Pro: Gesund mit der Nadel
Doch wie funktioniert diese Diagnose? „Das Wichtigste ist die Inaugenscheinnahme des Patienten“, erklärt der Professor. „Es geht um das Betrachten, Betasten, Behorchen und Beriechen.“ Sowohl das Hören der Stimme, der Atmung als auch die Inaugenscheinnahme der Zunge und das Betasten des Pulses gehören dazu. „Je genauer die Diagnose, desto besser ist die Therapie. Unsere wissenschaftlichen Studien zeigen, dass der Behandlungserfolg in vielen Fällen sogar verdoppelt werden kann, wenn die Diagnose der TCM individuell richtig gestellt wird. Sie führt zu einer deutlichen Verbesserung der Auswahl der Akupunkturpunkte.“
Die richtigen Akupunkturpunkte lassen sich laut Greten nur mit einer entsprechenden TCM-Ausbildung finden. Nach Angaben des Professors gibt es etwa 1500 genau definierte Funktionszeichen am Körper. Diese zeigten, wo die Nadel gesetzt werden müssten. Diese Akupunkturpunkte liegen auf den sogenannten Meridianen bezeichnet. Mit ihnen könne man die Lebensenergie Qi beeinflussen.
Laut Greten lässt sich TCM „hervorragend“ mit der westlichen Medizin kombinieren. Allerdings sei die chinesische Medizin ohne die westliche Medizin nicht gut zu verantworten. „In wenigen Fällen wäre das sogar gefährlich“, sagt der Professor. „Insbesondere bei schweren Erkrankungen sei eine westliche medizinische Diagnose notwendig. Auch eine Arzneitherapie erfordert die Überprüfung im Labor.“Die wichtigsten Methoden in der Chinesischen Medizin sind Akupunktur und Moxibustion (die Erwärmung von speziellen Punkten), Therapie mit den Händen, Kräutermedizin und die Ernährungslehre. Außerdem gehören die chinesischen Bewegungsübungen Tai-Chi und Qigong dazu und eine auf TCM basierende Psychotherapie.
„Chinesische Medizin ist vegetative Medizin, Regulationsmedizin, und damit Softwaremedizin“ stellt Greten fest. „Sie ist das ergänzende Gegenstück unserer Medizin, aber keineswegs ihr Gegenteil.“ So wie ein Auto nicht funktioniere, wenn die Software abstürze, so gebe es auch beim Menschen Befunde, bei denen nicht die Reifen oder die Kupplung, also die Hardware, betroffen sei. „Die Software eines Menschen ist das vegetative Nervensystem.“ Und genau da setze die TCM an.
Besonders häufig hätten sich die Methoden bei Schmerzen, Rheuma, chronischen Infekten und Hauterkrankungen bewährt. Aber auch zur Unterstützung der Chemotherapie, bei funktionellen Störungen des Verdauungstraktes und zur Steigerung der Lernleistung. „TCM macht bereits einen Milliardenumsatz“, sagt Greten. „In Deutschland sind es etwa 40 Euro pro Bundesbürger.“
Greten hält eine vollständige Integration der TCM in der Schulmedizin für möglich. Dieser Prozess sei aber noch ganz am Anfang. Bisher bezahlen die Krankenkassen die Akupunktur lediglich bei Knie- und Rückenbeschwerden. „Erst wenn die Verfahren der TCM noch besser erforscht sind und die Qualität der Ausbildung deutlich angehoben wird, kann die TCM voll integriert werden“, sagt Greten. „Daran wird derzeit gearbeitet.“ Wichtig sei vor allem eine gute und solide klinische Grundausbildung für jeden TCM-Therapeuten, betont Greten. Leider schwanke die Qualität der TCM-Ausbildungen derzeit noch stark. Greten hält ein Zusatzstudium zum Medizinstudium für zwingend nötig, damit die Fähigkeiten der Therapeuten sichergestellt seien. In Deutschland gibt es mehr als 30.000 Akupunkturärzte. Davon ist laut Greten aber nur ein Bruchteil in TCM ausgebildet. Und von diesem Bruchteil sei wiederum nur ein kleiner Teil gut.„Wir versuchen in jedem Einzelfall, mit westlicher und östlicher Diagnose herauszufinden, welche Kombination jeweils richtig ist“, sagt der Professor. „Jede Medizin hat Grenzen, östliche und westliche. Indem wir beide Medizinformen verbinden, haben wir weniger Grenzen. Deshalb ist diese Kombination so wichtig.“
Protokoll: Verena Hallermann