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70 Jahre Grundgesetz: Die Köpfe dahinter!

Von Michael Stoll
Friederike Nadig (SPD), Mitglied des Bundestages
Friederike Nadig (SPD), Mitglied des Bundestages Foto: picture alliance/dpa

Der Staatsrechtler und Politiker Dr. Adolf Süsterhenn (1905–1974) gilt als „geistiger Vater“ der rheinland-pfälzischen Landesverfassung – und als einer der führenden Köpfe bei der Entstehung des Grundgesetzes. Er wurde in Köln geboren, trat nach dem Studium zunächst Richterstellen an, ehe er sich als Rechtsanwalt in Köln niederließ. Trotz seiner Nähe zur katholischen Zentrumspartei näherte er sich nach dem 30. Januar 1933 kurze Zeit den Nazis an, begab sich aber schon bald wieder in Opposition zum Regime und verteidigte ehemalige Zentrumspolitiker und Ordensgeistliche, die von den Machthabern verfolgt wurden.

Lesezeit: 3 Minuten
Weil seine Familie in Köln ausgebombt worden war, zog Süsterhenn erst nach Unkel, schließlich nach Koblenz um. Von 1946 bis 1951 war er Justiz- und Kultusminister, im Parlamentarischen Rat agierte er als Vizechef der CDU/CSU-Fraktion. Er stritt für ein christlich-naturrechtliches Verfassungsdenken und konfessionelle Bekenntnisschulen, trat für den Föderalismus, effiziente Verwaltungsgerichtsbarkeiten ...
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Die Geburtsstadt unserer Verfassung

Ein bisschen unscheinbar wirkt es schon, dieses niedrige Gebäude am Platz der Vereinten Nationen in Bonn, überschattet vom Marriott Hotel gegenüber und schnell aus dem Blickfeld geratend, angesichts des langgestreckten World Conference Centers Bonn (WCCB) und dem ehemaligen Plenarsaal mit seiner gläsernen Front. Und doch ist das Bundeshaus mit seinen von der Neuen Sachlichkeit geprägten kantigen Formen der historisch bedeutsamste Ort des einstigen Regierungsviertels, wenn nicht gar ganz Bonns. Denn hier, in der ehemaligen Pädagogischen Akademie, entstand vor nunmehr 70 Jahren das Grundgesetz, auf dem seither der gesamte deutsche Staat fußt. Hier wurde es gezeugt und geboren, gegen alle Widerstände in die Welt geschrieben und seitdem konsequent genährt, hier in der umgebauten Aula, die bis zum Umzug der Regierung nach Berlin als Sitz des Bundesrats fungierte und die bis heute den Geist der Gründerväter und Gründermütter beschwört.

Von September 1948 bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes im Mai 1949 tagte der Parlamentarische Rat in dem Gebäude. „Es gibt andere Orte in Bonn, die sich dies auf die Fahnen schreiben oder schreiben lassen, so wie etwa der Schaumburger Hof oder das Hotel Adler, aber dort residierten lediglich die Ministerpräsidenten der Länder“, erklärt Dietmar Preißler, Sammlungsdirektor beim Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. „Auch das Museum Koenig wird immer wieder in diesem Zusammenhang genannt: In seiner großen Halle fand allerdings lediglich der 90-minütige Festakt zum Zusammentritt des Parlamentarischen Rates statt, wobei die Tiere, wie etwa die präparierten Giraffen, verhüllt wurden und nicht, wie gern kolportiert, den Politikern über die Schulter schauten. Die eigentliche Arbeit des Gremiums und seiner Ausschüsse fand derweil nahezu vollständig im Bundeshaus statt.“

Leicht war die Aufgabe des Parlamentarischen Rates nicht. Immerhin mussten die insgesamt 77 Mitglieder einen Gesetzestext erarbeiten, mit dem sowohl die Bundesländer als auch die Alliierten einverstanden waren. Dabei hatte schon die Form des auszuarbeitenden Dokuments im Vorfeld für Irritationen gesorgt: Während die Siegermächte mit den sogenannten Frankfurter Dokumenten die Ministerpräsidenten aufforderten, eine demokratische Verfassung auszuarbeiten, bestanden die deutschen Politiker auf der Bezeichnung „Grundgesetz“, um dessen provisorischen Charakter zu betonen. „Es bestand die Angst, dass ansonsten die deutsche Teilung vertieft worden wäre“, erläutert Preißler. „Die Militärgouverneure schäumten zunächst, als sie davon hörten, konnten aber am Ende überzeugt werden.“ Im Gegensatz zu einigen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates: Insgesamt zwölf von ihnen stimmten am 8. Mai 1949, auf den Tag genau vier Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, gegen den Gesetzestext. „Die zwei Angehörigen der Kommunistischen Partei betrieben auf Anweisung der Sowjetunion eine Fundamentalopposition, den anderen gingen die föderalen Strukturen nicht weit genug“, so Preißler. Vor allem die CSU war mit den vereinbarten Regelungen nicht einverstanden, und signalisierte dies auch ziemlich deutlich. Zwar akzeptierte die Partei, dass das Grundgesetz in Kraft treten würde, wenn bundesweit zwei Drittel der Länder den Text ratifizieren würden, sorgte aber mit ihrer Mehrheit im Bayerischen Landtag dafür, dass dieser – als einziges Landesparlament – gegen das Grundgesetz votierte.

An der Unterzeichnung des Grundgesetzes änderte diese Entscheidung indes nichts. Am 23. Mai 1949 unterzeichneten zunächst Konrad Adenauer und dann alle 65 stimmberechtigten Mitglieder des Parlamentarischen Rates im Sitzungssaal des Bundeshauses das Dokument. „Hier floss die Tinte des Grundgesetzes“, betont Preißler an der entsprechenden Stelle, von der mittlerweile leider nichts mehr zu sehen ist – aufgrund des Ensembleschutzes muss der Raum bis heute genau so aussehen wie bei der letzten Sitzung des Bundesrats am 14. Juli 2000, also um 90 Grad gedreht, sodass das Präsidium der großen Fensterfront gegenübersitzt. „Selbst der Sessel, den Heide Simonis damals wegen eines Rückenleidens ausnahmsweise in den Saal hat bringen lassen, darf nicht bewegt werden“, erklärt Preißler lachend. „Insofern können wir leider die historische Anordnung der Tische und Stühle nicht wieder herstellen oder auch nur jene Stelle markieren, an der damals die Bundesrepublik gegründet worden ist.“

Ohnehin findet sich in Bonn nur wenig zu diesem staatsbildenden Ereignis. Im Bundeshaus erinnert eine kleine Sammlung historischer Fotos und Dokumente an die Unterzeichnung des Grundgesetzes sowie an seine Väter und Mütter – ohne zusätzliche Hintergrundinformationen, etwa im Rahmen einer Führung, bleibt der Erkenntnisgewinn jedoch gering. Tatsächlich hat Bonn gerade diesen elementaren Aspekt der städtischen und der bundesdeutschen Geschichte in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt. Beethoven war und ist der große Sohn der Stadt, das Grundgesetz nur eine Randnotiz. „Dabei wäre das ein echtes Alleinstellungsmerkmal“, betont Norbert Volpert, Geschäftsführer des Vereins StattReisen Bonn. „Wir organisieren im Jahr etwa 700 Führungen mit bis zu 100 Teilnehmern aus allen Altersgruppen, und ein Großteil der Touren geht durch das Regierungsviertel. Leider sind aber schon diverse Zeugnisse der Bonner Republik abgerissen, etwa die Pressebaracken oder die Villa Dahm als Sitz der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft. Andere Orte muss man erst mühsam suchen, etwa die Villa Spiritus als Sitz des Verbindungsstabs zwischen den alliierten Besatzungstruppen und dem Parlamentarischen Rat.“ Und die zentralen Orte wie etwa das Bundeshaus? „Auch die könnten viel stärker in den Fokus gerückt werden“, sagt Volpert. „Es gibt zwar inzwischen den sogenannten ,Weg der Demokratie' mit 64 Stationen, aber die Texttafeln sind doch recht knapp gehalten und kein Ersatz für einen geführten Rundgang, bei dem einfach viel mehr Hintergrundwissen vermittelt werden kann.“ Wer also einen Einblick in die Gründungszeit der Bundesrepublik erhalten möchte, sollte dies am besten nicht allein tun, zumal viele der Gebäude nur nach Anmeldung besucht werden können. Eine Rückbesinnung auf jene Zeit erscheint allerdings heute, 70 Jahre nach der Geburt des Grundgesetzes, wichtiger denn je.

Thomas Kölsch

Führungen durch das ehemalige Regierungsviertel Bonns können unter anderem gebucht werden bei StattReisen Bonn (www.stattreisen-bonn.de), im Haus der Geschichte (www.hdg.de) oder bei Bonntouren (www.bonntouren.de).

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