Ahrtal

Bundeswehr-Oberst Schaus im Interview zum Einsatz im Ahrtal: „Evakuieren, stabilisieren, wieder aufbauen“

Von Ludger Möllers
Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz.
Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz. Foto: picture alliance/dpa

Mit mehr als 2000 Männern und Frauen ist die Bundeswehr nach dem Hochwasser in den Katastrophengebieten von Rheinland-Pfalz und NRW im Einsatz. Die Soldaten bauen Brücken, räumen Straßen, suchen nach Leichen. Armin Schaus, Oberst im Generalstabsdienst und aus dem Landkreis Ahrweiler stammend, koordiniert als Leiter der Abteilung Einsatz im Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr in Berlin die Arbeiten.

Lesezeit: 4 Minuten
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Herr Oberst, wo steht der Bundeswehreinsatz 14 Tage nach der Hochwasserkatastrophe?

Wir sind jetzt weitestgehend in der dritten Phase unseres Einsatzes, also beim Aufräumen oder beim Wiederaufbau. Ein konkretes Beispiel: In der nordrhein-westfälischen Stadt Hagen haben wir mit 230 Soldatinnen und Soldaten, also „helfenden Händen“, sowie einem Bergepanzer und weiterem Spezialgerät die Rettungs- und Versorgungswege wieder passierbar gemacht. Das sind die Voraussetzungen dafür, dass die Menschen in ihre Häuser zurückkehren können.

Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz.
Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz.
Foto: dpa

Welche sind die anspruchsvollsten Aufgaben – technisch gesehen?

Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz.
Besonders an der Ahr wie in Rech und Altenahr kam das schwere Gerät der Bundeswehr zum Einsatz.
Foto: dpa

Im Ahrtal erleben wir die größte Zerstörung von Infrastruktur. Dort bauen Pioniere Behelfsbrücken oder richten Fähren ein, damit die Menschen zurückkehren und aufräumen können. Mehr als 300 Pioniere sind dort im Einsatz, die Hälfte des Tals haben sie abgearbeitet. In Essen wurde eine Brücke zu einem Tanklager unterspült. Dieses ist für die Treibstoffversorgung der Fahrzeuge von Hilfsorganisationen zentral. Pioniere bauten eine 30 Meter lange Brücke auf. In Erkrath schützten 60 Männer und Frauen ein Umspannwerk vor Überflutung und wendeten einen größeren Stromausfall ab.

Sie sprechen von der dritten Phase. Wie sahen denn die ersten beiden Phasen aus?

In der ersten Phase stand die Evakuierung im Vordergrund. Hierbei haben wir Menschen, die in absoluter Notlage waren, aus ihren überfluteten Häusern oder von Dächern gerettet. Aus der Luft mit Hubschraubern, über überflutete Straßen mit watfähigen Lastwagen oder übers Wasser mit Booten. Es waren ganze Ortschaften von der Außenwelt abgeschnitten. Das Ahrtal hat viele Seitentäler, in denen aus Bächen reißende Ströme wurden. Dort haben wir dann Menschen abgeholt und zur medizinischen Versorgung gebracht.

Und Phase zwei?

In der zweiten Phase haben wir Stabilisierungsmaßnahmen geleistet. Wir haben mitgeholfen, die Wasser-, Strom- und Handynetzversorgung wieder aufzubauen. Solange die Versorgung nicht steht, transportieren wir per Luft oder Land die Versorgungsgüter. Wassertankwagen stehen dort, wo das Trinkwassernetz noch nicht wieder instand gesetzt wurde. Teilweise ist auch der Behördenfunk ausgefallen. Hier haben wir die Netze aufgebaut, damit die Kräfte koordiniert und geführt werden können.

Was ist die schwerste Aufgabe?

Zweifelsohne die Suche und Bergung von Leichen aus dem Überflutungsgebiet, fast 14 Tage nach der Katastrophe: Das ist ein Teil der Wahrheit, dass das jemand machen muss. Hier übernehmen wir auch Aufgaben, die besonders viel Kraft erfordern: Auf dem Gebiet der besonders schwer getroffenen Ortschaften im Ahrtal und dem weiteren Verlauf des engen Ahrtals sind Soldaten zur Flächensuche zwischen Trümmern, Schlamm und Baumstämmen unterwegs. Wir haben gerade das psychosoziale Netzwerk der Bundeswehr aktiviert, Truppenpsychologen begleiten diesen Einsatz und bereiten die Einsätze im Nachgang in den Heimatstandorten nach, ebenso sind Militärseelsorger vor Ort.

Erinnern Sie sich noch an den Beginn des Einsatzes?

Ja, sehr gut sogar. Genau um 21 Uhr am Mittwoch vor einer Woche drohten wegen heftiger Regenfälle einem Depot der Bundeswehr am Rande des Nationalparks Eifel Überschwemmung und schwere Schäden für eingelagertes Gerät. Soldaten und die Bundeswehrfeuerwehr rückten zunächst aus, um die eigenen Anlagen abzusichern. Um 21.45 Uhr kam die Meldung zu einem in Sturzfluten überschwemmten Campingplatz im Ahrtal herein, dort konnten wir aber nachts zunächst keine Hubschrauber einsetzen. Um 21.50 Uhr meldete die Bundeswehr-Feuerwehr Köln, dass sie zu einem Hochwassereinsatz ausrückte. Ich war gegen 22 Uhr zurück in der Operationszentrale. Es war klar, dass die Fluten schwerste Schäden bedeuteten und Gefahr für Leib und Leben.

Seither wird Tag und Nacht durchgearbeitet ...

Richtig, 60 Männer und Frauen arbeiten aktuell wegen der Bekämpfung der Corona-Pandemie tagsüber bei uns im Kommando. Die Stärke haben wir unmittelbar erhöht – auch nachts –, um den Einsatz führen zu können. So ist die Einsatzbereitschaft rund um die Uhr gegeben.

Nun wartet in der Bundeswehr niemand darauf, ausgerechnet zur Hochwasserhilfe ausrücken zu müssen. Wie funktioniert der Alarm?

Als sich die Lage zuspitzte, hat das Verteidigungsministerium am Freitag vor einer Woche einen militärischen Katastrophenalarm ausgelöst. Weite Teile der Bundeswehr waren daraufhin auf „zwölf Stunden notice to move“ – sie mussten die Abmarschbereitschaft mit den angefragten Fähigkeiten herstellen und sich bereithalten, innerhalb eines halben Tages losfahren zu können. Weitestgehend alle anderen Vorhaben mussten hinten anstehen. Mittlerweile ist dieser Alarm an die Entwicklung angepasst und für einige Truppenteile herabgestuft worden. Wir haben dabei die Erfahrung gemacht: Unsere Soldatinnen und Soldaten waren sich der Unterstützungsnotwendigkeit bewusst und wollten schnell helfen, sie waren sehr schnell abmarschbereit und haben in keinem Fall die zwölf Stunden bis zum Abmarsch benötigt. Und es haben sich viele Reservisten gemeldet, die wir einsetzen können. Erstmalig konnten wir die Heimatschutzkräfte zum Beraumen von kritischer und öffentlicher Infrastruktur einsetzen.

Und wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Behörden?

Die Bundeswehr ist wie in der Corona-Pandemie nur in Amtshilfe unterwegs: Wir bekommen Anträge auf Amtshilfe, die wir sehr schnell beantworten. Nur Städte, Kreise und Länder können sie beantragen. Amtshilfe leisten wir so lange, bis die Behörden von den Kreisen und den Bundesländern den Katastropheneinsatz wieder selbst leisten können – so will es das Grundgesetz. Insgesamt gilt: Die Bundeswehr bleibt so lange wie nötig.

Sie sind in Berlin seit 16 Monaten in der Führungsstelle für die Corona-Amtshilfe. Wie verschaffen Sie sich ein Lagebild?

Ein belastbares Lagebild ist das A und O für die erfolgreiche Arbeit in der Operationszentrale. Daher haben wir zu bisher bei uns wenig genutzten Maßnahmen gegriffen: Die Luftwaffe hat mit einem Spezialflugzeug bei einer genaueren Bewertung der Unwetterschäden geholfen, ein Tornado-Aufklärungsflugzeug hat das Gebiet der Eifel bei Ahrweiler am vergangenen Mittwoch überflogen. Und am Donnerstag war das für Rüstungskontrollflüge vorgesehene Überwachungsflugzeug A319OH („Offener Himmel“) über dem Katastrophengebiet. Das Lagebild hilft auch den zivilen Verantwortungsträgern, den Einsatz der Kräfte aus Hilfsorganisationen aus dem gesamten Bundesgebiet oder auch von Spontanhelfern besser koordinieren zu können, damit diese große Solidarität auch zur Wirkung kommt und die Katastrophenlage schneller bewältigt werden kann.

Zur Person

Oberst im Generalstabsdienst Armin Schaus (49) stammt aus dem Landkreis Ahrweiler und ist Leiter der Abteilung Einsatz im Kommando Territoriale Aufgaben. Seit März 2020 koordiniert Schaus’ Abteilung den Einsatz der Bundeswehr im Zuge der Corona-Amtshilfe, seit zehn Tagen auch die Hochwasserhilfe. Bis zum Ausbruch der Pandemie lehrte er an der Führungsakademie der Bundeswehr über Grundsätze zu Einsätzen der Bundeswehr im Inneren.

Flutkatastrophe im Ahrtal
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