Plus
Rheinland-Pfalz/Berlin

Bereits vor der Regierungsschalte angekündigt: Land will Gastronomie öffnen

Von Florian Schlecht, Carsten Zillmann
Der Mainzer Wirt Burkhard Geibel-Emden hat seine „Andau“ Corona-fest gemacht, um schnell durchstarten zu können.
Der Mainzer Wirt Burkhard Geibel-Emden hat seine „Andau“ Corona-fest gemacht, um schnell durchstarten zu können. Foto: Carsten Zillmann

Die rheinland-pfälzische Regierungskoalition von SPD, FDP und Grünen fordert vor der Telefonkonferenz zwischen Länderchefs und Bundeskanzlerin Angela Merkel heute eine bundesweit einheitliche Lösung, um Gastronomie und Hotels wieder zu öffnen. „Gibt es keine Einigung, gehen wir einen eigenen, rheinland-pfälzischen Weg“, kündigte Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) im Gespräch mit unserer Zeitung an.

Lesezeit: 2 Minuten
Dafür hat der Liberale schon klare Vorstellungen: „Ich gehe davon aus, dass Gastronomie im Innen- und Außenbereich im Laufe der kommenden Woche unter Einschränkungen wieder öffnen darf und Hotels für private Übernachtungen noch in diesem Monat“, sagte Wissing. „Wir wollen Betrieben eine Perspektive bieten, um den Tourismus wieder zu beleben.“ ...
Möchten Sie diesen Artikel lesen?
Wählen Sie hier Ihren Zugang
  • 4 Wochen für nur 99 Cent testen
  • ab dem zweiten Monat 9,99 €
  • Zugriff auf alle Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
E-Paper und
  • 4 Wochen gratis testen
  • ab dem zweiten Monat 37,- €
  • Zugriff auf das E-Paper
  • Zugriff auf tausende Artikel
  • Newsletter, Podcasts und Videos
  • keine Mindestlaufzeit
  • monatlich kündbar
Bereits Abonnent?

Fragen? Wir helfen gerne weiter:
Telefonisch unter 0261/9836-2000 oder per E-Mail an: aboservice@rhein-zeitung.net

Oder finden Sie hier das passende Abo.

Anzeige

Mainzer Kultwirt hat seine Gaststätte Corona-sicher gemacht – IHK: „Wir können Gäste und Personal schützen“

Rumsitzen und Jammern war keine Option. „Wir mussten ja irgendwas machen“, sagt Burkhard Geibel-Emden, der am Mainzer Schillerplatz gemeinsam mit seiner Frau Janine die Gaststätte „Zur Andau“ betreibt. Geibel-Emden, ein Berglangenbacher (Kreis Birkenfeld), den es von der oberen Nahe an den Rhein verschlagen hat, steht als Kultfigur der Mainzer Kneipenszene sonst jeden Abend mitten im Gewusel von Studierenden, Bauarbeitern beim Feierabendbier oder Politikern beim Absacker.

Plötzlich geschlossen. Ruhe. Aber nichts tun? Geht nicht. „Wir haben eine soziale Verantwortung für unsere Mitarbeiter“, sagt Geschäftsführerin Janine. Rund 20 Leute verdienen vis-à-vis des Fastnachtsbrunnens ihr Geld. Neben sechs Festangestellten sind das auch studentische Aushilfen. „Wir sind ein sehr familiärer Betrieb. Dort, wo die Eltern nicht unterstützen, mussten wir auch schauen, dass die Leute ihre Miete zahlen können.“

Wunsch nach klaren Regeln

Also ging der gelernte Starkstromelektroniker ans Werk: Schnell wurde der Eingangsbereich, der im Winter das erweiterte Wohnzimmer der Stammkundschaft vor eisigem Wind schützt, zu einem Kiosk. Dort holt am Montagnachmittag auch der Mainzer Bürgermeister Günter Beck (Grüne) seine Frikadelle ab und bleibt für einen kleinen Plausch. „Die Leute kommen ja auch, weil sie uns sehen wollen – und wir wollen den Kontakt halten“, sagt Bu, wie ihn Belegschaft und Stammgäste nennen.

Geld verdient er mit dem neuen Straßenverkauf nicht. Im Gegenteil: Personalkosten fressen schon den kleinen Umsatz. Was ihn noch mehr ärgert: „Wir hatten jetzt sieben Wochen Zeit, uns auf die Wiedereröffnung vorzubereiten, und keiner sagt, wie“, ärgert er sich. Also wurde er selbst aktiv. Bastelte seine Andau nach und nach „Corona-fest“. Er tastete sich dabei vor, sprach mit vielen Stellen, hätte sich aber klare Vorgaben gewünscht. Eigeninitiative sei das eine, Orientierung aber genauso wichtig. Wie ihm geht es vielen Gastronomen in Rheinland-Pfalz.

Was Geibel-Emden umgesetzt hat, deckt sich nun mit den Empfehlungen der Industrie- und Handelskammern (IHK) in Rheinland-Pfalz. Der Hauptgeschäftsführer der IHK Koblenz, Arne Rössel, kann den Ärger der Gastronomen gut nachvollziehen: „Die immer noch geschlossenen Betriebe dürfen von der Politik nicht weiter allein gelassen werden. Heute muss endlich ein konkreter Zeitplan für die Wiederöffnung mit Hygienevorgaben kommen“, sagt Rössel. „Jeder Unternehmer will sich darauf seriös vorbereiten, das geht nicht über Nacht. Ein Stufenplan ist besser als gar kein Plan, auch wenn aus IHK-Sicht weiter gilt: Jeder, der die Hygienevorgaben erfüllt, soll öffnen dürfen!“ In Mainz hat Geibel-Emden zunächst einmal seine berühmte runde Theke mit einem Spuckschutz aus Plexiglas gesichert. Auch die Tische in den Nischen sind durch durchsichtige Trenner geschützt.

Selbst in den Speisekartenhaltern stehen Plexiglasscheiben. Diese Konstruktionen wirken ungewohnt, doch auch die IHK spricht sich klar dafür aus: „Anbringen von Glastrennwänden in Bereichen, in denen ein näherer Kontakt von Kunde/Gast und Mitarbeiter erforderlich ist“, heißt es in einem internen Papier, das auch vom rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerium befürwortet wird (siehe Interview). Auch andere Punkte finden sich im Mainzer Konzept: „Das Bier wird teurer“, sagt Geibel-Emden. „Ich brauche einen Angestellten, der den ganzen Tag nichts anderes machen wird, als zu desinfizieren.“ Dabei soll in der Andau statt anarchischem Durcheinander künftig Einbahnstraßenverkehr gelten: „Es geht vorn rein, hinten raus.“ Hinein darf nur, wer reserviert hat. „Wir sind in die Vorlage gegangen, haben gezeigt: Wir können Gäste und Personal schützen“, sagt Geibel-Emden. Nun wünscht er sich „endlich“ klare und verbindliche Ansagen der Politik.

Reduzierte Auslastung

Die stellt Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP) in Aussicht: „Ich gehe davon aus, dass Gastronomie im Innen- und Außenbereich im Laufe der kommenden Woche unter Einschränkungen wieder öffnen darf und Hotels für private Übernachtungen noch in diesem Monat.“ Diese Einschränkungen könnten sich am Dreistufenplan der IHK orientieren. Der sieht wie folgt aus: Zunächst soll die Hälfte aller möglichen Plätze belegt werden dürfen – bei reduzierter Öffnungszeit. Danach steigt die Auslastung auf 75 Prozent, und auch die Öffnungszeiten werden erweitert. Danach sollen lediglich die Abstandsregeln gelten – was faktisch auch eine Reduzierung der Auslastung mit sich bringen würde.

Was das für seinen Betrieb bedeuten würde, rechnet Geibel-Emden sehr deutlich vor. „Wir würden keine Plätze an der Theke anbieten und auch die Stehplätze im Raum nicht belegen können“, sagt er. „Statt 60 Leute passen dann zehn hier rein.“ Dazu kommen 25 bis 35 Außenplätze.

„Im Augenblick wären wir aber schon zufrieden, wenn wir überhaupt öffnen dürfen.“ Er ist sich sicher, dass der Neustart aber nicht reibungslos verlaufen wird. Ganz praktisch sei Plexiglas das „neue Toilettenpapier“: „Wer nicht vorgesorgt hat, bekommt im Moment keins mehr.“ Die IHKs verweisen zudem auf die Lieferketten. Es sei eine Sache, Betriebe schnell zu schließen. Aber gerade bei Restaurants und Hotels dauere das Hochfahren wesentlich länger.

Carsten Zillmann

Wirtschaftsstaatssekretärin Schmitt: „Wir brauchen eine Lösung, die auf alle Wirtschaftsbereiche übertragbar ist“

Die Lockerungsmaßnahmen in der Corona-Krise sorgen für Unmut. Branchen fühlen sich ungleich behandelt, Gastronomen bisweilen vergessen. Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsstaatssekretärin Daniela Schmitt (FDP) setzt deshalb auf ein neues Konzept, das auf alle Wirtschaftsbereiche übertragbar ist. Schmitt, deren Minister Volker Wissing davon ausgeht, dass in der kommenden Woche Gastronomen wieder öffnen dürfen, setzt hierbei auf die Ideen und Vorlagen der Kammern und Verbände.

Frau Schmitt, Sie als Wirtschaftsstaatssekretärin können sicher erklären, weshalb man seine Füße von einer medizinischen Fußpflegerin behandeln lassen darf, von einer kosmetischen aber nicht.

Das ist eine schwierige Frage. Sie zeigt das Problem aber gut. In den vergangenen Wochen stand in der Gestaltung der jeweiligen Rechtsverordnung berechtigterweise immer der Infektionsschutz ganz oben auf den Prioritätenlisten. Bei den Lockerungsmaßnahmen haben wir dann zunehmend gemerkt, dass es problematisch wird. Es gibt verstärkt die Herausforderung bezüglich der Vergleichbarkeit der jeweiligen Branchen, die Ihr Beispiel ja treffend beschreibt. Deshalb müssen wir perspektivisch betrachten, wie wir damit umgehen.

Man könnte es auch anders formulieren: Die Landesregierung hat eine juristische Bruchlandung hingelegt. Möbel Martin hat gewonnen, weil die Rechtsverordnung rechtswidrig war.

Ich habe sehr frühzeitig die provokante Frage gestellt: Was ist der Unterschied zwischen einem Sofakauf und einem Fahrradkauf? Letztendlich hat Möbel Martin die Situation juristisch klären lassen. Die Vorgehensweise, unsere Entscheidungen an Kriterien wie der Fläche festzumachen, war bis zu einem gewissen Zeitpunkt auch mit Blick auf die Verhandlungen mit dem Bund noch nachvollziehbar. Jetzt brauchen wir aber eine Lösung, die sich an Hygienestandards orientiert und auf alle Wirtschaftsbereiche übertragbar ist.

Auch auf die Gastronomie? Schließlich hat kaum eine Branche häufiger mit Hygienestandards zu tun.

Die Gastronomie ist eine ganz, ganz wichtige Branche – gerade in einem Flächen- und Tourismusland. In der Vergangenheit haben unsere Gastronomen oft bewiesen, dass sie Profis für Hygienekonzepte sind. Deshalb ist es absolut angebracht, jetzt Signale zu geben. Es war extrem enttäuschend, dass die Branche in der letzten Verhandlungsrunde zwischen Ländern und Bund so gut wie nicht stattgefunden hat. Es geht um wirtschaftliche Existenzen. Die Betriebe kommen aus den Wintermonaten. Jetzt sind ihnen März, April und einige Maiwochen weggefallen.

Worauf kann sich ein Gastronom einstellen?

Der Dehoga, die Kammern und andere Verbände haben den Betrieben mit vielen Informationen Wege für Hygieneschutzkonzepte aufgezeigt.

Informationen sind gut. In einem Rechtsstaat kommt es aber letztlich auf bindende Regeln an. Wann setzt die Politik sie fest?

Das Thema wird am Mittwoch in der Verhandlungsrunde aufgerufen. Dort soll möglichst eine ländereinheitliche Regelung gefunden werden. Wir können uns aber vorstellen – soweit eine einheitliche Regelung eben nicht gefunden wird – erste Lockerungen für Rheinland-Pfalz festzulegen. Dabei werden wir uns an den Konzepten von Kammern und Verbänden orientieren.

Was bedeutet das konkret? Nur Außengastronomie?

Ich bin der Meinung, dass man Außen- und Innengastronomie gemeinsam betrachten und auch für beide Lockerungen in Betracht ziehen kann. Besucherströme lassen sich auch in der Innengastronomie hervorragend regeln. Außerdem geht es auch hier wieder um Gleichbehandlung. Die Situation in unserem Land ist auch so, dass zwei Drittel der Betriebe gar keine Außengastronomie betreiben. zca

Meistgelesene Artikel