Pro: Gesund mit der Nadel

Pro Akkupunktur Foto: Fotolia

Weltweit werden jährlich auch außerhalb Chinas Millionen Menschen mit den Methoden der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) behandelt. Doch was kann eine Medizin, die auf Akupunktur, Kräutertherapie und meditativer Bewegungskunst basiert, bewirken? Prof. Dr. Johannes Greten ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für traditionelle chinesische Medizin (DGTCM). Er gilt als Experte in diesem Fachbereich und setzt sich seit vielen Jahren für eine Kombination der Medizin aus Ost und West ein.

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„Das eigentlich Besondere an der chinesischen Medizin ist ihre individuelle Diagnosestellung“, erklärt Greten. „Eine Diagnose ist ja nicht nur eine Feststellung darüber, was in einem Menschen passiert. Sie ist zugleich auch eine verbindliche Handlungsanweisung für die Therapie“, erklärt Greten.

Doch wie funktioniert diese Diagnose? „Das Wichtigste ist die Inaugenscheinnahme des Patienten“, erklärt der Professor. „Es geht um das Betrachten, Betasten, Behorchen und Beriechen.“ Sowohl das Hören der Stimme, der Atmung als auch die Inaugenscheinnahme der Zunge und das Betasten des Pulses gehören dazu. „Je genauer die Diagnose, desto besser ist die Therapie. Unsere wissenschaftlichen Studien zeigen, dass der Behandlungserfolg in vielen Fällen sogar verdoppelt werden kann, wenn die Diagnose der TCM individuell richtig gestellt wird. Sie führt zu einer deutlichen Verbesserung der Auswahl der Akupunkturpunkte.“

Die richtigen Akupunkturpunkte lassen sich laut Greten nur mit einer entsprechenden TCM-Ausbildung finden. Nach Angaben des Professors gibt es etwa 1500 genau definierte Funktionszeichen am Körper. Diese zeigten, wo die Nadel gesetzt werden müssten. Diese Akupunkturpunkte liegen auf den sogenannten Meridianen bezeichnet. Mit ihnen könne man die Lebensenergie Qi beeinflussen.

Laut Greten lässt sich TCM „hervorragend“ mit der westlichen Medizin kombinieren. Allerdings sei die chinesische Medizin ohne die westliche Medizin nicht gut zu verantworten. „In wenigen Fällen wäre das sogar gefährlich“, sagt der Professor. „Insbesondere bei schweren Erkrankungen sei eine westliche medizinische Diagnose notwendig. Auch eine Arzneitherapie erfordert die Überprüfung im Labor.“

Die wichtigsten Methoden in der Chinesischen Medizin sind Akupunktur und Moxibustion (die Erwärmung von speziellen Punkten), Therapie mit den Händen, Kräutermedizin und die Ernährungslehre. Außerdem gehören die chinesischen Bewegungsübungen Tai-Chi und Qigong dazu und eine auf TCM basierende Psychotherapie.

„Chinesische Medizin ist vegetative Medizin, Regulationsmedizin, und damit Softwaremedizin“ stellt Greten fest. „Sie ist das ergänzende Gegenstück unserer Medizin, aber keineswegs ihr Gegenteil.“ So wie ein Auto nicht funktioniere, wenn die Software abstürze, so gebe es auch beim Menschen Befunde, bei denen nicht die Reifen oder die Kupplung, also die Hardware, betroffen sei. „Die Software eines Menschen ist das vegetative Nervensystem.“ Und genau da setze die TCM an.

Besonders häufig hätten sich die Methoden bei Schmerzen, Rheuma, chronischen Infekten und Hauterkrankungen bewährt. Aber auch zur Unterstützung der Chemotherapie, bei funktionellen Störungen des Verdauungstraktes und zur Steigerung der Lernleistung. „TCM macht bereits einen Milliardenumsatz“, sagt Greten. „In Deutschland sind es etwa 40 Euro pro Bundesbürger.“

Greten hält eine vollständige Integration der TCM in der Schulmedizin für möglich. Dieser Prozess sei aber noch ganz am Anfang. Bisher bezahlen die Krankenkassen die Akupunktur lediglich bei Knie- und Rückenbeschwerden. „Erst wenn die Verfahren der TCM noch besser erforscht sind und die Qualität der Ausbildung deutlich angehoben wird, kann die TCM voll integriert werden“, sagt Greten. „Daran wird derzeit gearbeitet.“ Wichtig sei vor allem eine gute und solide klinische Grundausbildung für jeden TCM-Therapeuten, betont Greten. Leider schwanke die Qualität der TCM-Ausbildungen derzeit noch stark. Greten hält ein Zusatzstudium zum Medizinstudium für zwingend nötig, damit die Fähigkeiten der Therapeuten sichergestellt seien. In Deutschland gibt es mehr als 30.000 Akupunkturärzte. Davon ist laut Greten aber nur ein Bruchteil in TCM ausgebildet. Und von diesem Bruchteil sei wiederum nur ein kleiner Teil gut.

„Wir versuchen in jedem Einzelfall, mit westlicher und östlicher Diagnose herauszufinden, welche Kombination jeweils richtig ist“, sagt der Professor. „Jede Medizin hat Grenzen, östliche und westliche. Indem wir beide Medizinformen verbinden, haben wir weniger Grenzen. Deshalb ist diese Kombination so wichtig.“

Protokoll: Verena Hallermann

Kontra: Gesund mit der Nadel

Die Wirksamkeit der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) wird von wissenschaftlicher Seite bestritten. Eine der Kritiker ist Prof. Dr. Jutta Hübner vom Universitätsklinikum Jena. Sie rät von TCM ganz klar ab.

„Wenn man sich die westlichen Studien anschaut, stellt man fest, dass Akupunktur zwar besser ist, als Rezepte auszustellen und den Patienten eine Pille schlucken zu lassen, aber es wirkt, egal, wohin man sticht“, sagt Hübner. Die TCM setzt ihre Nadeln an sogenannten Meridianen. Das sind Kanäle, in denen die Lebensenergie Qi fließen soll. Durch die Nadeln sollen diese wieder stimuliert werden. „Fakt ist: Es gibt diese Meridiane aber überhaupt nicht“, betont Hübner. „Es gibt keinen biologischen Befund, was das sein sollte. Zu Deutsch: Das Ganze ist ein kompletter Schwindel.“

Die Kosten für Akupunktur, also ein Teilgebiet der TCM, wird in Bezug auf Knie- und Rückenschmerzen von Krankenkassen teilweise übernommen. „Das führt eben dazu, dass die Menschen auch glauben, dass etwas dahintersteckt“, sagt die Ärztin. „Aber das ist nicht so. Akupunktur wirkt, weil es eine Placebobehandlung ist. Und davon bin ich ein strikter Gegner.“ Laut Hübner sind viele Knie- und Rückenschmerzen psychosomatisch bedingt. Die Akupunkturnadel habe dort den gleichen Effekt, wie ein gutes Gespräch. „Ich bin kein Anhänger mehr der Akupunktur, obwohl ich als Ärztin selbst eine Ausbildung in Akupunktur habe und das früher auch gemacht habe“, hebt sie ausdrücklich hervor.

Warum ist TCM dann heute noch so populär? Im 19. Jahrhundert kam die westliche Medizin auch in China an und verdrängte die eigenen medizinischen Lehren. Dann kam Staatspräsident Mao Zedong an die Macht. Das war die Zeit, in der die TCM reanimiert wurde. „Heute versucht der chinesische Staat, aus der TCM einen Exportschlager zu machen“, sagt Hübner. Die Ärztin ist nach eigenen Angaben „extrem kritisch“, was Studien aus China betrifft. Es sei aufgefallen, dass die Daten, die dort erhoben werden, nicht immer stimmten. „Bei unseren westlichen Studien gibt es ein gut entwickeltes System, mit dem eine hohe Qualität der Studien sichergestellt wird“, macht sie deutlich.

Auch hinsichtlich der meditativen Bewegungskunst der TCM gibt es Studien. „Im Vergleich mit normaler, deutscher Krankengymnastik stellt man fest, dass die Ergebnisse gleich gut sind“, erläutert die Ärztin die Ergebnisse. „Denn jede konzentrierte Bewegung hilft beim Gesundungsprozess.“

Bei den chinesischen Kräutern sehe das etwas anders aus: Man könne davon ausgehen, dass in der TCM tatsächlich wirksame Heilkräuter gefunden wurden. „Ich glaube sogar, dass in den einzelnen Pflanzen ein enormes Potenzial steckt“, sagt Hübner. „Das Problem ist nur die Mischung der Kräuter. In der TCM werden verschiedene Kräuter kombiniert mit dem Ziel, dass sich die Wirkungen addieren, die Nebenwirkungen aber auf einem niedrigen Level bleiben. Das funktioniert auch bis zu einem gewissen Punkt. Aber: Es handelt sich um schlecht definierte Zusammensetzungen und Inhaltsstoffe.“ Häufig sei unklar, welche Substanzen tatsächlich enthalten seien. „Das heißt, es gibt auch ein großes Gefährdungspotenzial. Das kann richtig gefährlich sein“, sagt die Ärztin.

„Ich kenne einen Fall, bei dem eine Frau beinah durch TCM-Kräuter an Leberversagen gestorben wäre. Erst durch die Absetzung dieser schwarzen Kügelchen aus der TCM haben sich ihre Leberwerte wieder erholt. Und davon gibt es mehrere Berichte.“ Heilpflanzen sind nach Angaben der Ärztin potenziell immer gefährlich. Eine wirksame Substanz beinhalte auch stets das Risiko einer Überdosis. Gefährlich werde es zum Beispiel bei der Behandlung von Krebspatienten. Durch eine Wechselwirkung könne es zu einer Abschwächung der Chemotherapie kommen, was laut Hübner tödlich für den Patienten sein kann.

Es gibt diese Meridiane aber überhaupt nicht. Es gibt keinen biologischen Befund, was das sein sollte. Zu Deutsch: Das Ganze ist ein kompletter Schwindel.

Dr. Jutta Hübner zu den „Leitbahnen“, in denen laut traditioneller chinesischer Medizin (TCM) die Lebensenergie fließt.

„Ich halte derzeit nichts davon, westliche und östliche Medizin zu kombinieren“, betont Hübner. „Allerdings sehe ich bei den Heilkräutern ein hohes Forschungspotenzial. Aber da brauchen wir eine analytische, westliche Methode.“ Auch in der westlichen Medizin basiert ein Teil der medizinischen Erfolge auf Kräuterkunde. Beispielsweise das Aspirin, das aus dem Extrakt der Weidenrinde stammt.

„Vorsichtig muss man bei der TCM auch bei der Antlitzdiagnose sein“, sagt Hübner. „Denn es ist nicht möglich, Krankheiten innerer Organe mit dem Auge zu erkennen.“ Wichtig sei zu wissen, dass die Chinesische Medizin beispielsweise die Diagnose Krebs gar nicht kannte. Denn damals kannte man weder Anatomie noch Biochemie. Es existierte keine Vorstellung von der Funktion der Organe. „Das war ja genau der Fortschritt, in der europäischen Medizin“, betont Hübner.

Protokoll: Verena Hallermann

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