Rheinland-Pfalz

Sarcinelli: Grüne sind Machtfaktor der Mitte

Parteienforscher Sarcinelli: Der Erfolg der Grünen ist Ausdruck einer tiefgreifenden Politikwende.
 Foto:dpa
Parteienforscher Sarcinelli: Der Erfolg der Grünen ist Ausdruck einer tiefgreifenden Politikwende. Foto: dpa

Die Grünen können in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen, sich in Rheinland-Pfalz mit enormen 15,4 Prozent den Koalitionspartner jetzt aussuchen. Ist dies nur eine Momentaufnahme, oder spiegeln die Wahlen einen historischen Wandel wider? Wir sprachen mit dem Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli.

Lesezeit: 2 Minuten
Anzeige

Rheinland-Pfalz – Die Grünen können in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten stellen, sich in Rheinland-Pfalz mit enormen 15,4 Prozent den Koalitionspartner jetzt aussuchen. Ist dies nur eine Momentaufnahme, oder spiegeln die Wahlen einen historischen Wandel wider? Wir sprachen mit dem Landauer Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli.

Grüne kommen in strukturell konservativen Ländern an die Macht. Erlebt der Südwesten eine Zäsur?

Das ist eine Zäsur für ganz Deutschland. Die Koordinaten verschieben sich. Dass Ergebnisse in Rheinland-Pfalz nur weniger erdrutschartig ausfallen, können SPD und CDU ihren Spitzenkandidaten verdanken. Ohne Kurt Beck und Julia Klöckner sähen die Volksparteien vermutlich noch älter aus, als sie dies schon sind. Die Grünen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, gewinnen in Baden-Württemberg sogar Direktmandate. Die Zeit, in der sie als Ein-Punkt- oder Protestpartei wahrgenommen wurden, ist vorbei.

Was bedeutet dies für die FDP?

Über die Zukunft des politischen Liberalismus muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Die Bundestagswahl hat ein bisschen den Blick darauf verstellt, dass die FDP in ihrer Substanz gefährdet ist. Sie braucht eine Idee, was Liberalismus in einer modernen, liberalen Gesellschaft heute bedeutet und keine Lautsprecherparolen. Die programmatische Diät der Liberalen erstaunt umso mehr, weil der Ruf nach einer Bürgergesellschaft immer lauter wird und damit klassisch liberale Themen angesagt sind. Aber genau auf diesem Feld fehlt den Liberalen die programmatische und personelle Substanz.

Muss auch die SPD über starke grüne Konkurrenz alarmiert sein? Außerdem nahm die CDU ihr im Land viele Wahlkreise wieder ab.

Die CDU hat an ihrer Basis stark zugelegt. Das zeigt, wie schon bei Bundestags- oder Europawahlen: Nach 20 Jahren, in denen die SPD regiert, ist Rheinland-Pfalz zwar in weiten Teilen sozialdemokratisiert, aber längst kein SPD-Land. Die Union hat nun wieder mehr Wahlkreise als die SPD. Der CDU fehlt in Rheinland-Pfalz jedoch momentan der strategische Partner für eine Mehrheitsperspektive. In der Union könnte das noch eine spannende Richtungsdebatte auslösen. Dabei sollte man Julia Klöckner nicht unterschätzen. Innerparteiliche Führungskompetenz hat sie bewiesen. Landespolitische Kompetenzen, die im Wahlkampf noch fehlten, kann sie in der Oppositionsarbeit erwerben.

Vor welchen Problemen sehen Sie Kurt Beck im rot-grünen Bündnis?

Der Absturz der SPD um fast 10 Prozent wird nur durch den Machterhalt abgemildert. Deshalb steht Kurt Beck vor einem schweren Gang, denn die Grünen sind nicht nur Mehrheitsbeschaffer, sie sind ein strategischer Machtfaktor. Inhaltlich wird dies kein politischer Spaziergang, zumal die SPD im Land konservativer ist als im Bund. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die SPD schneller verjüngt, als manchem heute noch lieb ist.

Wie sehr hat sich das Wählerverhalten verändert?

Die Bereitschaft, gleich in Scharen das Stimmverhalten zu ändern, wächst gewaltig und war selten so groß wie heute. Die Menschen orientieren sich immer kurzfristiger an Sachfragen und an politischen Stimmungslagen. Umso wichtiger ist es, dass das Spitzenpersonal Vertrauen und politische Glaubwürdigkeit verkörpert, vor allem bei einem Kurswechsel in zentralen Fragen. Stefan Mappus ist dafür ein Negativbeispiel. Welche Auswirkungen dies für Angela Merkel hat, ist noch offen. Aber eine erfreuliche Tatsache geht nach diesen Ergebnissen schon fast ganz unter: Die Wahlbeteiligung ist wieder deutlich gestiegen. Das zeigt doch: Wenn die Wähler meinen, wirklich etwas entscheiden zu können, dann gehen sie auch wieder zur Wahl.

Von unserer Redakteurin Ursula Samary