Rumsitzen und Jammern war keine Option. „Wir mussten ja irgendwas machen“, sagt Burkhard Geibel-Emden, der am Mainzer Schillerplatz gemeinsam mit seiner Frau Janine die Gaststätte „Zur Andau“ betreibt. Geibel-Emden, ein Berglangenbacher (Kreis Birkenfeld), den es von der oberen Nahe an den Rhein verschlagen hat, steht als Kultfigur der Mainzer Kneipenszene sonst jeden Abend mitten im Gewusel von Studierenden, Bauarbeitern beim Feierabendbier oder Politikern beim Absacker.
Plötzlich geschlossen. Ruhe. Aber nichts tun? Geht nicht. „Wir haben eine soziale Verantwortung für unsere Mitarbeiter“, sagt Geschäftsführerin Janine. Rund 20 Leute verdienen vis-à-vis des Fastnachtsbrunnens ihr Geld. Neben sechs Festangestellten sind das auch studentische Aushilfen. „Wir sind ein sehr familiärer Betrieb. Dort, wo die Eltern nicht unterstützen, mussten wir auch schauen, dass die Leute ihre Miete zahlen können.“
Wunsch nach klaren Regeln
Also ging der gelernte Starkstromelektroniker ans Werk: Schnell wurde der Eingangsbereich, der im Winter das erweiterte Wohnzimmer der Stammkundschaft vor eisigem Wind schützt, zu einem Kiosk. Dort holt am Montagnachmittag auch der Mainzer Bürgermeister Günter Beck (Grüne) seine Frikadelle ab und bleibt für einen kleinen Plausch. „Die Leute kommen ja auch, weil sie uns sehen wollen – und wir wollen den Kontakt halten“, sagt Bu, wie ihn Belegschaft und Stammgäste nennen.
Geld verdient er mit dem neuen Straßenverkauf nicht. Im Gegenteil: Personalkosten fressen schon den kleinen Umsatz. Was ihn noch mehr ärgert: „Wir hatten jetzt sieben Wochen Zeit, uns auf die Wiedereröffnung vorzubereiten, und keiner sagt, wie“, ärgert er sich. Also wurde er selbst aktiv. Bastelte seine Andau nach und nach „Corona-fest“. Er tastete sich dabei vor, sprach mit vielen Stellen, hätte sich aber klare Vorgaben gewünscht. Eigeninitiative sei das eine, Orientierung aber genauso wichtig. Wie ihm geht es vielen Gastronomen in Rheinland-Pfalz.
Was Geibel-Emden umgesetzt hat, deckt sich nun mit den Empfehlungen der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Rheinland-Pfalz. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz, Arne Rössel, kann den Ärger der Gastronomen gut nachvollziehen: „Die immer noch geschlossenen Betriebe dürfen von der Politik nicht weiter allein gelassen werden. Heute muss endlich ein konkreter Zeitplan für die Wiederöffnung mit Hygienevorgaben kommen“, sagt Rössel. „Jeder Unternehmer will sich darauf seriös vorbereiten, das geht nicht über Nacht. Ein Stufenplan ist besser als gar kein Plan, auch wenn aus IHK-Sicht weiter gilt: Jeder, der die Hygienevorgaben erfüllt, soll öffnen dürfen!“ In Mainz hat Geibel-Emden zunächst einmal seine berühmte runde Theke mit einem Spuckschutz aus Plexiglas gesichert. Auch die Tische in den Nischen sind durch durchsichtige Trenner geschützt.
Selbst in den Speisekartenhaltern stehen Plexiglasscheiben. Diese Konstruktionen wirken ungewohnt, doch auch die IHK spricht sich klar dafür aus: „Anbringen von Glastrennwänden in Bereichen, in denen ein näherer Kontakt von Kunde/Gast und Mitarbeiter erforderlich ist“, heißt es in einem internen Papier, das auch vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium befürwortet wird (siehe Interview). Auch andere Punkte finden sich im Mainzer Konzept: „Das Bier wird teurer“, sagt Geibel-Emden. „Ich brauche einen Angestellten, der den ganzen Tag nichts anderes machen wird, als zu desinfizieren.“ Dabei soll in der Andau statt anarchischem Durcheinander künftig Einbahnstraßenverkehr gelten: „Es geht vorn rein, hinten raus.“ Hinein darf nur, wer reserviert hat. „Wir sind in die Vorlage gegangen, haben gezeigt: Wir können Gäste und Personal schützen“, sagt Geibel-Emden. Nun wünscht er sich „endlich“ klare und verbindliche Ansagen der Politik.
Reduzierte Auslastung
Die stellt Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) in Aussicht: „Ich gehe davon aus, dass Gastronomie im Innen- und Außenbereich im Laufe der kommenden Woche unter Einschränkungen wieder öffnen darf und Hotels für private Übernachtungen noch in diesem Monat.“ Diese Einschränkungen könnten sich am Dreistufenplan der IHK orientieren. Der sieht wie folgt aus: Zunächst soll die Hälfte aller möglichen Plätze belegt werden dürfen – bei reduzierter Öffnungszeit. Danach steigt die Auslastung auf 75 Prozent, und auch die Öffnungszeiten werden erweitert. Danach sollen lediglich die Abstandsregeln gelten – was faktisch auch eine Reduzierung der Auslastung mit sich bringen würde.
Was das für seinen Betrieb bedeuten würde, rechnet Geibel-Emden sehr deutlich vor. „Wir würden keine Plätze an der Theke anbieten und auch die Stehplätze im Raum nicht belegen können“, sagt er. „Statt 60 Leute passen dann zehn hier rein.“ Dazu kommen 25 bis 35 Außenplätze.
„Im Augenblick wären wir aber schon zufrieden, wenn wir überhaupt öffnen dürfen.“ Er ist sich sicher, dass der Neustart aber nicht reibungslos verlaufen wird. Ganz praktisch sei Plexiglas das „neue Toilettenpapier“: „Wer nicht vorgesorgt hat, bekommt im Moment keins mehr.“ Die IHKs verweisen zudem auf die Lieferketten. Es sei eine Sache, Betriebe schnell zu schließen. Aber gerade bei Restaurants und Hotels dauere das Hochfahren wesentlich länger.
Carsten Zillmann