Kreis Ahrweiler

Als der Einsatzleiter Boten losschickte: In den Krisengebieten brach die Kommunikation zusammen

Von Jochen Magnus
Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste, das THW, der Zoll, Justiz- und andere Behörden nutzen den digitalen Behördenfunk BOS.
Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste, das THW, der Zoll, Justiz- und andere Behörden nutzen den digitalen Behördenfunk BOS. Foto: benjaminnolte - stock.adobe.com

Nichts ging mehr. Ausgerechnet als Informationen lebenswichtig wurden, als Rettungskräfte angefordert und koordiniert werden mussten, fiel der Funkverkehr aus. Die normalen Telefone waren schon tot, der Mobilfunk war ebenfalls ausgefallen, und dann versagte auch noch der Behördenfunk der Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste in den Krisengebieten an der Ahr und der Eifel. Über große Entfernungen war überhaupt keine Verständigung mehr möglich, in kleineren Bereichen kam es zu Wartezeiten beim Verbindungsaufbau.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

„Die Technik lässt eine organisationsübergreifende und bundesweite Verständigung zu und vereinfacht somit die Durchführung komplexer Einsatzszenarien – insbesondere auch in Krisenlagen und Katastrophensituationen“, so steht es auf der Homepage der Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BDBOS). In Deutschland gibt es eben diese Bundesbehörde für den Aufbau und Betrieb des Behördenfunknetzes, BOS genannt. Seit 1996 wurde es geplant, ab 2011 sukzessive in Betrieb genommen, und 2015 war das Netz flächendeckend ausgebaut. Es gibt sogar ein eigenes Bundesgesetz dazu und ein Verwaltungsabkommen mit den Bundesländern, die das Netz in ihren Regionen betreiben. Es existieren zudem jede Menge Vorschriften und Zertifizierungen. Die Behörde ist stolz darauf, auch „Großlagen“ wie einen G7-Gipfel mit mehr als 30.000 eingeloggten Funkgeräten bewältigt zu haben.

Basisstationen soffen ab

Während der Aufbaujahre wurde das Netz oft kritisiert: schlechter Empfang vor allem in Gebäuden und Funklöcher auf dem Land. „Wir waren froh, dass wir unsere alten Funkgeräte noch hatten“, erzählt ein langgedienter Rettungssanitäter unserer Zeitung. Heute ist der Parallelbetrieb alter analoger und neuer digitaler Funktechnik im Normalbetrieb nicht mehr nötig. Genug Vorbereitungszeit vorausgesetzt, bewältigt BOS auch Großereignisse. Doch mit der überraschenden Flutkatastrophe am 14. Juli war das Behördennetz in der Eifel und an der Ahr überfordert. Die steigenden Fluten ließen die Basisstationen absaufen, zerstörten die Stromversorgung, die Datenleitungen oder rissen gleich die ganze Station mit. Es herrschte Funkstille. Manche Einsatzleiter schickten die moderne Form berittener Boten los, um sich ein Bild der Lage zu machen: Mitarbeiter mit Block und Stift im Pkw.

Das Behördennetz, eigentlich für Katastrophenfälle gehärtet, versagte. Da, wo „nur“ die Datenleitungen, meist Glasfaserkabel, weggerissen wurden, konnten die Basisstationen noch weiterarbeiten – zumindest ein paar Stunden lang, bis auch die Notstrombatterien leer waren. Aber viele hatten die Verbindung zu allen anderen Stationen verloren. Immerhin konnten sie im sogenannten Rückfallbetrieb („Fallback“) noch Gespräche innerhalb ihres eigenen Gebietes vermitteln. Aber das wegen der hohen Belastung leider oft nur mit erheblichen Verzögerungen. Wo man sich im alten Funknetz vielleicht noch mit lauter Stimme und Dringlichkeit hätte durchsetzen können, kam man erst gar nicht ins digitale Netz herein – die Software ist unerbittlich: Mehrfaches Drücken der Sprechtaste bewirkt eine noch längere Wartezeit. Ein weiteres Problem: Gespräche über die eigene Funkzelle hinaus, eventuell zur Einsatzzentrale, waren nicht möglich, denn die Leitungen zur Vermittlungsstation waren ausgefallen.

Leitungen nicht gut gesichert

Wie ein BOS-Insider der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ sagte, waren die Leitungen zu den Stationen offenbar nicht ausreichend gegen solch katastrophale Zustände gesichert. „Vielerorts haben die Verantwortlichen in den Ländern einfach Anschlüsse über das reguläre Netz der Kommunikationsanbieter gemietet, statt eigene ‚gehärtete‘ Leitungsstrecken aufzubauen“, so ein Experte. Solche sicheren Leitungen kosten ein Vielfaches der üblichen Kabel für kommerziellen Mobilfunk.

In Rheinland-Pfalz ist die „Autorisierte Stelle Digitalfunk BOS (AS RP)“ in Mainz für den Behördenfunk zuständig. Sie bestätigt die Ausfälle der von ihr betriebenen Basisstationen durch Überflutungen und den teilweisen Weiterbetrieb im Rückfallmodus und oft auch im Batteriebetrieb. Weitergehende Antworten zur Art der Anbindung ans Bundesnetz und eventuellen künftigen Verbesserungen hat die Behörde unserer Zeitung noch nicht gegeben, aber in Aussicht gestellt. Die Verantwortlichen reagieren derzeit sehr vorsichtig und müssen ihre Auskünfte mit der Bundesbehörde BDBOS und diese wiederum sogar mit dem Bundesinnenministerium abstimmen.

Was die Mainzer Stelle aber schon preisgibt, ist die aktuelle Ertüchtigung des Behördennetzes im Ahrtal mit drei mobilen Satellitenstationen. Sie verbinden das örtliche Netz mit dem Kernnetz des Bundes, das von der Flut nicht beeinträchtigt wurde. Auch mobile Stromversorgungen wurden aufgestellt, wo das Stromnetz noch immer ausgefallen ist. Jochen Magnus

Manfred Ruch zu den Warnsystemen in Rheinland-Pfalz: Kommunale Krisenstäbe dürfen nicht alleingelassen werden

Auch mehr als zwei Wochen nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal wissen wir noch nicht, was genau im Krisenstab des Landkreises Ahrweiler an jenem Abend besprochen, entschieden und kommuniziert wurde, als es darum ging, die arglosen Menschen vor dem gewaltigen Hochwasser zu warnen, das sich durch das Ahrtal wälzte. Traurige Gewissheit ist dagegen: Unfassbare 134 Todesopfer wurden bereits gezählt, 73 weitere Menschen werden noch immer vermisst. Und die Befürchtung ist groß, dass viele von ihnen diese historische Katastrophe nicht überlebt haben.

Sicher ist: Die gigantischen Schäden, die das Hochwasser hinterlassen hat, waren nicht zu verhindern. Nichts und niemand hätte diese Wassermassen aufhalten können. Ob dies aber auch für all die Todesopfer gilt, das darf nach den Recherchen unserer Zeitung zum Verhalten des Krisenstabs in Ahrweiler bezweifelt werden.

Und jetzt? Wie geht es weiter mit dem Ahrtal? Brücken, Straßen, Schienen, Häuser, Betriebe, Geschäfte, Versorgungsleitungen, Sportplätze, Schulen, Kitas: So vieles ist schwer beschädigt oder komplett zerstört worden, dass einem der Atem stockt. Einige Milliarden Euro werden nötig sein, um dieses einst so schöne Tal wieder aufzubauen. Und dieses Signal zum Aufbruch muss schnell und klar kommen, damit die Menschen dort wieder Hoffnung schöpfen und an eine Zukunft glauben können.

Doch dazu gehört auch, dass sich die Menschen im Ahrtal wieder sicher fühlen müssen. Sonst droht ein Exodus. Die Ahr hat bitter gezeigt, wozu sie fähig ist. Wie vieles davon dem Klimawandel geschuldet ist, das steht gewiss nicht fest. Doch dass der Klimawandel die Gefahren von extremen Wetterlagen verschärft, wird mittlerweile von kaum jemandem bestritten. Das wird man bei einem erfolgreichen Wiederaufbau berücksichtigen müssen.

Das Netz der Sicherheit muss im Ahrtal und anderswo neu geknüpft werden. Gesucht wird ein Warnsystem, auf das sich die Menschen auch in schlimmsten Fällen verlassen können. Es ist untragbar, wenn Leib und Leben in einer solchen Katastrophennacht davon abhängen, wer im Krisenstab Dienst tut und ob jemand mit der Lage möglicherweise heillos überfordert ist. Unabhängig davon, dass der Krisenstab Ahrweiler die Dramatik der Lage offenbar falsch eingeschätzt, zu spät vor den tödlichen Fluten gewarnt und sich auch keine Hilfe von höheren Instanzen geholt hat: Es darf nicht sein, dass eine Kommune das letzte Glied in einer Kette ist, das mit einer solch monströsen Gefahr allein bleibt, wenn sie sich nicht von selbst meldet.

Wo ist die sichere Funktechnik, die auch solchen Fluten standhält? Wo die Mechanismen, die sicherstellen, dass in einem solch kritischen Augenblick auf allen Ebenen die Warnlampen angehen? Wo sind die Alarmketten, die höhere Instanzen nicht nur per E-Mail oder Warn-App füttern, sondern per Notfalltelefon? Angesichts der rasch eskalierenden Lage am Abend der Flut darf dies nicht nur Holschuld für kommunale Krisenstäbe sein: Es ist auch eine Bringschuld des Innenministeriums und der zuständigen Landesbehörden, sich proaktiv zu kümmern und notfalls einzugreifen, wenn es vor Ort nicht läuft. Ein Besuch im Krisenstab reicht da nicht.

Innenminister Roger Lewentz hat angekündigt, dass die gesamte Alarmkette geprüft wird. Er hat allen Grund dazu. Denn man hat nicht das Gefühl, dass sie in Rheinland-Pfalz wirklich funktioniert.

E-Mail an Autor: manfred.ruch@rhein-zeitung.net

Flutkatastrophe im Ahrtal
Meistgelesene Artikel