Mainz/Wiesbaden

Ankunft aus Afghanistan: „Weil hier Freiheit ist, ist auch Hoffnung da“

Von Peter Zschunke
Die aus Afghanistan ausgeflogene Familie einer ehemaligen Bundeswehrortskraft in Masar-i-Scharif sitzt auf einer Bank im Haus der Kulturen in Mainz. Sie sprechen mit dem Leiter der Malteser-Flüchtlingshilfe, Behrouz Asadi, über ihre Situation.
Die aus Afghanistan ausgeflogene Familie einer ehemaligen Bundeswehrortskraft in Masar-i-Scharif sitzt auf einer Bank im Haus der Kulturen in Mainz. Sie sprechen mit dem Leiter der Malteser-Flüchtlingshilfe, Behrouz Asadi, über ihre Situation. Foto: dpa

Von Afghanistan ins Rhein-Main-Gebiet: Die 28-jährige Tamana sieht lächelnd zu, wie ihre drei Jahre alte Tochter Gulsum eine Mickey-Maus-Figur aus Plüsch mit beiden Armen festhält und wie ihre zweijährigen Zwillingsmädchen Fatehmah und Zahra übers Gras krabbeln.

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„Wir sind in Sicherheit“, sagt die Lehrerin, deren Mann Said elf Jahre lang als Ortskraft bei der Bundeswehr in Masar-i-Scharif gearbeitet hat. „Mensch zu sein, ist wichtiger als Religion“, sagt Tamana. Die jetzt in Afghanistan herrschenden Taliban seien „Barbaren, die im Namen der Religion handeln“.

Im Zuge der Evakuierung aus Afghanistan kamen bislang 417 Menschen in Rheinland-Pfalz an, gut die Hälfte davon mit US-Militärflugzeugen in Ramstein. Sie wurden nach Angaben von Integrationsministerin Katharina Binz (Grüne) vorläufig aufgenommen, zumeist in Einrichtungen der Erstaufnahme wie etwa in Bitburg in der Eifel. Für alle Evakuierten entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), ob die Betroffenen in Afghanistan als frühere Ortskraft für die Bundeswehr oder die deutsche Polizei anerkannt werden und daher nach Paragraf 22 des Aufenthaltsgesetzes ein anerkanntes Aufenthaltsrecht erhalten. In den übrigen Fällen muss erst ein Asylverfahren durchlaufen werden.

In Hessen fanden zunächst 115 Menschen Aufnahme, die mit Evakuierungsflügen nach Deutschland eingereist sind, wie das Ministerium für Soziales und Integration mitteilte. Etliche von diesen sind aber bereits nach Großbritannien und in andere Staaten weitergereist oder haben dies noch vor. Andere Familien der afghanischen Ortskräfte werden von den Kommunen untergebracht, unter anderem in Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden.

Die Familie von Tamana und Said hat Unterkunft bei den Maltesern in Mainz gefunden. „Sie sind sehr erschöpft“, sagt der Leiter der Malteser-Flüchtlingshilfe in Rheinland-Pfalz und Hessen, Behrouz Asadi. „Sie finden hier Frieden, aber die Gedanken sind noch in Afghanistan.“

Dies trifft auch auf die Familie von Ghulam zu, die in einer hessischen Einrichtung der Malteser untergekommen ist. Traurig erzählt die 40-jährige Mutter von acht Kindern, dass ihr Mann – auch er war Ortskraft bei der Bundeswehr – nach einer Verletzung im Krankenhaus behandelt werde und dass sie in Angst um zwei Söhne sei, die sie auf der Flucht habe zurücklassen müssen. Zwei weitere Kinder sind verheiratet. Vier Kinder hat sie mitgenommen.

Große Pläne für die Zukunft

Ernst und bedrückt sitzen diese vor einer Limonade im Haus der Kulturen. Nur als von der Schule die Rede ist, gleitet ein Lächeln übers Gesicht von Yasamin. „Wir lieben die Schule“, sagt die 16-Jährige. „Zu Hause ist alles kaputt. Wir hoffen, dass wir hier unsere Zukunft aufbauen können.“ Sie will in die Schule, dann Medizin studieren und Ärztin werden. „Dann will ich zurück nach Afghanistan, um unserem Land zu dienen.“

„Wir fühlen uns hier sicher“, sagt Yasamin. „Jede Minute haben wir Angst gehabt, jetzt gibt es keine Bedrohung mehr.“ Ihr ein Jahr jüngerer Bruder Abdul Basit erzählt, dass die Talibanmilizionäre ihre Flucht aus Masar-i-Scharif mitbekommen und die Familie verfolgt hätten. In Kabul seien sie unter großen Schwierigkeiten zum Flughafen gelangt und am 7. August über Istanbul nach Frankfurt geflogen.

„Diese Menschen stehen unter Schock, obwohl sie in Sicherheit sind“, sagt Asadi. „Sie sorgen sich um Familienmitglieder, die noch in Afghanistan sind. Vor allem die Kinder machen sich Sorgen und haben Angst.“ Beide Familien waren nach ihrer Ankunft zwei Wochen in Quarantäne. Die Malteser-Flüchtlingshilfe hat eine Familienberatung auf den Weg gebracht mit wöchentlich zwei festen Angeboten für die neu aus Afghanistan eingetroffenen Menschen. Das katholische Hilfswerk nutze dabei die Erfahrungen in der Hilfe bei traumatischen Fluchterfahren seit dem Bosnienkrieg von 1995, sagt Asadi.

Nur den Status einer Duldung hat Ali Agha Alizadeh, der 2015 in der Hoffnung nach Deutschland kam, seine Familie nachholen zu können. Sein Asylantrag wurde aber abgelehnt. Im Haus der Kulturen fand der 35-Jährige eine Anstellung. „Ich bin geflohen, weil mein Vater von den Taliban getötet wurde“, sagt er. Seine Frau und seine 13-jährige Tochter hätten in den vergangenen Jahren in relativ stabilen Verhältnissen in Kabul gelebt, er habe ihnen Geld überweisen können. Jetzt gebe es diese Möglichkeit nicht mehr, und beide hielten sich versteckt. „Ich muss die ganze Zeit an sie denken.“

Asadi verteilt Hefte an die Neuankömmlinge, eine erste Anleitung für die deutsche Sprache, mit Zeichnungen und Übersetzungen in die afghanische Sprache Dari. „Dankeschön“, sagt Abdul Basit auf Deutsch und vertieft sich gleich in die ersten Seiten.

Was sind die ersten Eindrücke vom neuen Leben in Deutschland? „Die Stadt ist sauber“, antwortet Said, dessen fünfköpfige Familie am 11. August eintraf. „Die Menschen sind nett, es gibt Freiheit.“ Das ist das richtige Stichwort für Yasamin: „Weil hier Freiheit ist, ist auch Hoffnung da.“