchung des Beratungsunternehmens McKinsey beziffert das Einsparpotenzial durch digitale Anwendungen auf 42 Milliarden Euro pro Jahr und damit auf etwa 12 Prozent der Gesundheits- und Versorgungskosten.
Es geht nicht nur um direkte Einsparungen, sondern auch um vermiedene Kosten und eine bessere Leistung. Werden etwa digitale Überwachungssysteme benutzt, kann eine Erkrankung früh erkannt werden – dadurch kommt es gar nicht erst zu einem teuren Klinikaufenthalt. „Richtig eingesetzt, kann die Digitalisierung im Gesundheitsbereich massiven Nutzen stiften“, sagte McKinsey-Studienautor Stefan Biesdorf. Den Nutzen der Digitalisierung stellen die Experten an einem beispielhaften Patienten dar, der an Herzinsuffizienz leidet und aus der Klinik entlassen wird. Danach wird mit Technik unter anderem sein Gewicht überwacht. Die Daten werden an die Klinik übermittelt und dort ausgewertet. Wenn das Gewicht zunimmt, stimmt etwas nicht – „dann kann man zügig agieren und den Patienten ambulant einbestellen“, sagt Biesdorf. Ohne die Technik müsste er später wohl noch mal ins Krankenhaus.
Die Digitalisierung in Deutschlands Gesundheitsbranche kommt aber nur schleppend voran. Einerseits gibt es Datenschutzbedenken, andererseits fürchten Ärzte und Apotheker Anwendungsprobleme. Die elektronische Patientenakte zum Beispiel ist zwar schon eingeführt, wird aber nur wenig genutzt. Ein weiteres digitales Mammutvorhaben ist das E-Rezept, das eigentlich im Januar zur Pflicht werden sollte. Doch nach Kritik aus der Gesundheitsbranche änderte die zuständige halbstaatliche Firma Gematik ihren Kurs und setzte eine freiwillige Testphase fort. Sowohl in der elektronischen Patientenakte als auch im E-Rezept sehen die McKinsey-Fachleute großes Effizienzpotenzial – auch hier mahnen sie mehr Tempo an. In Österreich zum Beispiel sei das E-Rezept gut und recht schnell eingeführt worden, sagt Biesdorf.
Laut dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, sind die Hausärzte zwar „froh über jede digitale Innovation, die die Versorgung der Patientinnen und Patienten verbessert und eine echte Entlastung in den Praxen darstellt“. Weigeldt moniert aber, „dass die allermeisten Lösungen, die nach Vorgaben der Gematik bisher entwickelt wurden, nicht praxistauglich sind“.
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz sieht Versäumnisse der verschiedenen Akteure des Gesundheitswesens, die zulasten der Patienten gingen. Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte, Therapeuten, Pharmakonzerne, Heil- und Hilfsmittelunternehmen wollten sich „nicht in die Karten schauen lassen“ und verdienten gut dabei. Das müsse aufhören. „Der Bundesgesundheitsminister ist aufgefordert, Leistungsanbieter auszuschließen, die sich nicht an der Digitalisierung beteiligen.“ Wolf von Dewitz